Weltpolitik

Honduras vor der Entscheidung

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Knapp einen Monat nach dem Staatsstreich will Präsident Zelaya in sein Land zurückkehren. Die Militärputschisten kündigen Widerstand dagegen an –

Von HARALD NEUBER, 23. Juli 2009 –

Dem kleinen mittelamerikanischen Honduras stehen "entscheidende Tage" bevor. Das schrieb Mitte dieser Woche einer der wenigen Journalisten, die seit dem Militärputsch am 28. Juni permanent aus der Hauptstadt Tegucigalpa berichten: Raimundo López von der kubanischen Presseagentur Prensa Latina. Das Urteil ist nicht weit hergeholt, denn Zelaya will noch bis zum Ende der Woche nach Honduras zurückkehren, um eine "Regierung in Widerstand" aufzubauen.

Dessen ungeachtet und allem internationalen Widerstand zum Trotz beharren die Putschisten unter Führung von General Romeo Vásquez Velásquez und dem Expräsidenten der Nationalversammlung, Roberto Micheletti, auf ihre Macht. Seit fast vier Wochen demonstrieren jeden Tag Zehntausende gegen das Regime. Doch dessen Anführer zeigen sich unbeirrt. "Wir werden jedem Druck widerstehen", bekräftigte Micheletti am Montag erneut. Doch wie lange kann sein Regime die immer größer werdende politische und wirtschaftliche Isolation ertragen?

Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung der schweren Krise, die längst zu einem lateinamerikanischen Problem geworden ist, hat sich am Sonntag in der costaricanischen Hauptstadt San José zerschlagen. Vehement erteilte Micheletti einem Friedensplan von Gastgeber Oscar Arias seine Absage. Der Friedensnobelpreisträger und Präsident Costa Ricas hatte sieben Punkte vorgelegt, um die Krise zu überwinden. Wichtigstes Ziel: Die Rückkehr Zelayas an die Spitze einer "Regierung der Einheit und Versöhnung". Doch von Versöhnung wollen die Putschisten nichts wissen. Eine Heimkehr des gewählten Präsidenten sei mit ihm nicht zu machen, bekräftigt Micheletti immer wieder. Die internationale Gemeinschaft steht solcher Halsstarrigkeit mit zunehmender Hilflosigkeit gegenüber. Alle internationalen Organisationen haben den Militärputsch verurteilt und eine Rückkehr zur Demokratie, also zur Zelaya-Regierung, gefordert. So fordern die Vertreter der EU, der USA und der Organisation Amerikanischer Staaten eine Fortsetzung des Dialogs. Mit welchem Ziel, sagen sie nicht. Wahrscheinlich wissen sie es auch nicht.

Der Konflikt verläuft nicht zwischen den politischen Lagern. Er ist Ausdruck einer schweren gesellschaftlichen Krise, unter der nicht nur das arme Honduras leidet. Auslöser des Staatsstreichs war der Versuch Zelayas, die Verfassung des mittelamerikanischen Landes zu reformieren. Es ging dabei mitnichten um die Zementierung seiner Macht, wie es in ausländischen Medien "in beachtlicher Übereinstimmung mit der Propaganda der Putschisten" immer wieder heißt. Zwar wurde mit Blick auf eine verfassunggebende Versammlung tatsächlich vorgeschlagen, die geltende Begrenzung der Präsidentschaft auf nur eine Legislaturperiode aufzuheben. Doch Zelaya hätte davon nicht mehr profitiert. Seine Präsidentschaft wäre Ende November regulär ausgelaufen. Die viel diskutierte Änderung der Amtszeitbegrenzung hätte erst viel später gegriffen. Denn am 28. Juni, dem Tag des Militärputsches, sollte erst eine nicht bindende Befragung darüber durchgeführt werden, ob parallel zu den Wahlen ein Plebiszit über eine Verfassungsreform durchgeführt werden soll. Mehr Demokratie und Vorsicht ist kaum möglich.

Wie konnte der Konflikt zwischen Zelaya und den Vertretern von Parteioligarchie sowie nationalem Unternehmertum dennoch eskalieren? Die Antwort ist einfach: Unter dem Eindruck des Linksrucks in Lateinamerika haben die sozialen Bewegungen auch in Honduras politisches Gewicht gewonnen. Das ist auch der Grund für den Politikwechsel Zelayas, einem Urgestein der Liberalen Partei Honduras (PLH).

Es sind eben diese sozialen Bewegungen, die nun an der Spitze der Demokratiebewegung stehen. Rund 100 Gruppierungen und Parteien haben sich bereits wenige Stunden nach dem Militärputsch und der Deportation Zelayas durch die Armee nach Costa Rica zu einer "Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich" zusammengeschlossen. Wie einflussreich die sozialen Bewegungen sind, zeigte sich am Sonntag, als Zelaya in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua seine baldige Rückkehr nach Honduras ankündigte. Neben ihm saßen zwei prominente Vertreter der Demokratiebewegung auf dem Podium: Juan Barahona von der Widerstandsfront und Rafael Alegría von der internationalen Landarbeiterorganisation Via Campesina.

