Wirtschaft Inland

Breiter Widerstand gegen Atommülltransport nach Russland

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Von THOMAS WAGNER, 17. November 2010 (mit dpa) –

Russische und deutsche Umweltschützer und Atomkraftgegner haben am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) die Absage der geplanten Castor-Transporte vom westfälischen Ahaus in die russische Plutoniumfabrik Majak gefordert.

Beim Castor-Transport nach Gorleben sei bei der Atommüll- Entsorgung viel von nationaler Verantwortung die Rede gewesen, sagte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis „Münsterland gegen Atomanlagen“ im Haus der Bundespressekonferenz. Doch zeigten alle Handlungen der Bundesregierung, dass nukleare Sicherheit für sie keine Rolle spiele.

Einer deutsch-russischen Regierungsvereinbarung zufolge, sollen fast 1000 Brennelemente aus dem Zwischenlager Ahaus (Nordrhein-Westfalen) in den kommenden Monaten im Atomzentrum Majak am Ural entsorgt werden.

„Niemand ist glücklich, wenn der Atommüll in Deutschland bleibt“, sagte  Eickhoff. „Aber Majak geht gar nicht.“

Die Anlage war am 29. September 1957 auch Schauplatz einer der größten, aber jahrzehntelang verheimlichten Atomkatastrophen mit geschätzten 150.000 Todesfällen. 2004 flossen bei einer Havarie in Majak viele Millionen Kubikmeter Nuklearabfall in den Fluss Tetscha. Die Region um Majak gilt heute noch vor Tschernobyl als die am stärksten verstrahlte Region der Welt.

Verschärftes Gesundheitsrisiko

Neuer plutoniumhaltiger Atommüll aus Ahaus würde die Gesundheitsgefährdung  für ca. 5.000 Bewohner verschiedener Dörfer in der Region weiter verschärfen.  Darauf wies Vladimir Slivyak von der russischen Umweltorganisation Ecodefense hin. Er äußerte die Hoffnung, dass der Transport nicht stattfinden werde. Russische Umweltschützer klagen wegen der großen Probleme bereits gegen die russische Regierung.

Slivyak, der in den vergangenen Tagen an deutschen Anti-Atom-Protesten teilgenommen hatte, sagte weiter: „Die Atomanlage in Majak muss stillgelegt werden. Der Export deutschen Atommülls hingegen verlängert den Betrieb Majaks und ist deshalb absolut unverantwortlich. Wir appellieren an Frau Merkel, Herrn Röttgen und die sächsische Landesregierung: Kümmern Sie sich um Ihren Atommüll selbst. Russland ist nicht Ihre Atommüllkippe“. (1)

Heffa Schücking, Geschäftsführerin der Umweltorganisation urgewald, bezeichnete Majak als den „wohl radioaktivsten Ort der Erde“. Die Region sei ein „gesundheitliches Notstandsgebiet“.

Bei dem geplanten Transport geht es um Atommüll aus dem früheren DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden. Sachsen hatte die rund 950 Brennelemente im Frühjahr 2005 mit 18 Castor-Behältern gegen heftigen Widerstand nach Ahaus bringen lassen, da Rossendorf als Zwischenlager nicht zugelassen war. Von dort aus soll die gefährlich Fracht nun in den verstrahlten Atomkomplex Majak im Südural gebracht werden. .

Matthias Eickhoff äußerte ernste Zweifel an der Sicherheit der Rossendorfer Brennelemente: „Einige Brennelemente sind schon mehr als 50 Jahre alt und dürfen in Deutschland nur noch per LKW transportiert werden. Wir machen uns große Sorgen, ob die Brennelemente noch stabil genug sind und dass sie beim Transport eine enorme Bedrohung darstellen.“

Die Umweltschützer zeigten sich darüber hinaus besorgt, dass die Bundesregierung die Castor-Transporte als Testballon sieht, um in Zukunft noch weiteren deutschen Atommüll nach Russland zu bringen. Die Laufzeitverlängerungen für AKW vergrößerten auch in Deutschland die Atommüllberge, ohne dass es eine langfristige Lösung gebe. „Künftige Bundesregierungen könnten versucht sein, Russland als billige Atommüllkippe zu benutzen, wenn der Transport aus Ahaus klappt“, sagte Eickhoff.

