Weltpolitik

Kolumbien: Stillstand bei Friedensverhandlungen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 16. Oktober 2013 –

Vergangenes Wochenende wurden die Probleme der kolumbianischen Friedensgespräche besonders deutlich: Beide Seiten trennten sich in Kubas Hauptstadt Havanna, ohne den Abschluss einer weiteren Verhandlungsrunde in einer gemeinsamen Mitteilung zu kommentieren. Ein Jahr nach Beginn der Verhandlungen ist die Atmosphäre zwischen der kolumbianischen Regierung und den linksgerichteten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) vergiftet.

Statt einer gemeinsamen Mitteilung kam es zu den inzwischen zur Routine gewordenen Sticheleien. „Am 18. November wird es ein Jahr her sein, dass wir den Dialog (mit den Farc) aufgenommen haben, ich erwarte, bis dahin Ergebnisse erreichen zu können“, erklärte Präsident Juan Manuel Santos vergangene Woche. Auch der Chefunterhändler der Regierung, Humberto de la Calle, forderte die linke Guerillaorganisation zu mehr Engagement bei den Verhandlungen auf, die zu langsam voranschreiten würden. „Der Frieden verdient es, dass man sich alle Zeit nimmt“, antwortete Guerilla-Sprecher Luis Alberto Albán in Havanna.

Beim gefeierten Auftakt der Friedensgespräche am 18. Oktober 2012 in Oslo war das Verhältnis noch von vorsichtigem Optimismus geprägt. Allerdings ging die Regierung nicht auf das Waffenstillstandsangebot der Revolutionären Streitkräfte ein, denen ungefähr zehntausend Kämpfer angehören. Stattdessen fährt sie zweigleisig: Schon bei der Ankündigung, Friedensverhandlungen mit der Farc-Guerilla aufzunehmen, hatte Santos in einer Fernsehansprache unterstrichen, dass der Militäreinsatz auch während der Gespräche nicht eingestellt werde. Noch am selben Tag wurden in Kolumbien neun Farc-Mitglieder getötet, innerhalb der drei folgenden Tage weitere dreißig Angehörige der marxistischen Gruppe, die in den 1960er Jahren als bewaffneter Flügel der Kommunistischen Partei gegründet wurde.  

Deren heutiger Anführer, Timoleon Jiménez, kritisierte die Verweigerung eines Waffenstillstands, sagte die Teilnahme der Farc an den Friedensgesprächen aber zu. „Die Tür zur Hoffnung ist wieder geöffnet. Der Frieden ist eine Frage für alle“, erklärte er anlässlich der Aufnahme der Verhandlungen.

In dem seit fast 50 Jahre dauernden Konflikt, der seine Wurzeln in der extremen sozialen Ungleichheit hat, sind mehr als 200 000 Menschen getötet wurden. Millionen Kolumbianer wurden von ihrem Land vertrieben.

Deren Schicksal war Inhalt einer ersten Einigung zwischen Regierung und Guerilla Ende Mai über eine Agrarreform. Es war der erste von insgesamt fünf Punkten auf der vereinbarten Friedensagenda, an deren Ende der Übergang der Farc-Guerilla zu einer legalen politischen Bewegung stehen soll. Doch die Gespräche verlaufen zäh, man ist nach knapp einem Jahr gerade erst beim zweiten Punkt angekommen.

Zäh und wenig erfolgversprechend verläuft auch die Umsetzung der Agrarreform,  die unter anderem vorsieht, Opfer von Landraub und Vertreibung zu entschädigen.

Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kommt die Rückgabe von im Bürgerkrieg gestohlenen Ländereien kaum voran. Vertriebene, die ihre Grundstücke zurückforderten, würden häufig bedroht und manchmal getötet, hieß es in einem vor einem Monat veröffentlichten Bericht.

„Präsident Santos hat einen ernsthaften Versuch unternommen, Ländereien zurückzugeben, aber Gewalt und Drohungen gegen vertriebene Familien könnten diese Menschenrechtsinitiative scheitern lassen“, sagte der HRW-Regionalleiter José Miguel Vivanco.

Seit 1985 wurden im kolumbianischen Bürgerkrieg knapp fünf Millionen Menschen aus ihren Heimatorten vertrieben. Vor allem die rechtsgerichteten Paramilitärs eigneten sich häufig die Ländereien der Flüchtlinge an. Die Rückgabe der gestohlenen Grundstücke gilt als entscheidend für den nationalen Versöhnungsprozess.

Straffreiheit für rechte Mörder

Zentral für diesen ist auch der Umgang mit den von allen Seiten begangenen Menschenrechtsverletzungen. In diesem Zusammenhang werfen Kritiker der Regierung vor, den rechtsextremen Paramilitärs und ihren Todesschwadronen praktisch Straffreiheit gewährt zu haben, als die unter dem Dachverband „Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens“ (AUC) agierenden Paramilitärs unter Santos Amtsvorgänger Álvaro Uribe aufgelöst wurden.

Rechtliche Grundlage für die zwischen 2003 und 2006 erfolgte Demobilisierung bildet das „Gesetz über Gerechtigkeit und Frieden“, das den ehemaligen Angehörigen der rechten Bürgerkriegsarmee Straffreiheit gewährt.

