Weltpolitik

Keine vernünftigen Zweifel mehr

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Der Westen bereitet sich auf einen Angriffskrieg gegen Syrien vor. Deutschland und seine Kriegshetzer mischen mit –

Von THOMAS EIPELDAUER, 27. August 2013 –

Am 5. Februar 2003 sprach der damalige US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat. Er sei gekommen, um den UN-Kollegen „zusätzliche Informationen zur Verfügung zu stellen, um mit Ihnen zu teilen, was die Vereinigten Staaten über die Massenvernichtungswaffen des Irak sowie die Verwicklungen des Irak in den Terrorismus wissen“. (1) Die Rede, die Powell mittlerweile selbst als „Schandfleck“ seiner Laufbahn bezeichnet, eröffnete den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak. „Lüge auf Lüge auf Lüge“, überschrieb die Huffington Post einen Text zum zehnten Jahrestag von Powells Märchenstunde. (2)

Nun steht John Kerry vor der Weltöffentlichkeit. Powells Amtsnachfolger hat „kaum Zweifel“ daran, dass es syrische Regierungstruppen waren, die vergangenen Mittwoch in der Region Ghuta nahe der Hauptstadt Damaskus Zivilisten mit Chemiewaffen angegriffen haben. Beweise gibt es dafür zwar keine, das Assad-Regime dementiert nachdrücklich, eine UN-Untersuchung zu dem Vorfall ist nicht abgeschlossen.

„Kaum noch einen vernünftigen Zweifel“

Aber wer braucht schon Beweise? Der Welt-Kommentator Richard Herzinger jedenfalls nicht:  „Muss der Westen in Syrien eingreifen? Ja!“ Denn Richard Herzinger, offenkundig tausende Kilometer entfernt vom Ort des Geschehens, weiß: „Es kann kaum noch einen vernünftigen Zweifel darüber geben, dass das syrische Regime (beziehungsweise von ihm ausgerüstete Milizen) Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat.“ Es sei jetzt unumgänglich, zur „Aufrechterhaltung der Mindeststandards einer friedlichen Staatenordnung“ Krieg zu führen, weiß der Dialektiker Herzinger. Außerdem geht es jetzt um „Menschenrechte“ und darum, dass der den „letzten Rest seiner moralischen Glaubwürdigkeit nur bewahren könne, wenn er jetzt ein- und angreift. (3) Einig darf sich Herzinger hier mit John Kerry wissen, denn auch den plagt nicht nur seines, sondern gleich das „Gewissen der Welt“. Es sei gegen jeden „moralischen Kodex“ verstoßen worden.

Dieses manichäische Weltbild, in dem der Westen und insbesondere die USA zum grundsätzlich nur aus humanitären Beweggründen handelnden Reich des Guten stilisiert wird, während die Gegner zum Bösen schlechthin verklärt werden, verstellt den Blick darauf, warum „vernünftige Zweifel“ tatsächlich angebracht sind, wenn es um die Zuordnung des Giftgasangriffs in Gutha geht. Ist der Gegner einmal zum Diabolischen an sich erklärt, kann man ihm nämlich nicht einmal mehr das rationale Interesse am eigenen Machterhalt zugestehen. Der Schurke tötet nur aus Lust am Töten, und weil ihm Bomben nicht genug Spaß machen, nimmt er eben Sarin. Irgendeinen politischen oder militärischen Sinn hat es aus syrischer Perspektive nämlich nicht, ausgerechnet kurz nach der Ankunft von UN-Inspektoren selbst chemische Waffen einzusetzen und dem Westen den lang gesuchten Kriegsgrund zu liefern.

Ein Beweis für die Unschuld Assads ist das freilich nicht, aber es sollte einen genau zu jenem „vernünftigen Zweifel“ veranlassen, der dem Powell-Nachfolger und dem glücklicherweise wesentlich bedeutungsloseren Welt-Autoren abhanden gekommen ist.

