Wirtschaft Inland

Streiks bei Amazon ausgeweitet

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 16. Dezember 2014 – 

Die Gewerkschaft Verdi hat den Arbeitskampf beim Versandhändler Amazon am zweiten Streiktag ausgeweitet. Am Dienstag beteiligten sich auch Amazon-Beschäftigte in Koblenz an dem Ausstand. Nach Unternehmensangaben blieben zur Frühschicht rund 1200 Mitarbeiter an sechs der neun deutschen Standorte vor den Toren. Insgesamt rechnete die Gewerkschaft mit mehr als 2300 Beteiligten. Am Montag waren bereits mehr als 2000 Mitarbeiter an fünf Standorten im Ausstand, der bis mindestens Mittwochabend anhalten soll. Laut eigenen Angaben beschäftigt der US-Konzern zehntausend Angestellte in Deutschland. Zum Weihnachtsgeschäft werden zehntausend Saisonkräfte zusätzlich eingestellt.

Mit den Ausständen in der heißen Phase vor den Feiertagen will die Dienstleistungsgewerkschaft den Onlinehändler an den Verhandlungstisch zwingen. Die Gewerkschaft verlangt einen Tarifvertrag zu Bedingungen des Einzelhandels – Amazon lehnt das mit der Begründung ab, ein Logistikunternehmen zu sein. An Verhandlungen mit der Gewerkschaft sei nicht zu denken, erklärte  Amazon-Deutschlandchef Ralf Kleber gegenüber der Bild vor einer Woche. „Unsere Mitarbeiter würden sich mit einem Tarifvertrag gar nicht besser stellen.“ Nach seiner Darstellung liegt die Bezahlung der Beschäftigten „am oberen Ende dessen, was bei vergleichbaren Tätigkeiten bezahlt wird“. Warum sich die Konzernführung dennoch so vehement gegen die Einführung von Tarifverträgen wehrt, die in ihren Augen keinerlei Veränderung mit sich brächten, ließ Kleber offen.

Verdi versucht seit mehr als einem Jahr, den Konzern zu Tarifgesprächen zu Bedingungen des Einzelhandels zu bewegen. „Die Beschäftigten erhöhen den Druck auf Amazon. Das Unternehmen stößt mit seiner Blockadehaltung, überhaupt über einen Tarifvertrag zu verhandeln, auf immer mehr Widerstand“, erklärte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger. Das Unternehmen habe es in der Hand, „der Forderung der Beschäftigten nach einem Tarifvertrag und existenzsichernden Einkommen sowie würdigen Arbeitsbedingungen entgegenzukommen und diese Streiks zu beenden“. Solange sich das Unternehmen weigere, werde es weiterhin zu Arbeitsniederlegungen kommen.

„Amazon macht den Kunden derzeit viele Angebote zum Weihnachtsshopping“, so Mechthild Middecke, Verdi-Ansprechpartnerin für den Amazon-Standort Bad Hersfeld. „Die Mitarbeiter hätten auch gern ein Angebot – ein Gesprächsangebot für bessere Arbeitsbedingungen.“ Der Branchenriese gibt sich angesichts des Streiks bislang unbekümmert. Kein Päckchen werde liegen bleiben, es werde zu keinen Verzögerungen kommen. „Wir liefern pünktlich“, betonte Amazon-Sprecherin Anette Nachbar. An den Streiks nehme nur eine Minderheit der Mitarbeiter teil.

Verdi-Vertreter gehen dagegen davon aus, dass die Ausstände den Online-Versandhändler sehr wohl herausfordern. Karsten Rupprecht in Werne berichtete, dass Amazon bei Streiks „umlagere“. Je mehr Versandzentren sich an den Ausständen beteiligten, desto schwieriger werde das aber. „Wir werden immer unberechenbarer“, sagte Rupprecht.

Der Konzern werde seine Lieferversprechen an Kunden „mit Hilfe des europäischen Logistiknetzwerks aus 28 Logistikzentren in sieben Ländern einschließlich Großbritannien, Frankreich, Polen und der Tschechischen Republik einhalten“, versicherte dagegen Amazons Sprecherin. Allein in Polen hatte das Unternehmen im September drei Versandzentren mit 4500 Angestellten eröffnet, obwohl es im Land selbst nicht als Internethändler aktiv ist. Die Werkseröffnungen dürften auch mit dem Hintergedanken erfolgt sein, negative Auswirkungen von Streiks in den Nachbarländern abzufedern  – bereits im September wurden die ersten Pakete von Polen aus nach Deutschland versandt. „Die Polen arbeiten, die Deutschen streiken“, so der Tenor in machen polnischen Zeitungskommentaren.

Kernkompetenz: Verdrängung, Schikane und Steuerflucht

Amazon steht nicht nur wegen der Verdrängung traditioneller Buchhändler und kleinerer Online-Händler in der Kritik, auch die Schikane gegenüber Angestellten ist zu einem wenig schmeichelhaften Markenzeichen des Konzerns geworden. Auf dem Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) wurde Konzern-Boss Jeff Bezos im Mai dieses Jahres zum „schlimmsten Chef des Planeten“ gekürt. (1) Mitarbeiter würden wie „inhumane Roboter“ behandelt, erklärte Philip Jennings, Generalsekretär des internationalen Gewerkschaftsdachverbands UNI Global Union.

So werden etwa Mitarbeiter in Großbritannien mit GPS-Sendern überwacht. Jeder Toilettengang wird akribisch gezählt und so sichergestellt, dass die Arbeiter die Pausenzeit von 30 Minuten nicht überschreiten. (2) Die Zeit, die beim Warten auf Sicherheitschecks nach der Arbeit vergeht, – was sich bis zu einer halben Stunde hinziehen kann – muss der Konzern den Beschäftigten jedoch nicht vergüten. Das entschied vergangene Woche der oberste Gerichtshof der USA. In den Vereinigten Staaten ist es in vielen Konzernen übliche Praxis, die Mitarbeiter vor ihrem Gang in den Feierabend zu durchsuchen, um Diebstähle zu verhindern.

Zehntausende Amazon-Angestellte hatten in den USA geklagt, diese Zeit als Überstunden angerechnet zu bekommen. In der Ablehnung der Klage beriefen die Richter sich auf ein unternehmerfreundliches Gesetz von 1947. Berüchtigt ist der Konzern auch für seine Steuerpraxis – oder eher: Steuernichtpraxis. Wie mit den „Luxemburg-Leaks“ (3) unlängst bekannt wurde, gehört Amazon zu den Konzernen, die dank Geheimabsprachen ihr Steueraufkommen in den vergangenen Jahren drastisch reduzieren konnten.

„Amazon macht in Deutschland einen Umsatz von über 7 Milliarden Euro, aber zahlt so gut wie keine Steuern. Gleichzeitig hat Amazon für die Errichtung seiner Versandzentren Millionen an Subventionen aus der öffentlichen Hand bekommen“, heißt es in einer von über dreißigtausend Unterstützern gezeichneten Online-Petition, die sich mit den Zielen der Streikenden solidarisch erklärt. (4)


Anmerkungen

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(mit dpa)

(1) http://www.welt.de/wirtschaft/article128337846/Jeff-Bezos-der-schlimmste-Chef-des-Planeten.html
(2) http://www.channel4.com/news/anger-at-amazon-working-conditions
(3) Siehe: http://www.hintergrund.de/201411063309/wirtschaft/finanzwelt/luxemburg-leaks-auf-dem-weg-zur-steuergerechtigkeit.html
(4) https://www.change.org/p/jeff-bezos-behandeln-sie-die-amazon-mitarbeiter-innen-fair

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