Sozialabbau

Kanonen statt Butter

Militärausgaben und Sozialabbau

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Foto: mscanland66; Quelle: pixabay; Lizenz
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Im Juni 2025 legte die Bundesregierung ihren Plan für kommende Erhöhungen der Militärausgaben vor, die wahrhaft historische Ausmaße annehmen sollen. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich wenig später die asoziale Rhetorik seitens führender Politiker noch einmal deutlich verschärfte – allen voran Kanzler Friedrich Merz, der im selben Atemzug, in dem er Steuerhöhungen für die Reichen eine Absage erteilte, den Sozialstaat für „nicht mehr finanzierbar“ erklärte.1 Flankenschutz erhält er dabei von den großen arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituten, die bereits seit einiger Zeit mit einer abstoßenden Kanonen-statt-Butter-Rhetorik den Boden für weitere Sozialkürzungen zur Refinanzierung hoher Rüstungsausgaben bereiten. Das ist aus ihrer Sicht allein schon deshalb erforderlich, weil das prognostizierte „olivgrüne Wirtschaftswunder“ (Handelsblatt) ausbleiben dürfte.

Historische Ausgabensteigerungen

Gestimmt hat es noch nie, das von interessierten Kreisen gerne kolportierte Märchen von der kaputtgesparten Bundeswehr. Schließlich stiegen die deutschen Militär- ausgaben nach NATO-Kriterien, in denen auch militärrelevante Posten außerhalb des offiziellen Verteidigungsetats enthalten sind, von 34,7 Mrd. Euro (2014) auf 52,4 Mrd. Euro (2021) bereits vor der Ausrufung der Zeitenwende steil an. Ungeachtet dieser Zahlen wurde der Mythos der angeblich kaputtgesparten Bundeswehr unermüdlich bemüht, was sicher neben dem russischen Angriff auf die Ukraine maßgeblich dazu beitrug, durch das „Sondervermögen“ (sprich: die Schulden) von 100 Mrd. Euro Etatsteigerungen durchzudrücken, die lange undenkbar gewesen wären. Im Ergebnis kletterten die deutschen Militärausgaben seither nach NATO-Kriterien von 58,2 Mrd. Euro (2022) über 67,6 Mrd. Euro
(2023) auf 86,6 Mrd. Euro (2024).2

Doch dabei handelte es sich nur um die Spitze des Eisbergs – den Weg zum nächsten Ausgabenschub machte ein zutiefst undemokratischer Coup frei, bei dem sich die ganz große Koalition aus CDU/CSU, SPD und Grünen im März 2025 zusammentat. Um eine spätere Sperrminorität von AfD und Linkspartei zu umgehen, erteilten sie am 18. März im Bundestag und am 21. März 2025 im Bundesrat mit ihrer Zweidrittelmehrheit faktisch einen zeitlich wie finanziell unbefristeten Blankoscheck für uferlose Militärausgaben. Von nun an sind Beträge oberhalb von 1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als sogenannte „Bereichsausnahme“ von der Schuldenbremse ausgenommen. Auf Initiative der Grünen wurden gegenüber dem ursprünglichen Antrag von Union und SPD dann auch noch die Ausgaben in den Bereichen Zivil- und Bevölkerungsschutz, Cybersicherheit, Nachrichtendienste und die Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten (also vor allem die Kosten für die Waffenlieferungen an die Ukraine) von der Schuldenbremse ausgenommen.3

Das zudem beschlossene Infrastruktur-Sondervermögen im Umfang von 500 Mrd. Euro könnte an sich sinnvoll sein, doch auch hier zeichnet sich jetzt schon ab, dass relevante Teile davon in die „Ertüchtigung“ von Infrastruktur gesteckt werden, die primär unter militärischen Gesichtspunkten für den schnellen Truppen- und Güterverkehr erfolgt. Im Gesetzesentwurf für das Infrastruktur-Sondervermögen wurde dies folgendermaßen umrissen:

Die Infrastruktur ist auch im Zusammenhang mit der angestrebten sehr zügigen und umfassenden Ertüchtigung der Verteidigungsfähigkeit ein wesentlicher, quasi komplementärer Faktor. Die tatsächliche Fähigkeit, ein deutlich gesteigertes Verteidigungspotenzial auch zur Wirkung zu bringen, setzt die Verfügbarkeit einer ausgebauten, funktionstüchtigen und modernen Infrastruktur, z. B. im Verkehrsbereich, voraus.4

In diesem Jahr wird erstmals jedes NATO-Land über dem bisherigen Ausgabenziel von 2 % des BIP liegen – prognostiziert werden für 2025 Gesamtausgaben von 1.588 Mrd. US-Dollar (2,76 %/BIP). Der nächste wichtige Schritt war deshalb die auf dem NATO-Gipfel im Juni 2025 getroffene Entscheidung für ein neues militärisches Ausgabenziel von 5 % des BIP. Davon sollen 3,5 % auf Militärausgaben im engeren (Verteidigungshaushalt, Waffenlieferungen …) und 1,5 % im weiteren (militärische Infrastruktur …) Sinne entfallen. Der zentrale Passus im Abschlussdokument des Gipfels lautet:

