Finanzwelt

IWF-Chef Strauss-Kahn in „Sexfalle“ getappt

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von MIKE WHITNEY, 18. Mai 2011 –

Es ist mir nicht möglich, zu beurteilen, ob das 32-jährige Zimmermädchen, das behauptet, von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bedrängt und zum Oralsex gezwungen worden zu sein, die Wahrheit sagt oder nicht. Das überlasse ich der kläffenden Meute der Medienleute, die sich bereits um die Rolle des Richters, der Jury und des Scharfrichters balgt. Ich möchte aber sagen, dass die ganze Angelegenheit ziemlich stark nach Fisch stinkt – genau wie die im Jahr 2008 hoch gekochte Sex-Affäre Eliot Spitzers. Sie erinnern sich sicher noch daran, dass Spitzer der schärfste Kritiker der Wall Street und der aussichtsreichste Kandidat für die Position des Chefs der United States Securities and Exchange Commission / SEC (der US-Börsenaufsichtsbehörde) war, für die er hervorragend geeignet gewesen wäre.

Wenn Spitzer damals zum Chef der SEC berufen worden wäre, säßen meiner Meinung nach heute die meisten der führenden Investmentbanker der Wall Street in Bundesgefängnissen ein und würden Autokennzeichen oder Schuhe mit Flechtsohlen herstellen. Es gab also gute Gründe, Spitzer rund um die Uhr überwachen zu lassen, bis man genügend Schmutz gesammelt hatte, mit dem man ihn bewerfen konnte. Der Ex-Gouverneur New Yorks machte es seinen Feinden auch ziemlich leicht, weil er sich mit der Edelnutte Ashley Dupré im Mayflower-Hotel vergnügte. Als man das publik machte, fielen die Medien wie ein Schwarm Heuschrecken über Spitzer her und stürzten sich wie geile Pubertierende auf jedes schlüpfrige Detail seiner Affäre. Die Gauner von der Wall Street konnten erleichtert aufatmen und ungestört weiterhin das tun, was sie am besten können: Kapitalanleger schröpfen und Menschen um die in ihrem ganzen Leben angesammelten Ersparnisse betrügen.

Auch Strauss-Kahn hat Feinde in hohen Positionen, und deshalb stinkt diese ganze Intrige zum Himmel. Vor allem war Strauss-Kahn der aussichtsreichste Kandidat der französischen Sozialistischen Partei / PS und hätte Sarkozy in der (2012) anstehenden Präsidentschaftswahl gefährlich werden können. Dem IWF-Chef wurden große Chancen gegen Sarkozy eingeräumt, weil dieser durch mehrere private Skandale und sinkende Umfragewerte geschwächt ist.

Wenn Strauss-Kahn in eine Falle getappt ist, dann wurde sie ihm wahrscheinlich von der im Schatten operierenden Koalition der westlichen Banker gestellt, von diesen nur sich selbst bedienenden Charakterschweinen, die es in den letzten zwei Jahrhunderten geschafft haben, den größten Teil der Menschheit in einem stets nur leicht variierten Zustand der Armut und der Verzweiflung zu halten. Strauss-Kahn hat erst kürzlich diese gemeinsam verfolgte Linie verlassen und war dabei, die auch vom IWF eingeschlagene (gleiche) Richtung zu ändern. Strauss-Kahns Bekehrung, die an die Bekehrung des Apostels Paulus auf der Straße nach Damaskus erinnert hat der progressive Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz bereits in seinem erst kürzlich veröffentlichten Artikel The IMF’s Switch in Time (Der IWF hat gerade noch rechtzeitig den Schalter umgelegt) gewürdigt. Hier ist ein Exzerpt:

„Die jährliche Frühjahrssitzung des Internationalen Währungsfonds / IWF war deshalb bemerkenswert, weil der Fonds Anstrengungen unternimmt, sich von seinen bisher vertretenen langjährigen Doktrinen zur Kapitalsteuerung und zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu lösen. Der neue IWF scheint sich unter Dominique Strauss-Kahns Führung allmählich und vorsichtig zu wandeln.

