Wirtschaft Inland

Bundestag verlängert Laufzeit der Atomkraftwerke

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Von REDAKTION, 29. Oktober 2010 –

Die Atomkraftwerke in Deutschland sollen im Schnitt zwölf Jahre länger laufen. Mit schwarz-gelber Mehrheit beschloss der Bundestag am Donnerstag, dass die Betriebszeit der vor 1980 gebauten sieben Anlagen um acht Jahre verlängert wird und die der zehn übrigen AKW um 14 Jahre. Damit könnte noch bis mindestens 2035 Atomstrom in Deutschland produziert werden.

Für die Änderung der Atomgesetze stimmten 308 Abgeordnete, dagegen 289. Zwei Parlamentarier enthielten sich. Union und FDP haben rechnerisch zusammen 332 Stimmen.

Für die längeren Laufzeiten sollen über eine Atomsteuer und einen Fonds zum Ausbau der Ökoenergien insgesamt 30 Milliarden Euro von den AKW-Betreibern abgeschöpft werden, nur einen kleinen Teil der von den erwarteten Milliardengewinnen. Im Gegenzug haben sich die Konzerne weitreichende Schutzklauseln zusichern lassen. Übersteigen die Nachrüstkosten je Meiler 500 Millionen Euro, müssen die Unternehmen weniger in den staatlichen Ökofonds einzahlen.

Die Opposition spricht von Geheimabsprachen: Die Koalition habe sich von der Atomlobby über den Tisch ziehen lassen.

Wegen einer fehlenden Mehrheit in der Länderkammer wollen Union und FDP das neue Atomgesetz ohne Bundesratszustimmung umsetzen. Deshalb hat die Opposition Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Laufzeitplus angekündigt.

Rund sechs Stunden lang hatten sich die Abgeordneten eine Redeschlacht mit unzähligen Zwischenrufen und Änderungsanträgen geliefert. Sogar der Zeitplan von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geriet durcheinander, die zum EU-Gipfel nach Brüssel wollte.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte, Schwarz-Gelb peitsche den Atomdeal durch und missachte dabei Rechte der Opposition. Er sprach von einer „Rüpelbande der Union“. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Regierung vor, mit dem Laufzeit-Plus für die Atommeiler von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall die Anbieter von Ökostrom aus dem Markt zu drängen: „Sie schaffen Vorteile für die vier Dinosaurier der Energieversorgung.“

Linksfraktions-Chef Gregor Gysi erklärte, Schwarz-Gelb spalte bei der Kernenergie die Gesellschaft: „Was sagen Sie den Leuten, wenn uns irgendwann mal ein Atomkraftwerk um die Ohren fliegt?“

Vor allem die Grünen hatten vergeblich versucht, in letzter Minute die Abstimmung im Bundestag zu verhindern. Als Zeichen ihres Protests trugen Grünen-Abgeordnete schwarze Kleidung mit kleinen gelben X- Kreuzen – dem Symbol des Anti-AKW-Widerstandes aus Gorleben. Greenpeace besetzte symbolisch die CDU-Zentrale in Berlin und hisste ein Banner, auf dem die Parteivorsitzende Merkel RWE-Chef Großmann zuprostet.

Vor dem Reichstag bildeten Umweltschützer eine Menschenkette gegen Atomkraft. Der Regierungsbeschluss produziere weitere 4.400 Tonnen Atommüll, obwohl es kein Endlager gebe.

Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt“ erklärte: „Heute ist ein trauriger Tag für alle, die nicht Anteilseigner an einem der vier großen Stromkonzerne sind. Denn vom Bundestagsbeschluss zu längeren AKW-Laufzeiten profitieren nur RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Alle anderen in dieser Gesellschaft tragen zusätzliche Risiken. Doch heute ist auch ein Tag, der uns Atomkraftgegnern Mut macht. Denn ob der Beschluss des Bundestages sich auch umsetzen lässt, ist weiterhin völlig offen. Eine breite gesellschaftliche Mehrheit lehnt den Weiterbetrieb der gefährlichen Reaktoren ab. So viele Menschen wie niemals vorher gingen in den letzten Wochen und Monaten gegen Atomenergie auf die Straße. Wir werden uns mit der heutigen Entscheidung nicht abfinden, sondern weiter mit aller Kraft dafür streiten, dass Atomkraftwerke stillgelegt werden. Weitere große Proteste sind in Vorbereitung. Am 6. November wird die Anti-AKW-Bewegung mit einer Großdemonstration im niedersächsischen Dannenberg eine erste Antwort auf die Bundestagsentscheidung geben. Selbst unter den Anhängern von Union und FDP gibt es relevante Anteile, die die Atompolitik der Bundesregierung ablehnen. Schon heute sprechen sich immer mehr kommunale Parlamente mit den Stimmen von CDU oder CSU gegen die Laufzeitverlängerungen aus. Die Basis der Atomfreunde im Regierungslager schmilzt. Besonders deutlich wird dies bei den sechs Landtagswahlen im Jahr 2011 sichtbar werden.“ (1)

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Unterdessen starteten auch kommunale Energieversorger eine bundesweite Kampagne gegen das Gesetz. Bei den Stadtwerken sind nach eigenen Angaben Ökostrom-Investitionen von sechs Milliarden Euro gefährdet, weil die Marktmacht der Atomkonzerne zementiert wird. Auch prüfen Stadtwerke eine Beschwerde bei der EU-Kommission.

(1) http://www.ausgestrahlt.de/presse/artikel/f88647dbba/durchsetzung-von-laufzeitverlaengeru.html

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