Weltpolitik

Regierungsbildung im Libanon lässt auf sich warten

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von DORIS BULAU, 23. Juli 2009 –

Das Ergebnis der Wahl im Libanon vom 7. Juni war eindeutig: das prowestliche Lager um den Milliardär und Sohn des ermordeten früheren Ex-Regierungschef Rafik Hariri, Saad Hariri, ein Sunnit, bekam die Mehrheit. Der christliche Staatspräsident Michel Suleiman beauftragte den pro-westlichen eingestuften Politiker mit der Regierungsbildung. Nach dem libanesischen Proporzsystem muss der Ministerpräsident stets ein Sunnit sein, der Präsident maronitischer Christ und der Parlamentspräsident Schiit.

Eine Wahl, die in Europa, im Nahen Osten (ja selbst in Israel!) und vor allem in den Vereinigten Staaten sehr begrüßt wurde. Doch die Regierungsbildung dauert. Uneinigkeit herrscht darüber, welche Ministerien von den Wahlsiegern und welche von der Opposition um die Hisbollah besetzt werden sollten. Eine regierungsfähige Allianz steht noch in weiter Ferne. Immerhin – der schiitische Parlamentssprecher Nabih Berri ist für seine bereits fünfte Amtszeit bestätigt worden.

Hariri ist daran gelegen, Konflikte mit der Opposition zu vermeiden. „Wir müssen uns die Hände reichen und gemeinsam für das Wohl des Libanons arbeiten“.

Sein Problem bei der Regierungsbildung ist und bleibt aber die Hisbollah. Die fordert eine Einheitsregierung, in der auch Vertreter aus ihren Reihen sitzen – so wie schon in der letzten Koalition.

Die schiitische Organisation, ein Machtfaktor allein aufgrund ihrer Waffen, die sie als einzige Organisation im Libanon nicht abgegeben hat, hatte wegen der Zahl ihrer Minister ein Vetorecht bei Gesetzesvorlagen. Das möchte die neue Regierung künftig ausschließen, gern diese Fessel ablegen – nur wie das passieren soll, ist unklar. Saad Hariri will sich Zeit nehmen mit der Regierungsbildung – nur so werden die Probleme sicher nicht gelöst.
Denn allein die Dauerforderung der Internationalen Gemeinschaft, Hisbollah müsse entwaffnet werden, bleibt wohl auf lange Sicht ein Wunschtraum. Die Angst, dass Israel deshalb eingreifen könnte, geht vor allem im Südlibanon um. Noch besetzt der Nachbar im Süden Territorium, das Libanon beansprucht: Sheeba, ein Dorf im Grenzgebiet. Eigentlich soll es Syrien gehören, doch das will es an den Libanon zurückgeben. Eine umstrittene Frage, die die Israelis wie gewohnt auf Zeit spielen lässt.

Hariri, der in seinem Wahlkampf alles darauf gesetzt hatte, auch Nichtwähler oder unsichere Kandidaten auf seine Seite zu ziehen, vor allem Exil-Libanesen zu mobilisieren, hatte bei der Parlamentswahl 71 der 128 Sitze gewonnen. 57 Sitze fielen an die Allianz der Opposition unter Führung der schiitischen Hisbollah, die vom Iran und Syrien unterstützt wird.

Kritik gab es mehr als genug: „Nicht wirklich demokratisch“, „gekaufte Stimmen“, „keine staatlichen Wahlformulare, sondern von den Parteien vor den Wahllokalen kopierte Stimmzettel“ – aber für den Libanon war es mehr als seine Wählerinnen und Wähler erwarten konnten. Eine hohe Wahlbeteiligung von 53 Prozent (die Europawahl am selben Tag blieb über zehn Prozent dahinter zurück!). Natürlich müssen Abstriche gemacht werden. Immerhin: die Menschen konnten wählen und alles verlief friedlich. Für ein Land, das bisher von Demokratie „verschont“ blieb, war unter gegeben Umständen realistisch nicht mehr drin.

Wenn Kritiker wie Noam Chomski, Links-Intellektueller aus den USA, der vor drei Jahren den Libanon besuchte, sich heute aufmacht, diese Wahlen zu bemängeln, hat er sicher Recht. Diese Wahlen genügten westlich-demokratischen Vorstellungen nicht. Man sollte aber auch bedenken: im Nahen Osten braucht alles Zeit. Auch die Wahlen in Palästina, bei denen die Hamas deutlich gewann und von der westlichen Welt abgestraft wurde, waren dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Demokratie – nur das Ergebnis gefiel offenkundig jenen nicht, die diese Demokratie immer einfordern.
Vielleicht muss die Internationale Allianz erst noch lernen, dass nicht alles nach ihren Vorstellungen läuft.

Ein erfolgreicher Geschäftsmann wie Hariri könnte in die Rolle des „Mister Libanon“ passen. Er braucht Visionen. Wenn Hariri es schafft, ein gutes Kabinett zusammenzustellen, dann könnte sich jene Hoffnung erfüllen, die einst sein Vater hatte, die „Schweiz des Nahen Osten“ wieder zu beleben.
Hariris Ziel sollte eine möglichst zügige Regierungsbildung sein unter Einschluss der Hisbollah, damit das Land überhaupt funktionieren kann und wirtschaftlich in Schwung kommt. Die Menschen im Libanon wollen – endlich –besser leben, finanziert gegebenenfalls auch mit westlicher Hilfe.

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Wenn eine neue Regierung es schafft, Korruption, Vetternwirtschaft und Clan-Geschichten einzudämmen: gut. Bleibt noch die Frage der palästinensischen Flüchtlinge, wohl 400.000, die rechtlos, ohne Jobs und Zukunftsaussichten in- oder außerhalb der zwölf Lager im Lande leben. Für sie eine Lösung zu finden wird Hariri kaum gelingen. Das muss einer umfassenden Friedensperspektive für den Nahen Osten überlassen bleiben.

Doris Bulau ist freie Journalistin, sie lebt zur Zeit in Amman. Für Hintergrund berichtet sie aus Nah- und Mittelost.

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