Weltpolitik

„Georgien ist ein Energiekorridor für den Westen“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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HARALD NEUBER im Interview mit US-Experte Michael T. Klare:

In der europäischen Presse wurde der kurze Feldzug im Kaukasus weitgehend als Wiederauflage des Kalten Krieges dargestellt. Für den US-Experten Michael T. Klare war es ein Wirtschaftskrieg – der Moskaus Position gestärkt hat. Klare ist einer der renommiertesten Experten für Energie- und Sicherheitspolitik in den USA. Er hat einen Lehrauftrag für Internationale Friedens- und Sicherheitsstudien am Hampshire College und weiteren vier angeschlossenen Lehranstalten im US-Bundesstaat Massachusetts. Klare ist zudem Korrespondent für Sicherheitspolitik der ältesten US-amerikanischen Wochenzeitung The Nation.

Herr Klare, fünf Tage lang hat im Kaukasus Krieg geherrscht. Die Auseinandersetzung zwischen Georgien und Russland hat sich zwar nicht zum Flächenbrand entwickelt, doch der Konflikt schwelt weiter. Vor allem in der europäischen Presse war zuletzt viel von einer Neuauflage des Kalten Krieges die Rede. Ist das gerechtfertigt?
Nein, ich glaube nicht, dass die Entwicklungen im Südkaukasus seit dem 8. August etwas mit dem Kalten Krieg zu tun haben. Ich glaube vielmehr, dass hinter diesem Konflikt der Kampf um die Kontrolle der westlichen Märkte über die Transportwege für Erdöl und Erdgas aus dem kaspischen Meer steht. In ihrem Versucht, auf die kaspischen Energievorkommen zuzugreifen, haben besonders die USA Georgien in den vergangenen Jahren als eine Alternative zu der Abhängigkeit von Russland beworben. Die Russen sind offenbar nicht bereit, diese Alternative zu akzeptieren.

Aber welche Rolle spielt Georgien tatsächlich im Energiegeschäft?
Georgien ist von strategischer Bedeutung, weil es für den Westen einen Energiekorridor bietet. Über georgisches Territorium kann das Erdgas aus dem kaspischen Meer an Russland und dem Iran vorbei in den Westen geschafft werden. Die USA haben eine Schlüsselrolle beim Bau der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC-Pipeline) gespielt, über die täglich bis zu einer Million Barrel kaspisches Erdöl geleitet werden können. Über dieselbe Route soll künftig Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa transportiert werden.

Zurzeit bringen viele Analysten die BTC-Pipeline ins Spiel – nicht zuletzt, weil russische Kampfflugzeuge diese Erdölleitung in Georgien unter Beschuss genommen haben. Aber ist das Projekt nicht nur eines unter vielen?

Die Bedeutung der BTC-Pipeline bemisst sich nicht nur in der Haltung Europas, das alternative – also von Russland unabhängige –Transportwege aufbauen will. Sie war von Beginn an ein US-amerikanisches Projekt. Die Leitung von Baku in Aserbaidschan bis zum Verladehafen im türkischen Ceyhan wurde vom US-Präsident Clinton in den 1990er Jahren schließlich mit dem erklärten Ziel lanciert, den Einfluss von Iran und Russland auf dem regionalen Energiemarkt zu schmälern. Clinton hat sich damals persönlich sehr dafür eingesetzt, die drei involvierten Staaten – Aserbaidschan, Georgien und die Türkei – an einen Tisch zu bringen. Politisch gesehen ist es also ein originär US-amerikanisches Projekt. Auch wenn die Pipeline heute maßgeblich von dem britischen Energiekonzern BP verwaltet wird.

Sie gehören zu den US-amerikanischen Experten, die nicht nur das Energiegeschäfte, sondern auch die Washingtoner Sicherheitspolitik kritisch begleiten. Welche Rolle hat die US-Militärhilfe für Georgien in den vergangenen Jahren gespielt?
Weil von vornherein klar war, dass die BTC-Pipeline an verschiedenen Krisengebieten vorbeiführen würde – darunter an Tschetschenien, an Bergkarabach, der armenischen Enklave in Aserbaidschan, sowie an Abchasien und Südossetien –, war Präsident Clinton um die Sicherheit des Vorhabens besorgt. Deswegen wurde zwischen den USA und Georgien ein umfassendes Militärabkommen geschlossen. Die Waffenlieferungen und Militärhilfe war schon damals zig Millionen US-Dollar wert. Nachdem der amtierende Präsident George W. Bush sich das Vorhaben zueigen gemacht hat, wurde die militärische Hilfe für Georgien noch weiter ausgebaut.

Welche Rolle spielt dabei die NATO?
Die NATO-Politik gegenüber Georgien hat die Spannungen zuletzt verschärft. Es war eine reine Machtdemonstration, als Präsident Bush im April auf dem NATO-Gipfel in Bukarest um ein beschleunigtes Aufnahmeverfahren für Tiflis warb. Dieser Vorstoß traf nicht nur auf den entschiedenen Widerstand Russlands, sondern auch einiger NATO-Mitglieder, die eine Aufnahme Georgiens als verfrüht ansahen.

Wurden wir in Georgien also Zeugen eines Stellvertreterkrieges zwischen Russland auf der einen und der führenden NATO-Macht USA auf der anderen Seite?
Für diese Analyse spricht in der Tat, dass Georgien von den USA massiv aufgerüstet wurde, um diesen kleinen Kaukasusstaat zu einem Instrument der US-amerikanischen Interessen im Hegemonialraum Moskaus zu machen. Und das war letztlich der Auslöser für die entschiedene Reaktion Russlands und den brutalen Gegenschlag auf die georgische Invasion in Südossetien in der vergangenen Woche.

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Eine Woche nach Beginn des Fünf-Tage-Krieges im Kaukasus werden nun Verhandlungen zwischen Russland und Georgien geführt. Welche Perspektive sehen Sie für die Region?
Zunächst wird die georgische Führung die Blamage verwinden müssen. Als sicher sehe ich an, dass sie ein solches Abenteuer nicht wiederholen wird. Natürlich wird die gescheiterte Militäraktion Tiflis´ in Südossetien auch das Verhältnis zu den USA beeinflussen. Die Regierung von Saakaschwili fühlt sich von Washington ganz offensichtlich im Stich gelassen. In Tiflis ging man davon aus, dass die USA zur Hilfe eilen. Aber diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Und schließlich werden sich die Europäer zweimal überlegen müssen, ob sie Millionenmittel in den Bau einer Gaspipeline von Aserbaidschan über Georgien nach Kerneuropa investieren wollen, ohne Moskau einzubinden. Nach diesem Krieg werden die Karten im Kaukasus neu gemischt.

Das Interview führte Harald Neuber

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