Weltpolitik

Mehr Fairness im Fall Assange bitte

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1345211689

Die Medienattacken gegen Ecuador schießen weit über ihr Ziel hinaus

Von THOMAS WAGNER, 17. August 2012 –

Einen Tag nachdem die Regierung Ecuadors ihre Entscheidung bekannt gegeben hat, dem Wikileaks-Gründer Julian Assange politisches Asyl zu gewähren, überschlagen sich die Presseattacken auf den Staat, dessen moderat linksgerichtete Regierung eine Schlüsselrolle für die demokratische Erneuerung Lateinamerikas spielt. „Dass sich ausgerechnet eine Regierung wie die Ecuadors als Verteidigerin der Menschenrechte aufspielen kann, ist beschämend“, kommentierte die FAZ, ohne zu begründen, weshalb sie die ecuadorianische Regierung rhetorisch ohrfeigen zu dürfen glaubt. (1)

Unfaire Berichterstattung

Besonders beliebt ist die Behauptung, der amtierende Präsident Rafael Correa sei selbst ein tatkräftiger Feind der freien Meinungsäußerung. So bewertet die konservative britische Zeitung The Times das ecuadorianische Asyl-Angebot als den kalkulierten und heuchlerischen PR-Coup  eines Präsidenten, der sich seit seiner Regierungsübernahme angeblich darin übt, Fernsehsender zu schließen und Zeitungsherausgeber ins Gefängnis zu stecken. Um die Presse- und Meinungsfreiheit in dem Land sei es „zunehmend schlecht bestellt“, meint auch Die Wochenzeitung Die Zeit.  (2)

Und wie kaum anders zu erwarten, urteilte das Springerblatt Die Welt: „Für Ecuadors Präsident Rafael Correa ist der Fall Assange eine ideale Gelegenheit, seinen Ruf als pressefeindliches Staatsoberhaupt reinzuwaschen.“  (3) Geflissentlich unterschlagen wird in den meisten Kommentaren dieser „Leitmedien“, dass die nach hiesigem Verständnis linksliberal orientierte Regierung in Quito sich erst 2010 gegen einen rechtsgerichteten Putsch zur Wehr setzen musste, bei dem der von meuternden Sicherheitskräften entführte Präsident nur knapp mit dem Leben davon kam.

Als El Universo, die mächtigste private Tageszeitung des Landes, daraufhin nicht die Putschisten, sondern den Präsidenten beschuldigte, bei seiner Befreiung Todesopfer billigend in Kauf genommen und damit selbst ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben, wurden Chefredakteur Emilio Palacio und die Direktoren der Zeitung zunächst zu je drei Jahren Haft und insgesamt 40 Millionen US-Dollar Schadensersatz verurteilt, schließlich aber vom Präsidenten begnadigt. (4)

In den Augen des Leiters des Fachbereichs Wissenschaft und Menschenrechte der Deutschen UNESCO-Kommission, Lutz Möller, hat Ecuadors progressive Regierung entgegen anderslautender Meldungen in Sachen Menschenrechte große Fortschritte gemacht. Bei jenen ecuadorianischen Gesetzen, die heute von Menschenrechtsorganisationen noch zurecht beanstandet werden, handelt es sich nach Aussage des ecuadorianischen Botschafters in Deutschland, Jorge Jurado, um solche, die der heutigen Regierung von ihren reaktionären Vorgängern überlassen wurden und zum Teil schon dreißig Jahre alt sind. „Wir haben ein schweres Erbe mit dieser Gesetzgebung, aber wir versuchen, die Gesetze nach und nach zu reformieren“, sagte der Diplomat auf einer Veranstaltung in Berlin, auf der er um mehr Fairness bat. (5)

Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft

Die Asyl-Entscheidung zugunsten von Julian Assenge darf  keinesfalls als eine kalkulierte Provokation der USA und ihrer Verbündeten verstanden werden. Sie ist vielmehr die außenpolitische Seite eines bemerkenswerten Kurswechsels des heute von demokratischen Reformern regierten Ecuadors. Nicht mehr die materiellen Interessen der Eliten stehen im Vordergrund, sondern die Durchsetzung sozialer und politischer Bürgerrechte mit friedlichen Mitteln und in Zusammenarbeit mit progressiven Kräften aus der Zivilgesellschaft.

