Weltpolitik

Kiews „Anti-Terror-Operation“ vorerst gescheitert

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Massenhafte Befehlsverweigerung der Soldaten stärkt die Aufständischen im Osten des Landes –

Von SEBASTIAN RANGE, 17. April 2014 –

Der von der Kiewer Regierung befohlene Einsatz des Militärs gegen die aufständische Bevölkerung in der Ostukraine hat sich zum Debakel entwickelt. Hunderte Soldaten liefen zu den vermeintlichen „Terroristen“ über oder erklärten ihre Neutralität und verweigerten den Einsatzbefehl. Die als „Anti-Terror-Operation“ bezeichnete Maßnahme konzentrierte sich vor allem auf die Städte Slawjansk und Kramatorsk in der Region Donezk.

Ein erbeuteter Schützenpanzer in Slawjansk. Männer in Uniformen sitzen vor einer russichen Fahne und einer Flagge mit der Aufschrift “Volksfreiwilligenkorps von Donezk”.

In Slawjansk hat die vor der Stadt zusammengezogene 25. Luftlandebrigade den Befehl zum Angriff verweigert. Stattdessen hissten die Soldaten auf ihren Panzern die Fahne Russlands und der „Volksrepublik Donezk“. Entsprechend groß war der Jubel der Bevölkerung, als die Soldaten in der Stadt eintrafen. Ein Teil der Einheit schloss sich den einheimischen Verteidigungskräften an, der Rest ging einfach „nach Hause“, so russische Medien, die von dreihundert Soldaten sprechen. (1) Die Panzer jedoch blieben zurück – bei den Aufständischen.

Gegenüber RIA Novosti erklärte ein Soldat, sie seien geschickt worden, um gegen „russische Invasoren“ zu kämpfen, die die „einheimische Bevölkerung als Geiseln“ genommen hätten. Ihnen hätte sich aber ein völlig anderes Bild ergeben. Es sein keine Separatisten oder Terroristen, sondern nur Einheimische vor Ort gewesen, die friedlich gegen den Militäreinsatz protestierten. (2)

Ein Offizier von der Krim teilte mit, dass sie in der Ostukraine mit Separatisten gerechnet hatten. „Aber gegen friedliche Menschen werden wir nicht kämpfen“, erklärte der Offizier einer ehemals auf der Krim stationierten Einheit, die ebenfalls den Befehl verweigerte. Die Soldaten würden nun bis zum von den Aufständischen geforderten Referendum über den künftigen Status der Region Donezk vor Ort bleiben. „Wir werden die friedlichen Bürger schützen“, so der Offizier. (3)

„Wir haben jetzt unsere eigene Armee von Fallschirmjägern“, erklärte Miroslaw Rudenko,  Kommandeur der „Volksmiliz“ in Donezk, am Mittwoch nach dem Überlaufen der Luftlandebrigade gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. In Donezk wurde nach der Besetzung des Verwaltungsgebäudes vor zwei Wochen die „Volksrepublik Donezk“ ausgerufen. Das Gebäude, auf dem Banner mit Aufschriften wie „Faschismus stoppen“ gehisst sind, ist zu einem symbolträchtigen Ort für die aufständische Bewegung geworden. Entsprechend groß ist die Angst vor einer gewaltsamen Stürmung durch das Militär. Zivile Aktivisten kündigten an, menschliche Schutzschilde zu bilden, um einen Angriff zu verhindern.

Ähnlich der Situation in Slawjansk sieht es in dem gut 15 km entfernten Kramatorsk aus. Auch dort wechselten Soldaten am Mittwoch mitsamt ihren Panzern die Seiten und verbrüderten sich mit den Einwohnern. Eine besondere Schmach für die Kiewer Regierung, denn die friedliche Übergabe der Panzer fand auf einem Flugplatz statt, der in der Nacht zuvor von den Soldaten erobert worden war  und von Kiew als erste Erfolgsmeldung im Kampf gegen „russische Terroristen und Separatisten“ verkündet worden war.

Um das Überlaufen der eigenen Soldaten zu kaschieren, setzte die Kiewer Regierung stündlich neue Falschmeldungen in die Welt. Einmal erklärte sie, das Hissen der russischen Fahne sei eine Finte gewesen, um kampflos in die Städte vordringen zu können. Dann behauptete sie, die Panzer seien unter Anwendung von Waffengewalt herausgegeben worden – obwohl Videoaufnahmen das eindeutig widerlegen. (4) Nun musste sie jedoch eingestehen, dass der Angriffsbefehl massenhaft verweigert wurde und will den ungehorsamen Soldaten vor einem Militärgericht den Prozess machen. Der nach dem Putsch inthronisierte Übergangspräsident Alexander Turtschinow erklärte außerdem, die übergelaufene Fallschirmjäger-Einheit werde aufgelöst.

