Finanzwelt

Spanien spart sich weiter in den Abgrund

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 11. Juli  2012 –

Die spanische Regierung stellt erneut ihren Willen unter Beweis, die Verbindlichkeiten der spanischen Banken von der Bevölkerung einzutreiben. In den kommenden zweieinhalb Jahren sollen zusätzliche 65 Milliarden Euro eingespart werden. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy gab heute den neuen Sparplan im spanischen Parlament bekannt. Es ist bereits das vierte Sparpaket, das seine Regierung innerhalb eines halben Jahres beschlossen hat.

Rajoy kündigte unter anderem eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 18 auf 21 Prozent an. Der ermäßigte Satz wird von acht auf zehn Prozent angehoben. Der Steuerabzug beim Wohnungskauf wird 2013 gestrichen. Das Arbeitslosengeld für Arbeitnehmer wird nach sechs Monaten gekürzt. Es wird jedoch weiterhin über zwei Jahre ausgezahlt.

Zudem sehen die neuen Sparmaßnahmen eine Abschaffung des Weihnachtsgeldes für Beamte und Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung vor. Die Ministerien müssen ihre Ausgaben zusätzlich um 900 Millionen Euro kürzen. Auch soll die Zahl der Staatsunternehmen drastisch reduziert werden. Wichtige Bereiche der Infrastruktur des Landes, wie der Eisenbahnsektor, die Häfen und die Flughäfen werden möglicherweise privatisiert.

Rajoy gestand ein, dass die Anhebung der Mehrwertsteuer seinen eigenen Wahlversprechen zuwiderläuft. „Die Umstände haben sich jedoch geändert, und ich muss mich dieser Realität anpassen“, erklärte der Regierungschef. In einem dramatischen Appell rief Rajoy zum Handeln auf: „Wir sind in einem entscheidenden Moment. Das ist die Realität, und wir müssen aus der Patsche kommen.“

Die Anhebung der Mehrwertsteuer stieß sofort auf Ablehnung bei den kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Sie fürchten nicht zu Unrecht, die Maßnahme werde den ohnehin schwächelnden Konsum weiter abwürgen. Selbst EZB-Präsident Mario Draghi hatte diese Woche vor der Gefahr gewarnt, dass eine Erhöhung der Mehrwertsteuer die Rezession weiter vertiefe. Rajoy räumte erstmals ein, dass der Anfang des Jahres eingesetzte Abschwung wahrscheinlich auch im nächsten Jahr andauern werde. „In der jetzigen Situation ist es in Spanien unmöglich, Wachstum zu erreichen und Arbeitsplätze zu schaffen“, sagte der Regierungschef.

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Gäbe es einen Komparativ von „unmöglich“, so müsste man der spanischen Regierung vorwerfen, mit ihren Sparmaßnahmen einen Aufschwung noch unmöglicher zu machen. Zu diesem Schluss kommt Steffen Bogs in einem Artikel der aktuellen Ausgabe des Hintergrund-Heftes: „Mit jedem Prozent, um das die Arbeitslosenquote steigt, steigen auch die Kreditausfälle, mit jedem Prozent weniger an Konsum werden auch die binnenorientierte Industrie, der Mittelstand und die Einzelhändler in den Ruin getrieben. In dieser hochbrisanten Situation beschloss die konservative spanische Regierung Ende März noch für 2012 einen Sparhaushalt mit Einsparungen in Höhe von 27,3 Milliarden Euro und zusätzlich wenige Tage später weitere 10 Milliarden Euro Einsparungen im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich. Diese geplante Drosselung der Ausgaben seitens des Staates entspricht fast 3,5 Prozent des nominalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) und dürfte in der Rückkopplung die spanische Rezession massiv verstärken. Die Priorität der Senkung der Staatsausgaben ist völlig kontraproduktiv und angesichts der wirtschaftlichen Lage völlig fehl am Platze. Spanien müsste vielmehr den Fokus auf Wirtschaftswachstum und damit auf neue Jobs und Einkommen richten, um die wankenden Kreditpyramiden mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu unterlegen. Dafür gäbe es auch durchaus Gestaltungsspielraum, denn der Bruttoschuldenstand des Staates war mit 735 Milliarden Euro bzw. 68,5 Prozent des nominalen BIP im Jahr 2011 sogar noch niedriger als der Deutschlands mit 2 088 Milliarden Euro bzw. 81,2 Prozent des nominalen BIP. In dieser wirtschaftlich schwierigen Lage muss also nicht zwingend mit brachialer Gewalt die Neuverschuldung heruntergefahren werden. Auch die Staatsquote, also der Anteil der staatlichen und staatlich bedingten wirtschaftlichen Aktivität an der wirtschaftlichen Gesamtleistung der spanischen Volkswirtschaft, ist mit 43,6 Prozent niedriger als in Deutschland mit 45,6 Prozent.“

Statt den Euro zu retten, würden die Maßnahmen Gegenteiliges bewirken: „Volkswirtschaften in Rezessionen mit undifferenzierten Sparmaßnahmen zu überziehen, ist so ziemlich das Kontraproduktivste, was Wirtschaftspolitik bewirken kann. Es ist eine vorhersehbare Versagensstrategie, die von der Troika IWF, EU und EZB durchexerziert wird. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden beim Wirtschaftswachstum und am Arbeitsmarkt erhöht sich die Gefahr unkontrollierbarer Prozesse, in deren Folge Spanien als viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone auch zu deren Sargnagel werden könnte.“

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