Das Resümee der Politik von EU und USA fällt in dieser Lage ambivalent aus. Zwar wurde der Militärputsch in Brüssel und Washington verurteilt. Doch beide Akteure erhalten ihre Verbindungen nach Tegucigalpa aufrecht. Aus Brüssler Diplomatenkreisen ist zu erfahren, dass es mehrere Kontakte zu dem Micheletti-Regime gegeben hat. Und auch der US-Botschafter Hugo Llorens steht in Gesprächen mit den Putschisten. Dennoch sahen sich EU und USA nach dem einseitigen Abbruch der Schlichtungsgespräche durch Micheletti gezwungen, weitere Maßnahmen zu ergreifen: Washington fror 16 Millionen US-Dollar bilaterale Hilfszahlungen ein, die EU suspendierte 65,5 Millionen Euro. Beobachter zeigen sich in der verfahren Situation derzeit davon überzeugt, dass die Putschisten nur über einen solchen wirtschaftlichen Druck in die Knie gezwungen werden können. "Sobald die Unternehmer von Micheletti Abstand nehmen, fällt das Regime wie ein Kartenhaus in sich zusammen", sagt der deutsche Menschenrechtsaktivist Martin Wolpold-Bosien, der zurzeit als Mitglied einer 15-köpfigen internationalen Beobachterdelegation vor Ort ist.

Der gleichen Meinung ist offenbar die Demokratiebewegung. Für Donnerstag und Freitag haben die Mitgliedsorganisationen der "Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich" einen Generalstreik angekündigt. Die Entscheidung darüber wurde am Sonntag von den Widerstandsgruppen, darunter die drei Gewerkschaftsverbände des Landes, einstimmig gefällt. Man werde den Kampf solange fortführen, bis die Regierung Zelaya wieder im Amt ist, sagte Juan Barahona. Zudem beharren die sozialen Bewegungen nach wie vor auf der Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung.

All dies lässt eine weitere Zuspitzung der Staatskrise in Honduras erwarten. Also auch eine Zunahme der Repression. In ihrem letzten Kommuniqué hat die Nationale Widerstandsfront eine Zwischenbilanz der Gewalt gezogen: Vier Tote soll es demnach gegeben haben und 1158 Festnahmen. Zudem seien zahlreiche Medien, die Position gegen den Putsch bezogen, vom Militär geschlossen worden. Diese Vorwürfe bestätigt auch der deutsche Beobachter Wolpold-Bosien von der Menschenrechtsorganisation FIAN. Nach einem Besuch in dem Verwaltungsbezirk Colón sagte er: "Alle Radiosender hier wurden von den Militärs darüber unterrichtet, dass diejenigen, die von einem Staatsstreich reden, sofort abgeschaltet werden. Viele von ihnen sind inzwischen nicht mehr auf Sendung."

Was in den kommenden Tagen geschieht, wird über die politische Zukunft Honduras’ entscheiden. Präsident Zelaya will bis zum Freitag auf dem Landweg einreisen, um eine "Regierung im Widerstand" aufzubauen. Zelaya werde sich an die Spitze einer "gigantischen Offensive" gegen die Putschisten stellen, kündigte die Außenministerin der gewählten Regierung, Patricia Rodas, an. Auch eine Beteiligung ausländischer Kräfte schloss Rodas nicht mehr aus. Nicht nur die gewählte Regierung werde "in den kommenden Stunden" die Grenze zu Honduras übertreten. "Ganz Lateinamerika" werde in Honduras präsent sein, sagte die Chefdiplomatin am Rande der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der sandinistischen Revolution in Managua. Die bevorstehenden Schritte seien vergleichbar mit der Politik Honduras’, "das in vergangenen Tagen seine Türen und Grenzen im Kampf gegen die Somoza-Diktatur geöffnet hat".

Von solchen Erklärungen aufgeschreckt, hat Machthaber Micheletti nach Angaben der venezolanischen Nachrichtenagentur ABN am Dienstag die Botschaftsmitarbeiter aller Mitglieder des Länderbündnisses Bolivarische Allianz für Amerika (ALBA) zum Verlassen des Landes aufgefordert. Sie hätten 72 Stunden Zeit zur Ausreise, so Micheletti, der vor allem den venezolanischen Diplomaten eine "Einmischung in innere Angelegenheiten" vorwarf. Die Botschaften lehnten es ab, der Order Folge zu leisten. Weil man dem Micheletti-Regime die Legitimität aberkenne, habe die Aufforderung kein Gewicht. Die Machthaber richteten daraufhin eine deutliche Warnung an die Vertreter der ALBA-Staaten. Nach Ablauf der 72-Stunden-Frist werde man ihre diplomatische Immunität nicht mehr anerkennen. Der Streit könnte entscheidend werden. Bereits in der vergangenen Woche hatte Venezuelas Präsident Hugo Chávez angekündigt, dass ein Angriff auf die Botschaft seines Landes als "kriegerischer Akt" gewertet werden würde.

Der Autor: Harald Neuber ist Korrespondent der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina in Deutschland


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