Ein leichtsinniger Fehltritt

Hinzu kommt, dass es sich nicht um die erste Debatte zum Einsatz von chemischen Kampfstoffen im syrischen Bürgerkrieg handelt. Am 13. April soll in Scheich Maksud, einem kurdisch dominierten Viertel von Aleppo Giftgas, Sarin, zum Einsatz gekommen sein. Anfang Mai meldete sich Carla Del Ponte, Mitglied der unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen, zu Wort: Es gebe „starke konkrete Verdachtsmomente, aber noch keine unbestreitbaren Beweise“, dass chemische Waffen zum Einsatz gekommen seien. Allerdings: „Ich war etwas verblüfft über die ersten Hinweise, die wir bekamen … Sie drehten sich um die Verwendung von Nervengas durch die Opposition.“ (4) „Wir haben Zeugenaussagen von Ärzten, Flüchtlingen in benachbarten Ländern und Krankenhausmitarbeitern, dass chemische Waffen verwendet wurden – nicht von der Regierung, aber von der Opposition“, so Del Ponte. (5)

Auf „vernünftige Zweifel“ musste man damals nicht lange warten. Das Weiße Haus ließ verlautbaren, man sei „hochgradig skeptisch“ und distanzierte sich von Del Ponte. Springers Welt, immer brav auf transatlantischer Linie, nannte Del Pontes Aussagen einen „leichtsinnigen Fehltritt“ und kritisierte die „vorschnellen Ahnungen“ der UN-Ermittlerin. Der Vorfall verschwand rasch aus den Medien, ebenso rasch wie das Rebellenmassaker bei Khan al-Assal. (6) Konsequenzen gab es keine, denn schließlich morden die Al-Nusra-Dschihadisten im Dienst der westlichen Wertegemeinschaft.  

Dass man gegenwärtig gut daran täte, nicht aus der Distanz Urteile zu fällen, die letztlich nichts anderes sind als Kriegspropaganda, ist sogar einem aufgefallen, den man wahrlich nicht der Friedensbewegung zurechnen kann: Dem Chef des US-amerikanischen neokonservativen Thinktank Stratfor, George Friedman. Er schreibt: „Al Assad ist ein skrupelloser Mann: Er würde nicht zögern, chemische Waffen einzusetzen, wenn er müsste. Er ist auch ein sehr rationaler Mann: Er würde chemische Waffen nur einsetzen, wenn es seine einzige Option wäre. Im Moment ist es schwer zu sehen, welche verzweifelte Situation ihn dazu gezwungen haben sollte, Chemiewaffen einzusetzen und damit das Schlimmste zu riskieren. Seine Gegner sind gleichermaßen skrupellos, und wir können uns vorstellen, dass sie Chemiewaffen einsetzen, um die USA dazu zu zwingen, zu intervenieren und Assad abzusetzen. Allerdings ist unklar, ob sie Zugang zu chemischen Waffen haben, und würde ihr Manöver aufgedeckt, könnte es sie jegliche westliche Unterstützung kosten. Möglich wäre auch, dass niedrigrangigere Offiziere in Assads Armee Chemiewaffen eingesetzt haben, ohne sein Wissen und vielleicht gegen seine Wünsche. Ebenfalls möglich ist, dass es weit weniger Tote gab, als behauptet. Und es ist möglich, dass einige der Bilder gefälscht sind. Alle diese Dinge sind möglich, und wir wissen schlichtweg nicht, was davon wahr ist.“

Berlin wartet ab

„Vernünftige Zweifel“ haben auch die Bevölkerungen der westlichen Wertegemeinschaft. Einer Reuters-Umfrage zufolge sind sechzigProzent der US-Amerikaner gegen eine Intervention, nur neun Prozent sind für ein Eingreifen. Ähnlich sieht das die deutsche Bevölkerung: In einer repräsentativen Umfrage für das Magazin Stern sprachen sich 69 Prozent der Befragten dagegen aus. Nur 23 Prozent waren dafür. Acht Prozent äußerten keine Meinung.

