Finanzwelt

Wahlkampfshow: Griechenlands Comeback

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Von REDAKTION, 10. April 2014 –

Es sei ein „historischer Tag für das krisengeplagte Griechenland“, meldet die Nachrichtenagentur dpa: Nach vier Jahren Abstinenz kehrt das Land auf den Kapitalmarkt zurück. Am Donnerstag brachte Athen erfolgreich eine fünfjährige Staatsanleihe bei Investoren unter.

Die Nachfrage nach den Anleihen, die eine Rendite von rund fünf Prozent abwerfen, war enorm. Es sollen Gebote über 20 Milliarden Euro eingegangen sein. Statt der geplanten 2,5 Milliarden Euro sammelt das Land nun voraussichtlich drei Milliarden Euro ein.

Der griechische Vizeministerpräsident Evangelos Venizelos erklärte sichtlich zufrieden im griechischen Fernsehen: „Das Ereignis des Tages ist die feierliche Rückkehr Griechenlands an die Märkte“. Das Angebot sei „mindestens acht Mal überboten“ worden.

Der letzte Versuch des hellenischen Staates, sich Geld auf den Märkten zu leihen, verlief traumatisch: Athen wollte sich im April 2010 eine Milliarde Euro für 20 Jahre leihen. Es kamen aber nur Angebote für lediglich 390 Millionen Euro zusammen. Wenige Tage später richtete Athen einen Hilferuf an die Euro-Partner.

Die EU-Kommission begrüßt die erfolgreiche Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt. „Heute ist ein sehr guter Tag“, sagte EU-Kommissar Joaquín Almunia nach einem Treffen mit dem griechischen Finanzminister Ioannis Stournaras in Athen. „Heute sehen wir die Ergebnisse der großen Bemühungen der griechischen Behörden und der griechischen Bürger für die Überwindung einer großen Krise“, sagte er weiter. Es werde das Vertrauen in Europa stärken, dass die Krise überwunden sei.

Doch von einer Überwindung der Krise kann keine Rede sein. Um die Wirtschaftsdaten des Landes ist es schlechter bestellt als vor Beginn der Schuldenkrise im Jahr 2010 und dem damit verbundenem Ausscheiden aus den Kapitalmärkten.

Die Wirtschaftsleistung ist niedriger und die Verschuldung – trotz eines Schuldenschnitts im Frühjahr 2012 – höher als vor vier Jahren. Ein Aufschwung ist weit und breit nicht in Sicht. Noch immer ist über ein Viertel der Bevölkerung arbeitslos. Fast 60 Prozent der jungen Menschen haben keinen Job. Seit vier Jahren wird das Land dank der mit den „Rettungsgeldern“ verbundenen „Reformen“ gnadenlos kaputt gespart.

Das starke Interesse an den Anleihen erklärt sich nicht aus positiven wirtschaftlichen Aussichten, sondern aus der Gewissheit der Investoren, dass ihre Einlagen praktisch mit keinem Risiko verbunden sind. Denn die EU-Staaten und ihr Rettungsfond bürgen, falls Griechenland seine Schulden nicht bedienen kann. Dieses geringe Ausfall-Risiko erklärt, warum Griechenland seine langjährigen Anleihen nun mit fünf Prozent deutlich niedriger verzinsen kann, als in der Hochphase der Schuldenkrise, als die Rendite zeitweise bei über 30 Prozent lag.
 

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Um den neuen Investoren jedwede Ängste vor einem erneuten Schuldenschnitt zu nehmen – der ohnehin von den EU-Regierungschefs ausgeschlossen wird – werden die neuen Anleihen unter britischem Recht ausgegeben. Von dem Schuldenschnitt vor zwei Jahren waren nur Wertpapiere betroffen, die griechischem Recht unterstanden. Im Schnitt mussten mehr als 70 Prozent ihres Nennwertes abgeschrieben werden. Einzelne Anleihen unter britischem oder auch schweizerischem Recht blieben damals vom sogenannten Haircut verschont.

Die Entscheidung der griechischen Regierung, die Staatsfinanzen wieder über die Kapitalmärkte zu finanzieren, ist haushaltspolitisch von zweifelhaftem Gehalt. Denn die fünf Prozent sind deutlich teurer, als die Zinsen, die Athen für internationale Hilfskredite zahlt.

Der Schritt dürfte in erster Linie politischem Kalkül geschuldet sein. Die Koalition aus Konservativen und Sozialisten, die mit 152 der 300 Abgeordneten nur über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament verfügt, erhofft sich dringend benötigten Rückenwind für den Europawahlkampf.

Und von vielen griechischen Medien bekam sie den. Die Rückkehr an die Märkte sei „der große Schritt“, titelte die Boulevardzeitung Ethnos. „Spektakuläre Rückkehr an die Märkte“ lautete die Schlagzeile der konservativen Athener Zeitung Kathimerini.

Aktuelle Umfragen sagen für die Wahl im Mai ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Regierungskoalition mit der stärksten Oppositionspartei voraus, dem linken Parteienbündnis Syriza (Vereinte Soziale Front). Gewinnt Syriza, dann wird der Ruf nach einer Neuwahl auch des griechischen Parlaments lauter werden.

„Auch der Kanzlerin ist klar“, schreibt dpa, „die von den Europartnern verlangte Fortsetzung der Reformpolitik stünde damit vor dem Aus“. Rechtzeitig zur Verkündung der zweifelhaften Erfolgsmeldung von der Rückkehr an die Kapitalmärkte reist Angela Merkel am Freitag nach Athen. Dort trifft sie sich mit dem konservativen Regierungschef Antonis Samaras zu einem Vier-Augen-Gespräch. Auch ein gemeinsames Treffen mit deutschen und griechischen Firmenchefs steht auf dem Programm. „Ich bin froh, dass ich nicht mehr jeden Tag darüber nachdenken muss, was passieren würden, wenn Griechenland nicht mehr im Euro wäre“, so die Bundeskanzlerin.

Den Frohsinn der Kanzlerin kann die große Mehrheit der Griechen nicht teilen. Zehntausende demonstrierten gegen die vor allem von der deutschen Regierung forcierte unsoziale Sparpolitik, als Angela Merkel im Oktober 2012 das letzte Mal Athen einen Besuch abstattete. Die Lage im Land ist unverändert brenzlig. Die feierlich verkündete Rückkehr an die Kapitalmärkte hat ihre Begleitmusik: Streiks legten am Mittwoch Teile des Staates und des Verkehrs lahm. Am Donnerstag explodierte mitten im Bankenviertel Athens eine Autobombe, es gab schwere Sachschäden.

(mit dpa)


 

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