Weltpolitik

Massaker im Failed State

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Im libyschen Sirte haben Kämpfer der Miliz Islamischer Staat einen Aufstand gegen ihre Terrorherrschaft niedergeschlagen –

Von THOMAS EIPELDAUER, 17. August 2015 – 

Fünf Tage lang hatten Rebellen in der Heimatstaat des früheren Machthabers Muammar al-Gaddafi gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft. Regionalen Medien zufolge hatten sich vor allem Angehörige des Ferjani-Stammes gegen den IS erhoben, nachdem dieser einen konservativen Kleriker, Khalid bin Rajab Ferjani, ermordet hatte. Khalid bin Rajab Ferjani soll zuvor den Dschihadisten die Kontrolle über die Moschee, in der er als Imam tätig ist, verweigert haben. (1)

Kämpfer des Ferjani-Stammes hatten daraufhin zum Aufstand gegen den Islamischen Staat gerufen, wurden aber militärisch geschlagen. Der IS kündigte eine “spektakuläre Vergeltung” an und tötete mehrere Dutzend Angehörige der Ferjanis. Das Politmagazin Middle East Eye berichtet unter Berufung auf Augenzeugen vor Ort, dass Kämpfer der vor allem in Syrien und im Irak operierenden Islamistengruppe einen Bezirk Sirtes, der als Hochburg der Aufständischen galt, umstellt haben. “Es gab Verwundete, die buchstäblich auf der Straße starben, aber niemand konnte hinein, um ihnen zu helfen. Wir wissen von mindestens 40 Personen, die während der Kämpfe getötet wurden, aber wir befürchten, dass es viel mehr Tote in Bezirk Drei gibt, von denen wir noch nichts wissen”, erzählt der Augenzeuge. (2) Internationalen Medien zufolge soll der IS nach der Niederschlagung des Aufstands begonnen haben, Menschen zu köpfen und ihre Körper an Kreuzen aufzuhängen. (3)

Der Vorfall wirft erneut ein grelles Licht auf die Machtverhältnisse im ölreichsten Staat Nordafrikas. Libyen ist, nachdem eine Koalition aus westlichen Staaten und lokalen Rebellengruppen den vormaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi gestürzt hatte, zu einem Failed State geworden, in dem keinerlei zentralstaatliche Gewalt mehr ausgeübt wird. Unterschiedliche Milizen bekämpfen einander im Krieg um Pfründe und Einfluss.

In dieser Atmosphäre konnte auch ein örtlicher Ableger des Islamischen Staates Fuß fassen. Der IS kontrolliert mittlerweile mehrere Regionen des Landes, neben Sirte auch Darna in der Cyrenaika. Die deutsche Bundesregierung hatte bereits im Juni 2015 in einem vertraulichen Bericht vor dem Aufstieg des IS in Libyen gewarnt. Das Sicherheitsvakuum im Land erlaube den Dschihadisten die weitere Destabilisierung Libyens und der gesamten Region, so zitierte der Spiegel. (4)

Nach dem Massaker in Sirte bemühen sich diverse westliche Regierungen nun um eine Verurteilung der Gräueltaten des IS. “Wir sind zutiefst besorgt über Berichte, dass diese Kämpfer (gemeint ist der IS, T.E.) dicht besiedelte Gebiete in der Stadt beschossen haben und willkürliche Akte zur Terrorisierung der libyschen Bevölkerung begingen”, heißt es in einer Stellungnahme des US-Außenministeriums. (5)

Dass das “Sicherheitsvakuum” in Libyen, das jene “willkürlichen Akte zur Terrorisierung der libyschen Bevölkerung” überhaupt erst möglich machte, eine Folge imperialistischer Machtpolitik des Westens ist, bleibt hingegen unthematisiert. Nach dem Sturz und dem Lynchmord an al-Gaddafi stabilisierte sich das Land nicht mehr. Diese Entwicklung dürfte sogar aus der imperialen Perspektive US-amerikanischer Politplaner nicht unbedingt förderlich sein. “Die größte Bedrohung für die internationale Sicherheit ist die wachsende Zahl an Failed States”, schreibt Richard W. Rahn in der Washington Times. Rahn kritisiert den “Triumpf” der Obama-Administration in Libyen, das nun ein “gescheiterter Staat ohne funktionierende Regierung” sei. “Libyen wurde auch eine der wichtigsten Nachschublinien für Waffen für den Islamischen Staat und andere radikale Gruppen”, konstatiert Rahn.

Die imperiale Politik des Westens in der Region ist eng verknüpft mit dem Aufstieg und der Stärke von Terrormilizen wie dem IS. Jene Massaker, die der IS jetzt im Irak, Syrien und in Libyen verübt, wären ohne die Geopolitik des Westens nicht möglich gewesen.

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Anmerkungen

(1) http://www.middleeasteye.net/news/kill-dozens-libyas-sirte-putting-down-uprising-local-tribe-1552623645
(2) http://www.middleeasteye.net/news/islamic-state-militants-step-reign-terror-massacre-libyan-town-1272577277
(3) http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/isis-militants-crucify-headless-corpses-and-burn-down-hospital-as-battle-for-sirte-intensifies-10458045.html
(4) http://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-bundesregierung-warnt-vor-is-aufstieg-a-1039124.html
(5) http://www.channelnewsasia.com/news/world/us-other-nations-condemn/2055264.html
(6) http://www.washingtontimes.com/news/2015/jul/6/richard-rahn-the-rise-of-the-failed-states/

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