Derlei ficht nun weder die deutsche, noch die US-amerikanische oder die britische Regierung an. Nach den USA bereitet nun auch die Regierung in London einen Militärschlag vor. Informationen der Washington Post zufolge plane Obama einen zeitlich begrenzten Angriff auf militärische Ziele. Ausgeführt werden soll die Attacke mit von Kriegsschiffen abgefeuerten Marschflugkörpern oder Langstreckenbombern.

In Berlin hat man sich noch nicht entschieden. Allerdings ist die Frage nicht, ob man sich einmischt, sondern wie. Denn parteiübergreifend wissen auch die hiesigen Parteichefs, dass nur Assad als möglicher Täter in Frage kommt, und so kommt man nicht umhin, „eine sehr starke internationale Reaktion“ (Peer Steinbrück, SPD), „Konsequenzen“ (Cem Özdemir, Die Grünen), „eine entschlossene Antwort“ (Angela Merkel, CDU) zu fordern. Einzig Bernd Riexinger von der Linkspartei tanzt aus der Reihe: „Wir wären nicht nur nicht dabei, sondern wir würden wirklich Proteste dagegen organisieren.“

Dem Internetportal German Foreign Policy zufolge intensiviert man in Berlin schon jetzt die nicht-militärische Unterstützung für die syrische Opposition. „Während im Westen die Vorbereitungen für etwaige Angriffe auf Syrien getroffen werden, hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen eingeräumt, mit denen sie die Aufständischen in Syrien systematisch unterstützt.“ Gemeint ist damit unter anderem eine „Arbeitsgruppe wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung“ des westlichen Staatenbündnisses „Friends of Syria“, Aktivitäten der Entwicklungsagentur GIZ in Syrien von einem Büro im türkischen Gaziantep aus und die Eröffnung eines „Verbindungsbüros“ syrischer Oppositioneller in Berlin – gefördert aus Mitteln des Auswärtigen Amts. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, weilt zudem derzeit in der jordanischen Hauptstadt Amman. Er trifft dort unter anderem mit US-amerikanischen, französischen, britischen und türkischen Militärs zusammen. (9)

Hinzu kommt, dass noch nicht klar ist, was im Kriegsfall mit den an der türkisch-syrischen Grenze stationierten Patriot-Raketen geschieht. Linkenchef Bernd Riexinger sagte der Märkischen Allgemeinen Zeitung, das „defensive Mandat der Patriotraketen ist beendet, seit die Türkei sich faktisch zur Kriegspartei erklärt hat. Ihr Abzug ist zwingend, solange der Bundestag nicht neu entscheidet“. (10) Ob ein solcher Abzug allerdings bevorsteht, ist fraglich. Schließlich gibt es keine vernünftigen Zweifel mehr.

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Anmerkungen

(1) http://www.theguardian.com/world/2003/feb/05/iraq.usa
(2) http://www.huffingtonpost.com/jonathan-schwarz/colin-powell-wmd-iraq-war_b_2624620.html
(3) http://www.welt.de/debatte/kommentare/article119405182/Muss-der-Westen-in-Syrien-eingreifen-Ja.html
(4) http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-22424188
(5) http://www.blick.ch/news/schweiz/syrische-rebellen-sollen-giftgas-benutzt-haben-id2293565.html
(6) http://www.nytimes.com/2013/07/27/world/middleeast/soldiers-mass-execution-reported-by-syria-group.html?_r=1&
(7) http://www.stratfor.com/weekly/obamas-bluff?topics=306
(8) http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-grossbritannien-bereitet-militaerschlag-vor-a-918818.html
(9) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58672
(10) http://www.neues-deutschland.de/artikel/831439.syrien-bundesregierung-schwenkt-auf-kriegskurs.html

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