Weltpolitik

Syrien: Rückschlag im Stellvertreterkrieg brüskiert den Westen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1369314436

Von SEBASTIAN RANGE, 23. Mai 2013 –

Die jüngsten militärischen Erfolge der syrischen Armee, über die auch die westliche Berichterstattung nicht hinweggehen konnte, markieren eine drastische Kehrtwende in der öffentlichen Wahrnehmung des Konfliktes.

Noch vergangene Woche wurde in den etablierten Medien beinahe einhellig von einem bevorstehenden Ende des Assad-Regimes fabuliert und von Auflösungserscheinungen der Armee gesprochen. „Jetzt steht die deutsche Presse im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer Berichterstattung. Die Rebellen hochgejubelt, Assad maßlos unterschätzt, alle mahnenden Stimmen in Zweifel gezogen, teilweise sogar lächerlich gemacht – und nun stellt sich heraus, dass die Kritiker des Medien-Mainstreams richtig lagen“, schreibt die junge Welt, die als einzige Tageszeitung Deutschlands konsequent kritisch über die Ereignisse in Syrien berichtet, über die nun als propagandistische Stimmungsmache entlarvte Berichterstattung ihrer Mainstream-Kollegen. (1)

Auch das deutsche Außenministerium teilte die Einschätzung des baldigen Sieges der Opposition und plante bereits für den „Tag danach“ (2) – und steht nun ebenso düppiert da wie der Bundesnachrichtendienst, der mit seinen Berichten diese Fehleinschätzung maßgeblich mit zu verantworten hat.

Noch Ende 2012 hatte BND-Chef Gerhard Schindler die Assad-Regierung in ihrer „Endphase“ gesehen. Nun plötzlich sei die syrische Armee so stark wie lange nicht, so der Auslandsgeheimdienst in einer aktuellen Stellungnahme.

„Die Kursänderung kommt so überraschend, dass man sich fragt: Will uns da jemand für dumm verkaufen? Eine militärische Lage ändert sich doch nicht komplett über Nacht. Und aus einer Armee, die gestern angeblich noch kurz davor war, in alle Himmelsrichtungen davonzulaufen, wird nicht von heute auf morgen ein regimetreues Bollwerk.“ (3)

Hintergrund berichtete bereits vor zwei Monaten, dass die „Rebellen“ nicht in der Lage seien, einen Sieg zu erringen, stattdessen erhebliche Verluste zu verzeichnen hätten und dass das auch vom BND beschworene bevorstehende Ende Assads Propaganda sei – eine Einschätzung, der sich nun auch die Leitmedien aufgrund der nicht zu verbergenden militärischen Erfolge der syrischen Armee gezwungenermaßen anschließen müssen. (4)

Die schamlosen Freunde der Heuchelei

Auch die sich als „Freunde Syriens“ bezeichnende Staatenkoalition, die den in Syrien agierenden Terroristen die Mittel für einen mit Gewalt erzwungenen Regime-Wechsel bereitstellt, vollzieht zumindest rhetorisch eine Kehrtwende. Hat sie bis vor kurzem noch jede Verhandlung mit Vertretern der syrischen Regierung abgelehnt, übt sie nun Druck auf ebenjene aus, an den für kommenden Monat von Russland und den USA angesetzten Verhandlungen teilzunehmen. US-Außenminister John Kerry drohte im Fall eines Fernbleibens vom Verhandlungstisch mit einer Eskalation der Gewalt durch eine verstärkte Unterstützung der „Rebellen“.

Ziel der Gespräche soll die Schaffung einer Übergangsregierung sein. Im Grunde handelt es sich um eine Neuauflage des Ende Juni 2012 in Genf unter Beteiligung des Westens, Russlands und Chinas ausgehandelten Kofi Annan-Plans, der die Bildung einer syrischen Übergangsregierung aus Vertretern der derzeitigen Regierung und der Opposition vorsah, sowie Eckpunkte eines Überganges festlegte. Damals aufkeimende Hoffnungen nach einer friedlichen Lösung wurden aber nur Tage später von den „Freunden Syriens“ enttäuscht, indem sie den Rücktritt Baschar al-Assads zur Vorbedingung für Verhandlungen machten.