Einen konkreten Termin für den Transport gibt es nach Angaben der Bundesregierung bislang nicht. Eickhoff glaubt jedoch, dass ein Termin längst feststeht. Er vermutet, es könnte sich um Mitte Dezember handeln.

Widerstand der Stadtstaaten

Freilich ist derzeit noch fraglich, ob der Transport logistisch überhaupt zu bewältigen ist, denn die Stadtstaaten Hamburg und Bremen verweigern diesbezüglich die Kooperation. Der Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) hatte am vergangen Freitag klargestellt, dass der schwarz-grüne Senat eine Abwicklung des Atommülltransports ins russische Majak über den Hafen der Hansestadt nicht dulden will.

Zuvor hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) erklärt, dass sich die zuständige Kommission für Hamburg als Umschlagshafen entschieden habe. Zunächst waren auch Bremerhaven und Bremen im Gespräch gewesen. Dagegen hatte der Stadtstaat Bremen jedoch aus Sicherheitsgründen massive Bedenken geltend gemacht.

Atomkraftgegner hatten sich daher schon am Montag davon überzeugt gezeigt, dass es angesichts der Weigerung von Hamburg und Bremen keine Chance für den Transport gebe. „Ohne Hafen sind die Castor-Transporte nach Russland nicht durchführbar“, sagte Felix Ruwe von der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“. Es sei  nun an der Zeit, dass Umweltminister Norbert Röttgen einsehe, dass der Atommüllexport nach Russland unverantwortbar und nicht durchsetzbar sei.

Matthias Eickhoff sagte am Mitwoch in Berlin: „Mit der Postkutsche kann man den Atommüll nach Russland auch nicht bringen.“

Massive Proteste

Auch in Moskau protestierten Umweltschutzinitiativen in einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel, die Präsidenten Dmitrij A. Medwedew und Barack Obama sowie den Generaldirektor der IAEO, Herrn Yukiya Amano  gegen den Transport.

„Wir sind der Auffassung, dass dieses Vorhaben die Sicherheit der Bewohner des Baltischen Raumes und all der Menschen gefährdet, die entlang der Transportroute leben“, heißt es in dem von mehreren Hundert Organisationen und Einzelpersonen gezeichneten Schreiben, das Hintergrund vorliegt: „Doch besonders gefährlich ist die Fracht für die Menschen, die unweit des Bestimmungsortes leben, im Gebiet Tscheljabinsk. Diese ist heute schon die am stärksten verstrahlte Region der Erde. In der Fabrik Majak hatten sich in den vergangenen 65 Jahren viele schwere Unglücke ereignet. In der Folge wurden Zigtausende von Quadratkilometern in Russland verstrahlt. Der radioaktive Müll wird in die Seen Karatschai, Straroje Boloto, Tatysch und den Fluss Tetscha geleitet. Die Tetscha transportiert den Müll weiter in den Ob und bis in das nördliche Eismeer. (…) In vier Generationen von Menschen, die auf radioaktiv verseuchtem Gebiet leben, nehmen die Krebserkrankungen zu. Deren Zahl ist 2008 auf 387 bei 100.000 gestiegen, bei Kindern unter 14 Jahren auf 14,1 Fälle pro 100.000. 2008 haben die Neuerkrankungen an Krebs bei Kindern um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Auch Missbildungen bei Neugeborenen haben deutlich zugenommen und liegen nun bei 47,6 Fällen pro 1.000 Neugeborenen.“

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Unterdessen kündigte Matthias Eickhoff  massive Proteste russischer und deutscher Anti-Atomkraft-Initiativen an den Transportstrecken für den Fall an, dass die Castor-Transporte tatsächlich stattfinden sollten. Für den 21. November um 14.00 Uhr ist erstmal eine Demonstration am Zwischenlager in Ahaus geplant.

(1) http://www.urgewald.de/index.php?page=3-64-156&artid=345&stwauswahl=

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