Die Verbündeten sagen zu, bis 2035 jährlich fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die zentralen Verteidigungsaufgaben sowie in verteidigungs- und sicherheitsrelevante Ausgaben zu investieren.5

Deutschland will die Vorgaben bereits deutlich früher erreichen: Laut den am 24. Juni 2025 vorgelegten Eckwerten für die kommende Haushaltsplanung soll der Verteidigungshaushalt von 51,95 Mrd. Euro (2024) über 62,4 Mrd. Euro (2025), 82,7 Mrd. Euro (2026), 93,3 Mrd. Euro (2027) auf 135,5 Mrd. Euro (2028) und schließlich 152,8 Mrd. Euro (2029) ansteigen. Hinzu kommen noch weitere militärisch relevante Ausgaben nach NATO-Kriterien, vor allem aus dem Sondervermögen der Bundeswehr, dem 24 Mrd. Euro (2025), 26 Mrd. Euro (2026) bzw. 27 Mrd. Euro (2027) entnommen werden sollen. Da das Sondervermögen danach aufgebraucht sein wird, soll der Anstieg im „regulären“ Verteidigungshaushalt von 2027 auf 2028 besonders ausgeprägt ausfallen, um die wegfallenden Mittel zu kompensieren. Darüber hinaus müssen weitere ebenfalls von der Schuldenbremse ausgenommenen Posten berücksichtigt werden: im Jahr 2029 für Zivil- und Bevölkerungsschutz (2,3 Mrd.), Nachrichtendienste (2,4 Mrd.), IT-Sicherheit (1,7 Mrd.) und Waffenlieferungen insbesondere an die Ukraine (8,5 Mrd.).6 Dies soll sich auf 167,8 Mrd. Euro bzw. 3,5 % des BIP summieren, zu denen noch die Gelder für militärische Infrastrukturausgaben von 1,5 % des BIP kommen dürften – zusammen also rund 240 Mrd. Euro bei einem geplanten Gesamthaushalt von 573,8 Mrd. Euro!

Das sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Zahlen: Allein über die „Bereichsausnahme“ würden von 2025 bis 2029 Schulden in Höhe von 378,1 Mrd. Euro angehäuft – und das ohne die militärrelevanten Gelder aus dem Infrastruktur-Sondervermögen. Die historischen Dimensionen, die hier angepeilt werden, zeigen sich allein schon daran, dass der bisherige Höchststand deutscher Militärausgaben ins Jahr 1963 zurückreicht und damals mit 4,88 % des BIP unter den derzeitigen Plänen der Bundesregierung lag. 7

Den vollständigen Text lesen Sie in der  aktuellen Ausgabe 11/12 2025 unseres Magazins, das im Bahnhofsbuchhandel, im gut sortierten Zeitungschriftenhandel und in ausgewählten Lebensmittelgeschäften erhältlich ist. Sie können das Heft auch auf dieser Website (Abo oder Einzelheft) bestellen.

JÜRGEN WAGNER ist Politikwissenschaftler und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V. (www.imi-online.de). Letzte Buchveröffentlichung: Im Rüstungswahn: Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung.

1 Merz: „Sozialstaat von heute nicht mehr finanzierbar“, Deutschlandfunk, 24. August 2025
2 „Defence expenditures and NATO’s 5 % commitment“, nato.int, 27. Juli 2025
3 Wörtlich lautet die Passage im Grundgesetz nun folgendermaßen: „Von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten ist der Betrag abzuziehen, um den die Verteidigungsausgaben, die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen.“ (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115 und 143h), Drucksache 115/25)
4 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115 und 143h, Drucksache 20/15096. Erste Gelder aus dem Infrastruktur-Sondervermögen sollen für militärische Belange augenscheinlich bereits 2026 ausgeschüttet werden: „Hinzu kommen 10 bis 11 Milliarden Euro für verteidigungsnahe Bereiche wie militärisch relevante Verkehrsinfrastruktur, Sicherheitsforschung und Logistik. Teile dieser Mittel stammen aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur.“ („Haushalt II: Warum das Nato-Ziel schon 2029 erreicht werden könnte“, table.media , 29. Juli 2025)
5 „Fünf Absätze, um Donald Trump milde zu stimmen“, Spiegel Online, 23. Juni 2025
6 „Massive Steigerung der Verteidigungsausgaben: 2029 auf 162 Milliarden Euro“,
augengeradeaus.net, 23. Juni 2025
7 Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland von
1953 bis 2024, Statista, 29. April 2025

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