Weltpolitik

Syrien nächstes Ziel einer internationalen Militärintervention?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 26. April 2011 –

Die seit Wochen andauernden Proteste in Syrien nehmen kein Ende. Ebenso die damit verbundene Gewalt. Für die Eskalation macht die syrische Staatsmacht bewaffnete Banden verantwortlich. Die Demonstranten halten diese Behauptung  nur für einen Vorwand, um die Proteste weiterhin mit Gewalt zu unterdrücken. Mittlerweile wird auch Militär gegen die Regierungsgegner eingesetzt. Die Zahl der Todesopfer kennt niemand genau.

Präsident Assad, der nach dem Tod seines Vaters Hafis al-Assad im Jahr 2000 an die Macht gekommen war, hatte in den vergangenen Tagen mehrere Reformen angekündigt und zum Teil auch beschlossen. Die Aufhebung des Ausnahmezustandes – eine der zentralen Forderungen der Opposition – hatte bislang jedoch keine praktischen Auswirkungen.

Die Regierungen Deutschlands und der USA forderten ihre Bürger auf, das arabische Land zu verlassen. Die USA verurteilten die Gewalt gegen Demonstranten scharf und drohten der Regierung in Damaskus mit „gezielten Sanktionen“. Die US-Führung prüfe eine Reihe von Optionen als Reaktion auf die nicht zu akzeptierende Gewalt gegen Demonstranten, sagte ein Regierungssprecher am gestrigen Montag im Weißen Haus. Sanktionen seien aber nur eine der Optionen – ein Hinweis darauf, dass möglicherweise schon über militärische Optionen nachgedacht wird.

Wie im Fall Libyens erweist sich Frankreich wieder als Scharfmacher. Die Grande Nation will die Europäische Union sowie die Vereinten Nationen zu „starken Aktionen“ gegen die syrische Regierung drängen. Die Führung in Damaskus müsse dazu gezwungen werden, die Anwendung von Gewalt gegen die Bevölkerung zu beenden, erklärte das Außenministerium in Paris am heutigen Dienstag.

Bereits vor einem Monat goss Frankreichs Präsident „Öl ins Feuer“, so das Handelsblatt, als er nach dem EU-Gipfel in Brüssel, der sich mit Libyen beschäftigte, die Drohung aussprach: „Jeder Herrscher muss verstehen, und vor allem jeder arabische Herrscher muss verstehen, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Europas von nun an jedes Mal die Gleiche sein wird“, so Sarkozy während des EU-Gipfels. „Wir werden an der Seite der Bevölkerung sein, die ohne Gewalt demonstriert.“ (1)

Wenn auch unausgesprochen, richtete sich Sarkozys Drohung vor allem gegen Syrien und nicht etwa gegen das Regime in Bahrain, dass mit westlicher Genehmigung alle Proteste blutig unterdrückt und mithilfe saudi-arabischer Truppen systematisch Moscheen der aufbegehrenden schiitischen Bevölkerungsmehrheit zerstören lässt.

Syrien ist schon lange ein Dorn im Auge der westlichen Hegemonieansprüche. Laut dem US-Vier-Sterne General Wesley Clark stand Syrien bereits kurz nach dem 11. September 2001 auf einer Liste von sieben Staaten, die als Ziele zukünftiger militärischer Interventionen der USA galten. Darunter befanden sich auch der Irak,  Libyen und der Iran. (2)

Ein Ende der Herrschaft der Baath-Partei in Syrien sei auch im Interesse Israels, so Itamar Rabinovich, Israels ehemaliger Chefunterhändler bei den Friedensverhandlungen mit Syrien. „Syrien ist ein zentraler Bündnispartner und Kunde des Irans und dient ihm als Brücke zum Libanon, nach Gaza und zum Mittelmeer“, schrieb er in einem Kommentar für die israelische Zeitung Jediot Achronot. Teheran liefere Waffen an die libanesische Hisbollah-Miliz sowie die im Gazastreifen herrschende Hamas. Während die Regimewechsel in Tunesien und Ägypten eher Teheran in die Hände gespielt hätten, sei eine Schwächung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad in diesem Sinne ein „reiner Gewinn“ für Israel, so der Politikprofessor. „Aus regionaler Sicht macht die Schwächung Syriens ein wenig den Schaden wett, den Israel durch den Richtungswechsel in Ägypten erfahren hat.“

Andererseits berge ein möglicher Sturz Assads auch Gefahren für Israel. Die Muslimbrüder seien immerhin die größte organisierte politische Kraft in Syrien. Eine weitere Destabilisierung des Assad-Regimes könne auch zu einer regionalen Krise führen, warnte der ehemalige Unterhändler.

Die USA hätten kein echtes Interesse an einem Regimewechsel in Damaskus. „Im Fall eines Massakers an syrischen Zivilisten hätte die US-Regierung es allerdings schwer, ihre Nichteinmischung zu begründen, nachdem die Einmischung in Libyen mit humanitären Beweggründen erklärt worden war“, erklärte Rabinovich.

Allerdings fällt es den USA nicht schwer, die Nichteinmischung in Saudi-Arabien oder Bahrain zu begründen. Schließlich dürfte auch Rabinovich wissen, dass „humanitäre Beweggründe“ stets nur vorgeschoben werden, um die eigenen machtpolitischen Interessen durchzusetzen.

Unterdessen wird vermehrt in den europäischen Medien zu einem Feldzug gegen Syrien gerufen und die zögerliche Haltung des Westens kritisiert.

Die spanische Zeitung El Mundo schreibt: „Niemand kann bestreiten, dass das Regime in Syrien Massaker an der eigenen Bevölkerung verübt und es eine Parallele zu den Gräueltaten in Libyen gibt. Die Weltgemeinschaft bleibt nun aber stumm. (…) Dies zeigt, dass der Westen mit zweierlei Maß misst. (…) Aber die Syrer haben die Angst überwunden. Der Westen darf sie nicht im Stich lassen.“

Die Nürnberger Zeitung beklagt die Scheu der NATO vor einem weiteren Kriegseinsatz. „Nur Bodentruppen der NATO wären in der Lage, die Gewalt in Misrata zu unterbinden. Doch einen solchen Einsatz scheuen sogar die verantwortlichen Militärs. Von einer zielführenden Strategie also keine Spur. Davon profitiert vor allem der syrische Staatschef Baschar al- Assad, der in den letzten Tagen den Widerstand im Land niederkartätscht hat – ohne Angst haben zu müssen, dass auch seine Städte bombardiert oder von Drohnen angegriffen werden. Grund: Die NATO scheut jeden weiteren Kriegseinsatz.“

Und die schwedische Tageszeitung Dagens Nyheter schreibt: „Wenn Assad hier weiter in den Fußspuren des Libyers Muammar al-Gaddafi wandeln sollte, oder wenn sich der Iran in die syrischen Streitigkeiten einmischt, kann die Umwelt ebenso wenig die Augen davor verschließen wie in Libyen. Man muss den politischen Preis abwägen. Aber das hat mit Anstand zu geschehen.“

Mit Anstand zum nächsten Krieg aufzurufen scheint kein Widerspruch im Selbstverständnis westlicher Demokratiekämpfer zu sein.



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(1) http://www.handelsblatt.com/politik/international/sarkozy-droht-arabischen-diktatoren/3987850.html

(2) http://www.youtube.com/watch?v=v7cSjwkzka0

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