Bei einem Treffen in der jordanischen Hauptstadt Amman verabschiedete die Kerngruppe der „Freunde Syriens“, der unter anderen die USA, Deutschland, Saudi-Arabien und die Türkei angehören, in der Nacht zum heutigen Donnerstag eine Erklärung, in der ausdrücklich der Eingriff der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah und iranischer Kämpfer in den Konflikt verurteilt wird. Dabei handele es sich um eine „schamlose Intervention in syrisches Gebiet und eine ernsthafte Bedrohung der regionalen Stabilität“.

Gleichzeitig sprach sich auch Deutschlands Außenminister Westerwelle nach längerem Zögern dafür aus, mindestens den militärischen Arm der Hisbollah von der EU als Terrororganisation einstufen zu lassen.

Ausgerechnet die Vertreter jener Nationen, die mittels ihrer Geheimdienste tausende ausländische Kämpfer – vornehmlich aus dem dschihadistischen Spektrum – nach Syrien brachten, sprechen von Schamlosigkeit. Diese Heuchelei geht einher mit einer Überhöhung der Rolle, die die Hisbollah in dem Konflikt tatsächlich spielt. Die „Intervention“ der Hisbollah beschränkt sich auf die an der Grenze zum Libanon gelegenen Dorfschaften rund um die Stadt Al-Kusair, die vor Tagen zum Großteil von der syrischen Armee zurückerobert wurde. Die Dörfer befinden sich zwar auf syrischem Staatsgebiet, deren Einwohner sind aber vornehmlich libanesische Schiiten und Christen. Die französische Staatsmacht hatte dort in den 1930er Jahren willkürlich eine Grenze gezogen und so die libanesische Bevölkerung auf syrisches Territorium verbannt. Die Hisbollah hat nie einen Hehl daraus gemacht, in dieser Region die Bevölkerung vor Angriffen der „Rebellen“ zu schützen. „Die Dörfer gehören verwaltungstechnisch zur libanesischen nördlichen Bekaa-Ebene, die von der Hisbollah regiert wird. Viele Bewohner sind Anhänger oder Mitglieder der Hisbollah, was deren militärisches Engagement in Al-Kusair erklärt“, so die aus Damaskus berichtende deutsche Journalistin Karin Leukefeld über die Hintergründe. (5)

Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass die Hisbollah außerhalb dieses Gebietes an Kämpfen auf Seiten der syrischen Armee teilnimmt, auch wenn die Propagandaorgane der „Rebellen“ das seit zwei Jahren behaupten.

Die westliche Interventionsgemeinschaft bauscht die Rolle der Hisbollah auch deshalb auf, um die eigene Unterstützung ausländischer Kämpfer in Syrien zu kaschieren beziehungsweise zu rechtfertigen.

EU-Mitglieder wollen „Rebellen“ aufrüsten

Das am Monatsende auslaufende Waffenembargo der EU wird voraussichtlich nicht verlängert werden. Denn dazu wäre ein einstimmiger Beschluss nötig. Frankreich und Großbritannien kündigten bereits an, wenn nötig auch auf eigene Faust Waffen an die „Rebellen“ zu liefern. Europa müsse den Druck auf den Machthaber Assad erhöhen, forderte der britische Premierminister David Cameron. Frankreichs Präsident Hollande unterstützte ihn: „Wir können es nicht hinnehmen., dass es auf der einen Seite ein Regime gibt, das von Russland Waffen bekommt und auf der anderen Seite eine Opposition, die davon ausgeschlossen wird.“

Hollande vergaß zu erwähnen, dass Russland ausschließlich Defensiv-Waffen liefert, deren Kaufverträge bereits vor Ausbruch der Krise abgeschlossen wurden. Zudem ist die „Opposition“ nicht außen vor, was Waffenlieferungen angeht. Alleine aus kroatischen Beständen empfing sie in den vergangenen Monaten über dreitausend Tonnen an Kriegsmaterial. (6)

Innerhalb der EU sorgt die aggressive Haltung Frankreichs und Großbritanniens für Streit. Vor allem Österreich positioniert sich deutlich gegen eine Aufhebung des Embargos. „Wir sind ganz entschieden gegen eine Lockerung“ erklärte Bundeskanzler Werner Faymann. Österreich könne dann seine 370 UN-Blauhelmsoldaten vermutlich nicht mehr auf den Golan-Höhen stationiert lassen, wo sie den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien kontrollieren. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger wies bereits vor Monaten, als noch die Rede von einem bevorstehenden Ende Assads die Gazetten beherrschte, darauf hin, dass der syrische Präsident offenbar noch immer von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werde. (7)

Auch Russland warnte vor der „sehr riskanten“ Aufhebung des Embargos. „Die syrische Opposition ist ein kunterbunter Haufen verschiedener Organisationen“, sagte der russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow der Agentur Interfax. Dabei hätten die moderaten Gruppen deutlich weniger Einfluss als die radikalen. Es sei daher unmöglich sicherzustellen, dass Waffen nicht in den Händen von Islamisten landeten.