Der prowestlichen Putschregierung ist der Einfluss und die Kontrolle in der gesamten Region Ostukraine komplett entglitten, entsprechend sind die Stellungnahmen von Panik und Hysterie geprägt. Sie lassen jeden Realitätsbezug vermissen. Dazu zählt auch die Behauptung, es seien russische Soldaten, die die Gebäude in den östlichen Städten des Landes besetzt hielten.

Selbst der Chef der EU-Militäraufklärung, der finnische Admiral Georgij Alafuzoff, hat dem widersprochen. Russische Streitkräfte seien nicht in den Konflikt in der Ostukraine verwickelt. „An den Unruhen sind Menschen beteiligt, die ihren festen Wohnsitz in der Ostukraine haben und mit der aktuellen Situation im Land unzufrieden sind.“ (5)

Um der weiteren Fraternisierung von Armee und Volk Einhalt zu gebieten und zu verhindern, dass noch weiteres Kriegsgerät in die Hände der Aufständischen fällt, ordnete Kiew den Rückzug von 15 gepanzerten Fahrzeugen aus dem Gebiet Donezk an. Diese waren zuvor von Anwohnern blockiert worden.

Putin fordert „echten Dialog“

Unterdessen forderte Russlands Präsident Wladimir Putin Verhandlungen zur Lösung der Staatskrise in der Ukraine. Weder Flugzeuge noch Panzer könnten die Krise dort beenden, sagte Putin am Donnerstag in Moskau. In der landesweiten Live-Fernsehsendung Direkter Draht verurteilte er die Gewalt der nicht gewählten ukrainischen Führung gegen die eigene Bevölkerung: „Das ist noch ein schweres Verbrechen der heutigen Machthaber in Kiew.“

Zugleich erinnerte Putin daran, dass er vom Föderationsrat in Moskau die Erlaubnis für einen Militäreinsatz in der Ukraine habe, um russische Bürger zu schützen. „Ich hoffe sehr, dass ich von diesem Recht keinen Gebrauch machen muss und dass die politisch-diplomatischen Mittel ausreichen, um die schärfsten Probleme zu lösen“, sagte Putin.

Aufrufe an die prorussischen Uniformierten, die Besetzungen von Gebäuden zu beenden und die Waffen niederzulegen, nannte er „gut und richtig“. Allerdings müssten auch die Einheiten der „nicht legitimen Regierung in Kiew“ die Waffen niederlegen. „Sind die dort jetzt völlig bescheuert geworden?“, sagte Putin angesichts der „Anti-Terror-Operation“ der Regierung gegen Demonstranten.

Der Kremlchef betonte, dass Russland die neuen Machthaber in Kiew nach dem „verfassungswidrigen Sturz“ von Präsident Viktor Janukowitsch nicht anerkenne. Die Regierung verfüge über kein „gesamtnationales Mandat“

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Titelthema: Ukraine

Schwerpunkt: Forschung für das Militär

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Nötig seien für die Ukraine eine neue Verfassung sowie Wahlen. Allerdings warnte Putin, dass Russland die für den 25. Mai angesetzte Präsidentenwahl nicht anerkennen werde, wenn sich die Lage nicht bessere. Insbesondere kritisierte er die gewaltsamen Übergriffe auf prorussische Präsidentenkandidaten sowie Behinderungen im laufenden Wahlkampf. „Das sind absolut unannehmbare Formen“, sagte er.

Der Präsident forderte einen „echten Dialog“ mit der russischsprachigen Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine, die eigene Interessen habe. In der Ostukraine würden nun Politiker gebraucht, zu denen die Menschen dort Vertrauen hätten. Putin lobte dabei den Beginn der ersten internationalen Krisengespräche in Genf mit Vertretern der Ukraine, Russlands, der EU und der USA.

Das am Donnerstag beginnende Spitzentreffen in Genf soll dazu beitragen, eine politische Lösung anzubahnen. Für den Außenminister der von Moskau nicht anerkannten ukrainischen Regierung, Andrej Deschtschiza, und dessen russischen Kollegen Sergej Lawrow ist es die zweite Gelegenheit zu direkten Gesprächen am Verhandlungstisch. An der Vierer-Runde nimmt neben der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton auch US-Außenminister John Kerry teil.

Für den Fall eines – von den meisten Beobachtern als wahrscheinlich betrachteten – Scheiterns der Genfer Verhandlungen wollen die USA nach Angaben ihres Regierungssprechers Jay Carney Kurs auf eine deutliche Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nehmen. „Wir bereiten aktiv neue Sanktionen vor“, sagte er laut Mitteilung der Genfer US-Mission. Man hoffe aber, dass Moskau jetzt „Bereitschaft zur Deeskalation“ demonstriere – während die NATO an ihren Ostgrenzen ihre militärische Präsenz deutlich verstärken will.

(mit dpa)

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Anmerkungen

(1) http://rt.com/news/ukraine-troops-withdraw-slavyansk-940/

(2) ebd.

(3) http://de.ria.ru/security_and_military/20140416/268291000.html

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(5) http://de.ria.ru/zeitungen/20140417/268294652.html

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