Bei seinem 1997 in Hongkong veranstalteten Treffen, das vor etwas mehr als 13 Jahren stattfand, hat der IWF versucht, seine Charta zu ändern, um einzelne Länder besser zur Öffnung ihrer Kapitalmärkte drängen zu können. Das Timing hätte nicht schlechter gewählt sein können: Damals braute sich gerade eine Krise in Ostasien zusammen – eine Krise in einer Region, die größtenteils das Ergebnis der Öffnung der Kapitalmärkte in Ländern war, in denen wegen der hohen Sparquote überhaupt kein Bedarf nach Liberalisierung bestanden hatte.

Dieser Vorstoß erfolgte auf Drängen westlicher Finanzmärkte und der Finanzministerien westlicher Länder, die deren zuverlässige Erfüllungsgehilfen sind. Die Deregulierung des Finanzmarktes in den USA war die Hauptursache der Finanzkrise, die 2008 in den USA entstand und sich wegen der Liberalisierung der Kapitalmärkte schnell rund um die Welt ausbreitete. …. Die Krise belegt, dass freie und unregulierte Märkte weder effizient noch stabil sind.“

Deshalb versuchte Strauss-Kahn den IWF in eine positivere Richtung zu lenken, eine Richtung, in der nicht länger verlangt werden sollte, dass Staaten ihre Volkswirtschaften für die Raubzüge ausländischer Kapitalanleger öffnen, die mit ihrem mobilen Kapital die Preise hochtreiben und Blasen (wie die Immobilienblase in den USA) entstehen lassen – sich dann aber schnell wieder zurückziehen und die Plagen einer hohen Arbeitslosigkeit, einer sinkenden Nachfrage, einer zerrütteten Industrie und einer tiefen Rezession hinterlassen.

Strauss-Kahn wollte eine „rücksichtsvollere und gemäßigtere“ Gangart einschlagen, durch die ausländische Staatsführungen nicht länger gezwungen werden sollten, Staatsunternehmen zu privatisieren oder die Gewerkschaften zu entmachten. Natürlich wurden seine Vorhaben von den Bankern und Konzernherren, die vom IWF erwarten, dass er sie bei der fortschreitenden Plünderung der ganzen Welt unterstützt, nicht gern gesehen. Diese Leute sind der Meinung, dass die gegenwärtige IWF-Politik „gerade richtig“ ist, weil sie die Ergebnisse fördert, die sie anstreben – nämlich größere Profite für sie selbst und eine wachsende Armut für alle anderen.

Es folgt ein weiteres Stiglitz-Zitat, das „den Abschuss“ seines Freundes Kahn bewirkt haben dürfte.

„Strauss-Kahn erweist sich als kluger Chef des IWF. … In einer Rede, die Strauss-Kahn kurz vor der letzten Tagung des IWF vor der Brookings Institution (einem Washingtoner Think Tank, Anm. Red.) gehalten hat, sagte er: ‚Letztlich sind nur genügend Arbeitsplätze und ausreichendes Eigenkapital solide Bausteine einer stabilen Wirtschaft, des Wohlstands, der politischen Stabilität und des Friedens. Das müssen auch die Hauptanliegen die IWF sein, und sie müssen sich auch in seinen Handlungen niederschlagen.’“

Das ist zwar richtig, aber dann müsste sich der IWF der Umverteilung des Reichtums widmen, … „indem er das Recht auf kollektive Tarifverhandlungen stärkt, die Kündigung von Hypotheken erschwert, und die Steuer- und Ausgabenpolitik so beeinflusst, dass die Wirtschaft durch langfristige Investitionen stimuliert und eine vernünftige Sozialpolitik für alle möglich wird“, wie Stiglitz ausführt.

Glück auf für eine solche Politik!

Können Sie sich vorstellen, wie sich die Herren des Großen Geldes über solche „Wahnvorstellungen“ aufgeregt haben? Wie lange werden sie gebraucht haben, bis sie beschlossen, Strauss-Kahn in die Wüste zu schicken?

Ich würde wetten, dass sie nicht besonders lange überlegen mussten.

Überprüfen Sie meine Vermutung an Hand einer Aussage der Organisation World Campaign und entscheiden Sie selbst, ob Dominique Strauss-Kahn zum „Risiko“ geworden war, das beseitigt werden musste, damit sich das Big Business auch weiterhin an den Ärmsten der Welt bereichern kann.