Laut kolumbianischer Staatsanwaltschaft stellten sich Tausende Paramilitärs während dieser Zeit unter den Schutz des Sondergesetzes. Sie hatten insgesamt etwa 25 000 Morde eingestanden. Aus ihren Aussagen ging auch hervor, dass Polizei- und Militäreinheiten Massaker an der Zivilbevölkerung in Auftrag gegeben und die von Großgrundbesitzern gegründete AUC auch aktiv bei den Mordaktionen unterstützt hatten. (1)

Doch auch nach ihrer Demobilisierung verfügen die „Vereinigten Bürgerwehren“ über beträchtlichen Einfluss auf die Politik und unterhalten nach wie vor beste Kontakte zu den Drogenkartellen sowie zum Militär und zum Geheimdienst. „Eine sinkende Präsenz der AUC in ihren Einflussgebieten konnte allerdings bisher nicht beobachtet werden“, beschreibt Wikipedia die Lage, nachdem die Paramilitärs ihre Waffen offiziell abgegeben hatten.

Von allen Bürgerkriegsparteien zeichneten sich vor allem die in den AUC organisierten Gruppen durch besondere Grausamkeit aus. In Massakern schlachteten sie die Einwohner ganzer Dörfer ab, wobei sie sich oftmals in Uniformen der Farc kleideten, um den Hass der Bevölkerung auf ihren linken Feind zu schüren. Kennzeichnend für ihr bestialisches Vorgehen war auch der Umgang mit Gefangenen, die sie mitunter Krokodilen lebendig zum Fraß vorwarfen. (2)

Auch nach Auflösung der AUC wurden Zivilisten oftmals zur Zielscheibe im offiziösen Kampf gegen den Terrorismus.

So soll die kolumbianische Armee laut einem Bericht einer katholischen Nichtregierungsorganisation in den Jahren 2005 bis 2008 fast eintausend unschuldige Zivilisten ermordet haben, die anschließend als Guerillakämpfer präsentiert wurden. (3)

Bereits in den 1980er Jahren gab es den Versuch seitens hochrangiger Farc-Mitglieder, den Weg des bewaffneten Kampfes zu verlassen. Sie gründeten die Patriotische Union, die 1986 als politische Partei zu den Wahlen zugelassen wurde. In den Folgejahren wurden Tausende Funktionäre und Mitglieder der Partei von rechtsextremen Todesschwadronen ermordet und entführt. Dabei soll es laut Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International auch zur Kollaboration staatlicher Sicherheitskräfte mit den Paramilitärs gekommen sein.

Vor diesem Hintergrund herrscht großes Misstrauen innerhalb der Farc ob des vorhandenen Willens der Regierung, wirklich an einer politischen Lösung interessiert zu sein – zumal eine solche nur mit nachhaltigen sozialen Reformen erreicht werden kann.  

Kolumbien: Traditioneller US-Vasall

Für Präsident Santos, der der traditionellen Oligarchie entstammt, die seit über einem halben Jahrhundert die politische Gewalt usurpiert, steht viel auf dem Spiel. 2014 stehen in Kolumbien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an, und der Staatschef will erneut kandidieren. Ohne einen Durchbruch in Havanna könnte er es schwer haben, wieder in den Präsidentenpalast einzuziehen.

Ein Friedenschluss mit der Guerilla ist für den Präsidenten allerdings ohnehin nur ein Zwischenschritt auf dem Weg künftiger militärischer Auseinandersetzungen.  

„Wenn es uns gelingt, Frieden zu erreichen, wird sich unsere Armee in einer viel besseren Position befinden, um sich internationalen Angelegenheiten zu widmen“, erklärte Santos im Juni, nachdem er verkündet hatte, dass sein Land ein Abkommen über die Zusammenarbeit mit der NATO abschließen werde. (4) Das Abkommen sei ein Zwischenschritt zu einer angestrebten Mitgliedschaft in dem Militärbündnis. Ein Sprecher des linken Bündnisses Marcha Patriótica, David Flórez, nannte die Ankündigung besorgniserregend. Die Entscheidung der Regierung „skizziert vor allem eine Politik, die weiterhin den Krieg und den bewaffneten Konflikt innerhalb unseres Landes vertieft”, so David Flórez. Sie eröffne auch die Aussicht auf weitere militärische Einmischungen durch die USA.

Und die ist bereits beachtlich. Die Vereinigten Staaten unterhalten gegenwärtig neun Militärstützpunkte in dem südamerikanischen Land. Nutzungsverträge räumen den USA völlige Freiheit bei ihren militärischen Aktivitäten ein. Diese sind weder auf das Territorium des Landes, noch auf Anti-Drogen- und Terroroperationen beschränkt und können für jedwede Art von Operation gegen jedes Ziel in Südamerika genutzt werden. In einem Dokument der US Air Force heißt es, dass das US-Militär von Kolumbien aus „die ständige Bedrohung durch anti-amerikanische Regierungen in der Region“ bekämpfen würde. (5)

Und diese sieht Washington vor allem in dem ALBA-Staatenbündnis gegeben, das sich für eine stärkere Unabhängigkeit Lateinamerikas gegenüber dem „Großen Bruder“ im Norden einsetzt.  

Der bolivianische Präsident Evo Morales nannte Kolumbiens angekündigte Kooperation mit der NATO entsprechend einen Akt der Aggression, Provokation und Verschwörung gegen „antiimperialistische Regierungen, gegen Venezuela, Nicaragua, Ecuador und Bolivien“.

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(mit dpa)

Anmerkungen
(1) http://derstandard.at/1254310303002/Rechtsextreme-Paramilitaers-gestehen-insgesamt-25000-Morde
(2) http://www.hintergrund.de/201111241806/politik/welt/lebendig-an-krokodile-verfuettert-staatliche-und-paramilitaerische-gewaltexzesse-in-kolumbien.html
(3) https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/11-23/055.php
(4) http://www.hintergrund.de/201306042602/kurzmeldungen/aktuell/aufregung-ueber-kolumbiens-nato-ambitionen.html
(5) http://amerika21.de/hintergrund/2009/Grund-zur-Sorge-l111109

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