Bundesverfassungsgericht

Karlsruhe genehmigt EZB-Politik

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Bundesverfassungsgericht folgt dem EuGH – und wird auf  Twitter daraufhin heftig beschimpft

Das Bundesverfassungsgericht hat heute mit seinem Urteil über die Europäische Zentralbank (EZB) klargemacht, dass die Euro-Rettungspolitik der EZB verfassungskonform ist. Die Währungshüter überschritten mit dem Anleihekaufprogramm OMT ihre Kompetenzen nicht, urteilen die Verfassungsrichter.

Das Bundesverfassungsgericht galt seit seinem Urteil vom Januar 2014 als Kritiker der EZB-Politik. Damals hatte es noch entschieden, dass die EZB ihre Kompetenzen überschreite und de facto Wirtschaftspolitik betreibe. Die Richter hatten den Fall damals aber zur weiteren Beurteilung an den Europäischen Gerichtshof EuGH weiterverwiesen. Dieser urteilte dann im Juni 2015, dass die EZB doch regelkonform agiere, sofern bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Das deutsche Verfassungsgericht übernimmt nun im Großen und Ganzen die Einschätzung des EuGH. Mit dem Urteil von heute kommt möglicherweise der Jahre lang schwelende Verfassungsstreit zu einem Ende. In diesem spiegeln sich wesentliche Fragen des graduellen Souveränitätsverzichts innerhalb der Europäischen Union.

Zu den Klägern gehörten Kritiker der aktuellen EZB-Politik aus den unterschiedlichsten Richtungen: von liberalen Ökonomen bis hin zur Bundestagsfraktion „Die Linke“. Die „EZB-Schattenregierung“ (wie diese twitterte) hat damit nun freie Hand für die Fortsetzung ihrer Politik nach eigenem Gutdünken, denn die EZB ist grundsätzlich unabhängig. Dazu zählt nicht nur die Politik der großzügigen Versorgung mit Bargeld, was die Geschäftsbanken zuletzt finanziell über Wasser gehalten hat, sondern auf der anderen Seite auch die erzwungene Sparpolitik in Griechenland, die von der EZB mitgetragen und beaufsichtigt wird.

Die EZB hat das OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) 2012 in der kritischen Zeit der Euro-Krise entworfen. Als sein eigentlicher Geburtstag gilt der 26. Juli 2012, als EZB-Präsident Mario Draghi seine berüchtigte „Whatever-it-takes“-Rede gehalten hat. Die EZB werde „innerhalb ihres Mandates alles Erforderliche tun, um den Euro zu erhalten“, sagte er damals. Damit nahm er nach allgemeiner Meinung den Eurospekulanten den Wind aus den Segeln.

Das Verfassungsgericht hat das OMT-Programm mit seinem Urteil aus deutscher Sicht jetzt sozusagen „genehmigt“. Die Bundesbank (eigentlich ein OMT-Gegner) dürfe dabei nun mitmachen, sofern einige Bedingungen erfüllt seien, die auch schon der EuGH formuliert hat. Dazu zählt insbesondere, dass das Volumen der Aufkäufe im Voraus begrenzt sein müsse. Was diese Bedingung bedeutet, ist allerdings unklar, da die EZB sich diese Grenzen ja selbst setzen kann.

Dabei wurde aus dem OMT-Programm nie auch nur ein Cent eingesetzt. Das Programm wirkte allein durch seine Ankündigung und die Drohung mit ihm. Es war ein gutes Beispiel für einen „Bluff“, wie es der US-Ökonom Paul Krugman einmal nannte  oder für eine reale wirtschaftspolitische Wirkung allein durch potenzielle Macht. Ökonomen nennen das in seltsamer verbaler Sinnverdrehung „Glaubwürdigkeit“.

Nach Ansicht von Fachleuten wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wird das OMT auch nie zum Einsatz kommen, seine Wirkung habe es gehabt, indem es „2012 eine schwere Finanzdepression verhindert habe“.

Dafür nutzt die EZB derzeit umso aktiver ein ähnliches Programm mit dem Namen QE (für „Quantitative Easing“). Es wirkt ganz ähnlich, wobei die EZB dabei Staatsanleihen der Euro-Mitgliedsstaaten gleichmäßig nach ihrem Kapitalschlüssel aufkauft. Damit, so heißt es, werde „Liquidität in den Markt gepumpt“, sprich, die Geschäftsbanken werden mit immer neuen Geld versorgt und die Zinsen auf Staatsanleihen gedrückt. Indirekt hat das Verfassungsgericht nach Ansicht von Beobachtern nun auch dieses Programm erlaubt. Wie lange eine solche Politik der großzügigen Geldversorgung möglich ist und was passiert, wenn sie aufhört, ist die große Frage.

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DIW-Chef Marcel Fratzscher hofft, dass nun ein „Schlussstrich“ gezogen werde unter den Verfassungsstreit. Dieser habe der „EZB in den vergangenen Jahren sehr geschadet.“ Fratzscher arbeitete bis 2012 selbst bei der EZB.

Ob mit dem heutigen Urteil allerdings die Politik der EZB in Deutschland akzeptiert wird, erscheint demjenigen zweifelhaft, der die Reaktionen dazu  auf Twitter verfolgt. Vermutlich ist das Bundesverfassungsgericht in seiner über 60-jährigen Geschichte selten so unflätig beschimpft worden wie heute.

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