„Seit Jahrzehnten wird der Internationale Währungsfonds / IWF von Aktivisten, die gegen die Armut und den Hunger in den Entwicklungsländern kämpfen, als Hauptinstrument für alle falschen Entscheidungen angesehen, mit denen die Finanzinstitutionen der reichen Länder durch eine sehr einseitige Kreditpolitik die Wirtschaft der übrigen Welt und besonders der armen Länder ausbeuten, damit die traditionell wohlhabenden Eliten immer reicher werden, während die Mehrheit der Menschen arm und machtlos bleibt. Weil wegen dieser Realitäten in immer mehr Ländern Revolutionen drohen und weil die Regularien, mit denen die Weltwirtschaftskrise gemeistert worden war, bei den globalen Finanzkrisen in nur geringem Ausmaß zur Anwendung kamen, hat IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn erstaunliche Überlegungen über eine notwendige Veränderung des IWF und der Welt angestellt.

In einem Artikel, der heute in der Washington Post veröffentlicht wurde, schreibt Howard Schneider über Strauss-Kahn: Durch ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftstheorie des IWF sei Strauss-Kahn zu der Einsicht gekommen, durch die nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 teilweise wieder eingeführte Regulierung der Finanzinstitute und die Eingriffe des Staates in die Wirtschaft sei ‚der Job nur halbherzig ausgeführt’ worden. In jüngsten Veröffentlichungen habe er folgende Vorschläge gemacht: Die staatliche Regulierung der (Finanz-)Märkte müsse ausgeweitet werden; durch eine globale Finanzpolitik müsse das Einkommen gerechter verteilt werden; Zentralbanken müssten mehr tun, um einen zu schnellen Anstieg der Verschuldung und der Zinsen für Anleihen zu verhindern. ‚Das Pendel wird vom (unregulierten) Markt zum (regulierend eingreifenden) Staat zurück schwingen’, sagte Strauss-Kahn letzte Woche in einer Rede an der George Washington University (in Washington). ‚Die Globalisierung hat viel bewirkt, … sie hat aber auch eine dunkle Seite, weil sie einen immer größer werdenden Abgrund zwischen den Reichen und den Armen aufreißt. Offensichtlich brauchen wir eine neue Art der Globalisierung’, damit die ‚unsichtbare Hand’ kaum regulierter Märkte nicht zu ‚einer unsichtbaren Faust’ wird.“ (–> http://wcampaign.org/issue.php?mid=625&v=y )

Wiederholen wir noch einmal (das Wichtigste): „ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftstheorie, eine gerechtere Verteilung des Einkommens, eine stärkere Regulierung von Finanzinstituten, stärkere Anstrengungen der Zentralbanken, um einen zu schnellen Anstieg der Verschuldung und der Zinsen für Anleihen zu verhindern“.

Haben Sie immer noch nichts kapiert? Lesen Sie diese Passage nochmals, bis sie mit mir darin übereinstimmen, dass Strauss-Kahn mit solchen Äußerungen sein Ende als IWF-Chef besiegelt hat.

Es wird keine Revolution beim IWF zu geben. Das war nur Geschwätz. Die Einrichtung wurde mit der erklärten Absicht geschaffen, Menschen auszubeuten, und sie hat das bisher auch sehr wirkungsvoll getan. Deshalb wird sie auch ihre Politik nicht ändern. Warum denn auch? Warum sollten sich die Bankster und die Kielratten in den Konzernen plötzlich ein Gewissen leisten und beschließen, der leidenden Menschheit eine helfende Hand zu reichen? Das ist doch unrealistisch.

Strauss-Kahn ist aus der Reihe getanzt und hat sich ins Niemandsland gewagt. Deshalb hat man ihm aufgelauert und ihn wie eine Wanze zerquetscht.

Anmerkung: Strauss-Kahn kann durch John Lipsky, die Nummer zwei des IWF, ersetzt werden; der war vorher stellvertretender Vorsitzender der JPMorgan Investment Bank. Über diesen Wechsel wird man (an der Wall Street) sicher nicht traurig sein.


Der Artikel erschien im Original am 15. Mai 2011 unter dem Titel IMF chief Strauss-Kahn caught in “Honey Trap” bei Information Clearinghouse.

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Übersetzung: Wolfgang Jung für Luftpost Kaiserslautern

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