Bereits im Juni hatte das ecuadorianische Außenministerium ein Petition von damals 5.000 (heute weit über 8.000)  teils sehr prominenten Bürgerrechtlern, Künstlern und Intellektuellen erhalten, in der es darum gebeten wurde, dem Asylersuchen von Assange zu entsprechen. Die Tatsache, dass zu den prominenten Unterzeichnern der von der Internet-Plattform „Just Foreign Policy“ gestarteten Petition (6) neben Oliver Stone, Michael Moore, Noam Chomsky, Daniel Ellsberg, Naomi Wolf, Glenn Greenwald, Danny Glover, Jemina Khan und  TV-Moderator Bill Maher „auch ein Ex-FBI-Agent, ein ehemaliger CIA-Beamter und ranghohe Ex-Militärs“ (7) gehören, belegt, dass die Befürchtung, dass Assange nach seiner Auslieferung nach Schweden mit einer Verfolgung durch die US-Behörden rechnen müsse, kein Hirngespinst ist, sondern von ausgesprochenen Kennern der Materie geteilt wird. Zurecht ruft die taz in Erinnerung, dass der Wikileaks-Gründer dem US-Establishment als „High-Tech-Terrorist“ (Mitch McConnell, Führer der Republikaner im US-Senat) gilt, der zum „Angriff nicht nur gegen die USA, sondern ebenso gegen die internationale Gemeinschaft“ (US-Außenministerin Hillary Clinton) geblasen hätte.(8)

Solidarität mit Ecuador

Auch der deutsche Linkenpolitiker Wolfgang Gehrcke ist der Ansicht, dass die Befürchtungen, die USA könnten versuchen, auf Assange zuzugreifen, nicht aus der Luft gegriffen sind. „Das zeigt das Vorgehen der US-Administration gegen den Whistleblower Mannings und gegen die sogenannten  Cuban Five, die nunmehr seit mehr als 10 Jahren in US-Gefängnissen sitzen”, teilte er am Freitag in einer zunächst per e-Mail verteilten und HINTERGUND vorliegenden Presserklärung mit, die Ecuadors souveräne Entscheidung über den Asylantrag von Assange begrüßte und die Drohgebärden der britischen Regierung zurückwies. (9)

Statt darauf zu beharren, Assange nach Schweden auszuliefern, solle die britische Regierung endlich dem Vorschlag seiner Verteidigung folgen und die erwünschte Befragung Assanges zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen sexueller Belästigung in der ecuadorianischen Botschaft durchführen.

Der ecuadorianische Botschafter in Deutschland, Jorge Jurado, hat die Position Ecuadors in einem Gastkommentar für die Tageszeitung junge Welt bekräftigt. Die Drohungen Großbritanniens gegenüber seinem Land wertete er darin als „einen unfreundlichen und sogar feindlichen Akt“. (10) Und weiter: „Ein in Großbritannien existierendes Gesetz, auf das sich die Behörden des Landes berufen und das es der eigenen Regierung erlaubt, einseitig den diplomatischen Status einer Botschaft aufzuheben, kann nicht die völkerrechtlichen Normen außer Kraft setzen, die jedes Eindringen der Behörden eines Gastgeberlandes in die diplomatische Vertretung eines anderen Staates strikt und ausdrücklich untersagen.“

Unterdessen geht die Kraftprobe um Assange auf diplomatischer Ebene weiter. Am Sonntag wollen sich in Ecuador die Außenminister des südamerikanischen Staatenbundes Unasur treffen, um eine gemeinsame Haltung in der Frage zu beraten. Für die nächste Woche soll es auch ein Treffen der Außenminister der Organisation amerikanischer Staaten (OAS) geben.

Bislang noch nicht offiziell bestätigt ist eine per Twitter verbreitete Ankündigung der Enthüllungsplattform Wikileaks, wonach Assange noch an diesem Sonntag vor die Öffentlichkeit treten wolle, um „live“ und „vor der Botschaft Ecuadors“ ein Statement abzugeben. Würde er tatsächlich vor das Gebäude treten, riskierte er damit, von der britischen Polizei festgenommen zu werden. 


Weitere aktuelle Artikel zum Fall Assange:

Asyl, aber doch nicht sicher? Diplomatisches Tauziehen um Julian Assange (16. August 2012)


(1) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wikileaks-gruender-steilvorlage-fuer-assange-11858174.html

(2) http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-08/assange-asyl-hintergrund

(3) http://www.welt.de/politik/ausland/article108657038/Europa-und-USA-verlieren-Einfluss-in-Lateinamerika.html

(4) http://amerika21.de/nachrichten/2012/02/49127/correa-vergibt

(5) http://amerika21.de/nachrichten/2012/07/53342/ecuador-menschenrechte

(6) http://salsa.democracyinaction.org/o/1439/p/dia/action/public/?action_KEY=10891

(7) http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article2321139/Promis-bitten-Ecuador-um-Asyl-fuer-Julian-Assange.html

(8) http://www.taz.de/Kommentar-Assange/!99825/

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

(9) vgl. dazu http://www.hintergrund.de/201208162202/politik/welt/asyl-aber-doch-nicht-sicher-diplomatisches-tauziehen-um-julian-assange.html

(10) http://www.jungewelt.de/2012/08-17/022.php

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltpolitik Asyl, aber doch nicht sicher? Diplomatisches Tauziehen um Julian Assange
Nächster Artikel Weltpolitik „Wir sind alle Assange!“