Dschihad für Demokratie und Menschenrechte?

Die Bezeichnung „moderat“ ist in diesem Zusammenhang ohnehin äußerst relativ zu betrachten. Kaum einer der Kämpfer der als moderat bezeichneten Gruppen würde hierzulande nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Selbst die vom Westen hofierte und als Gegenpart zu den islamistischen Kämpfern präsentierte „Freie Syrische Armee“ hat jüngst eine nach Osama Bin Laden benannte Brigade ins Leben gerufen. (8)

Das Argument, der Westen könne mit Waffenlieferungen gezielt die moderaten Kräfte unterstützen, entlarvt sich nicht nur aufgrund des Mangels an diesen als Beschwichtigungspropaganda. Denn die Frage des „Könnens“ bleibt zweitrangig, solange ein wirkliches „Wollen“ nicht erkennbar ist. Solange auf einen militärischen Regime-Wechsel gesetzt wird, solange muss der Westen auf die kampfstärksten und am besten organisierten Kräfte vor Ort setzen, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben. Und in diesem Stellvertreterkrieg sind das die Gruppen aus dem salafistischen und dschihadistischen Spektrum. Es ist daher kein Versehen, wenn in der Vergangenheit die vom CIA koordinierten Waffenlieferungen in den Händen von Gruppen wie Ahrar al-Sham landeten. (9) Diese ist neben der sich zu Al-Qaida bekennenden Al-Nusra-Front die kampfstärkste Truppe aus dem islamistischen Spektrum. Im UN-Sicherheitsrat verhinderten Frankreich und Großbritannien, die Al-Nusra-Front auf die „schwarze Liste“ der Organisationen mit Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida zu setzen.

Hanna Ghoneim, christlicher Pater aus Damaskus, zeichnet ein düsteres Bild der Lage, das sich kaum mit der Berichterstattung der Mainstreammedien vereinbaren lässt:

„Alles deutet darauf hin, dass islamische Extremisten (…) die Macht für sich alleine beanspruchen und so das syrische Volk der Scharia unterwerfen wollen. Was wir Syrer nicht nachvollziehen können und uns schockiert, ist, dass dieses verwerfliche Vorhaben von westlichen Weltmächten – unter dem Vorwand der Menschenrechte und Demokratisierung! – sogar unterstützt wird. Erst jetzt sickert allmählich in der hiesigen Medienberichterstattung durch, dass westliche Staaten die Rebellen mit Waffen unterstützen. Mit diesen Waffen wird nicht wirklich die offizielle Armee bekämpft, die noch über ein großes Waffenarsenal verfügt. In erster Linie werden schutzlose und unbewaffnete Zivilisten getötet. Viele junge und ältere Menschen haben sich inzwischen dem Militär angeschlossen, um Waffen zu erhalten und ihre Häuser vor den Rebellen zu verteidigen. (…)

Menschen werden von Rebellen getötet, entführt und gefoltert, von ihren Wohnungen vertrieben, ihre Häuser werden ausgeraubt, sie werden erpresst, Frauen vergewaltigt und Kinder missbraucht. Vielerorts werden Bombenanschläge verübt, Massaker finden statt, Häuser werden nach Bombenanschlägen geplündert und verwüstet. Ausländische Rebellen dringen im Namen des Islam in die Häuser der Zivilisten ein mit der Begründung: Sie möchten das Land von der Diktaturmacht befreien. Die Bewohner bekommen Angst und fliehen Hals über Kopf in einen sicheren Ort. Wer gegen die sogenannte „Freie Armee“ der Rebellen ist, wird kurzerhand von ihnen hingerichtet, enthauptet oder erschossen. Solche Gräueltaten, die tagtäglich vorkommen, werden dann per Video von den Rebellen selber aufgenommen und im Internet triumphierend präsentiert.“

Was die gegenwärtige Verfolgung von Christen betrifft, komme diese eher aus dem Westen. „Die Solidarität zwischen einheimischen Muslime und Christen in Syrien hat sich durch den Krieg eher verstärkt! Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Muslime in Syrien die Christen mehr schützen als die Christen im Westen ihre syrischen Brüder und Schwestern“, so Pater Ghoneim. (10)

