Weltpolitik

Mehr Tote als in Afghanistan: Kolumbien, der vergessene Konflikt

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 25. März 2011 –

Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse in der arabischen Welt droht ein blutiger Dauerkonflikt in Lateinamerika in Vergessenheit zu geraten, bei dem im vergangenen Jahr deutlich mehr Soldaten und Sicherheitskräften ihr Leben ließen oder verletzt wurden als im Afghanistankrieg im gleichen Zeitraum.  

Der kolumbianische Präsident Manuel Santos musste in seiner Weihnachtsbotschaft an die Streitkräfte vom 24. Dezember 2010 eingestehen, dass allein die Sicherheitskräfte seines Landes im Ablauf des Jahres schon 2.500 Tote und Verletzte zu beklagen hatte. Es kam zu mehr als 400 militärischen Zusammenstößen mit Untergrundkämpfern der FARC, die jeweils länger als 2 Stunden dauerten. Die USA und ihre Alliierten in Afghanistan erlitten 2010 gerade einmal 709 Verluste, während es in Kolumbien mehr als 2.500 waren. (1) Die Zahl der zivilen Opfer ist offiziell nicht bekannt. Aber für Kolumbien wird von Menschenrechtsorganisationen geschätzt, dass in den letzten 20 Jahren 70.000 an den Kämpfen unbeteiligte Zivilisten  getötet wurden. (2)

Seit Jahrzehnten führen linke Rebellen in Kolumbien einen Freiheitskampf gegen die Armee und rechtsextreme Paramilitärs, die von der kolumbianischen Regierung  teils unterstützt, teils geduldet worden sein sollen. In dem Bürgerkrieg sind auf beiden Seiten immer wieder schwere Menschenrechtsverstöße begangen worden.

Erst am Donnerstag hat das kolumbianische Militär ein Lager der Untergrundkämpfer von den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ (FARC) im Westen des Landes angegriffen und dabei  nach eigenen Angaben zehn Gegner getötet. Weitere vier FARC-Mitglieder sollen bei den Kämpfen im Grenzgebiet der Departements Valle del Cauca und Chocó gefangen genommen worden sein.

Eine Woche zuvor waren bei Gefechten und Anschlägen mindestens neun Menschen getötet worden, darunter mehrere Soldaten und Polizisten, aber auch unbeteiligte Zivilisten. Anfang März hatten Spezialeinheiten der Streitkräfte im Osten des Landes 21 von der FARC entführte Ölarbeiter befreit. Kurz zuvor hatten FARC-Kämpfer nach offiziellen Angaben bei einem Überfall auf einen Geldtransport sechs Menschen erschossen und eine Millionenbeute gemacht.   

Unterdessen wurde in der Großstadt Medellín ein Anführer der Bewegung zur Rückgabe geraubten Landes von Killern des Establishments erschossen. David de Jesús Góez (70) setzte sich zusammen mit Mitstreitern dafür ein, dass riesige Ländereien im Chocó, die sich rechtsextreme Paramilitärs Ende der 1990er Jahre angeeignet hatten, an die früheren Eigentümer, meist Kleinbauern, zurückgegeben werden.

Die Paramilitärs hatten damals mit Terror ganze Landstriche entvölkert. Anschließend wurden die gesamte Vegetation vernichtet und alle Bauernhöfe und Dörfer dem Boden gleich gemacht, meist um Palma Africana anzupflanzen. Die Paramilitärs sind zwar inzwischen offiziell aufgelöst, aber dennoch wurden in den vergangenen sechs Monaten neun Menschen umgebracht, die sich für die Rückgabe der Ländereien einsetzten.

Immer noch mischen Menschen im offiziellen politischen Leben Kolumbiens mit, die selbst an blutigen Verbrechen gegen die Bevölkerung beteiligt waren. Erst Anfang der Woche wurde der ehemalige kolumbianische Abgeordnete Carlos Pérez  vom Obersten Gerichtshof in Bogotá wegen eines Massakers an 43 Personen vorgeladen, das im Jahr 1988 im Dorf Segovia verübt wurde. Pérez sei bei der Präsidentschaftskampagne ein Verbündeter von Präsident Santos gewesen, hieß es in kolumbianischen Medien. „Laut Dokumenten der kolumbianischen Staatsanwaltschaft stand der angeklagte Politiker hinter der paramilitärischen Gruppe „Tod den Revolutionären von Nordantioquia“ (MRN). Ziel dieser Todesschwadrone war es, den Norden des Bundesstaats Antioquia von Anhängern und Politikern der damals frisch gegründeten linken Partei Patriotische Union (UP) zu „säubern“. Pérez war der politische Chef der lokalen Liberalen Partei, die traditionell in dem Gebiet regiert hatte. Die Terroraktionen seien eine Reaktion der Liberalen der Region auf die raschen Wahlerfolge der UP gewesen. Das bezeugte ein damals in Segovia arbeitender Priester bei den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft“ hieß es im Internetportal amerika21.de. (3)

Die Menschenrechtsverletzungen der herrschenden Klasse in Kolumbien haben in der Vergangenheit immer wieder Rückendeckung durch die Regierung der USA erhalten. Washington unterhält eine Reihe von Militärbasen in Kolumbien, die immer weiter ausgebaut werden und für Operationen gegen linksgerichtete Regierungen in der Region eingesetzt werden können. (4)

(1) http://amerika21.de/nachrichten/2011/01/19438/tote-kolumbien-afghanistan

(2)  http://www.amnesty1467.de/UnsereGruppe/FlyerKolumbien

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(3) http://amerika21.de/nachrichten/2011/03/25958/kolumbien-santos-massaker

(4) vgl. http://amerika21.de/nachrichten/2011/02/23899/usa-bauen-militaerbasen-aus

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