Der Westen unterstützt in Syrien keine Demokratiebewegung, sondern bewaffnete Banden religiöser Fanatiker, die einen Krieg gegen Andersgläubige führen. Selbst das EU-finanzierte und der Opposition zugehörige „Syrische Observatorium für Menschenrechte“ in London musste diesen Aspekt insgeheim eingestehen. Laut einer jüngsten Veröffentlichung des Observatoriums, das grundsätzlich getötete Kämpfer der Opposition in der Kategorie ziviler Opfer verbucht, befinden sich unter den auf insgesamt 94.000 bezifferten Toten 41.000 Angehörige der alawitischen Religionsgemeinschaft, dir nur rund zehn Prozent der Bevölkerung stellt und sich mehrheitlich loyal gegenüber der Regierung verhält. (11)

In der Vergangenheit hatten radikale Prediger aus den Reihen der „Rebellen“ wiederholt dazu aufgerufen, Angehörige dieser Minderheit zu ermorden und selbst das Vergewaltigen von alawitischen Frauen und Kindern für rechtmäßig erklärt.

Der Fanatismus der bewaffneten Oppositionskämpfer und die von ihnen verübten Gewaltexzesse und Massaker haben ihrem Rückhalt in der Bevölkerung schweren Schaden zugefügt.

Die westliche Wertegemeinschaft droht den von ihr geführten Stellvertreterkrieg zu verlieren. Das erhöht die Gefahr einer direkten militärischen Intervention.

Generaloberst i. R. Leonid Iwaschow, Präsident der Moskauer Akademie für geopolitische Probleme, wies vor einer Woche auf das Dilemma der „Freunde Syriens“ hin: „Sie haben vor zwei Jahren diese Operation begonnen, bestimmte Mittel eingeplant und Stabsstrukturen geschaffen und stehen heute vor einer Niederlage. Sie sind das nicht gewohnt und schüren deshalb eine Psychose um Syrien, um einen Anlass (für eine Intervention, Anm. d. Red.) zu finden – selbst den geringsten“, sagte der General. (12)

Und zur Not werden Anlässe fingiert. Dazu zählt wohl auch das Bombenattentat auf Zivilisten in der an der Grenze zu Syrien gelegenen türkischen Stadt Reyhanli vor zwei Wochen, bei dem über fünfzig Menschen getötet wurden. Die türkische Regierung machte sofort den syrischen Geheimdienst verantwortlich. Statt Beweise für diese Behauptung zu präsentieren, verhängte sie eine Nachrichtensperre.

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Geheimdokumente, die von der türkischen Hackergruppe Redhack der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, werfen ein anderes Licht auf die Ereignisse in Reyhanli. Laut diesen habe die Al-Nusra-Front die bei dem Anschlag verwendeten Fahrzeuge zu Autobomben umfunktioniert – mit dem Wissen des türkischen Geheimdiensts. (13)


Anmerkungen
(1) http://www.jungewelt.de/2013/05-23/031.php
(2) Siehe: http://www.hintergrund.de/201208292221/politik/welt/the-day-after-ein-konspirativer-zirkel-referiert-in-berlin-die-zukunft-syriens.html
(3) http://www.jungewelt.de/2013/05-23/031.php
(4) http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(5) http://www.jungewelt.de/2013/05-21/050.php
(6) Siehe: http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(7) http://www.wirtschaft.com/20130324-oesterreichs-aussenminister-eu-hat-bislang-zu-wenig-in-syrien-getanhttp://www.military.com/video/operations-and-strategy/battles/fsa-osama-bin-laden-brigade/2399706179001/ -97267
(8)
(9) Siehe: http://www.hintergrund.de/201303282508/politik/welt/syrien-westen-forciert-eskalation.html
(10) http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=858&Itemid=1
(11) http://www.washingtonpost.com/world/middle_east/video-purporting-to-show-syrian-rebel-biting-heart-highlights-challenges-for-west-on-aid/2013/05/14/d06585de-bca6-11e2-89c9-3be8095fe767_story.html
(12) http://de.rian.ru/security_and_military/20130517/266134593.html
(13) http://redhack.tumblr.com/

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltpolitik „Israel wird mehr Land konfiszieren“
Nächster Artikel Weltpolitik Aufstand gegen Erdogan