Wütender Streiter für eine linke Öffentlichkeit
Die politische Rechte spricht von „Lügenpresse“. Einige auf der politischen Linken schrecken schon deshalb vor Medienkritik zurück. Lukas Meisner tut dies nicht. Seiner Meinung nach muss Medienkritik von links kommen, will sie an die Wurzel gehen. Betreiben müsse sie eine „neueste Linke“, der es allerdings in seinem Buch an historischer Selbstkritik (und dem konkreten politischen Subjekt) fehlt. Sie erinnert zuweilen doch an die allzu alte Linke. Fünfter Teil unserer losen Reihe über Bücher zur Lage der Linken.
Die Gesellschaft, die Medien, die Linke – alles in der Krise. Eine Medienkritik von links tut Not. Denn die Medien sind keinesfalls so links, wie rechte Kritiker meinen. Das, was heute links genannt wird, arbeitet sich eher am „Rechtspopulismus“ ab und zwar mit liberaler, oder genauer linksliberal-identitätspolitischer Stoßrichtung. Diese Strömung ist indes Teil der „Kirche des Kapitals“, wie der Soziologe Lukas Meisner am Anfang seines Buches über linke Medienkritik schreibt. Sie ist also nicht wirklich links, nicht kapitalismuskritisch. Diese „Kirche des Kapitals“ teile sich in zwei Glaubensgemeinschaften auf, „nämlich ins wirtschaftsliberal-eigentümelnde bis linksliberal-identitätspolitische Lager auf der einen und ins konservativ-bornierte bis rechtsextrem-misanthropische Lager auf der anderen Seite“.
Lukas Meisner ist ein Mann deutlicher und oftmals auch polemischer Worte. Er will die Gesellschaft, die herrschende Öffentlichkeit und damit auch die Medien von links kritisieren. Die Polemik ist dabei, so würde er es vermutlich formulieren, dem Gegenstand angemessen. Ihm geht es um die Zumutungen des Kapitalismus, der uns heutzutage allesamt beherrscht. Wobei Meisner Wert darauf legt, dass es um die Strukturen geht, nicht um Menschen. Die Rechte sehe finstere Mächte am Werk, ziele auf einzelne Personen. Diese aber seien Charaktermasken, so Meisner. Es kommt ihm darauf an, den Kapitalismus als Gesellschaftsform zu überwinden und Politik für die „99 Prozent“ zu machen, von denen seit Occupy Wallstreet seit gut zehn Jahren die Rede ist. So weit so vorhersehbar bei einem Linken. Falsch ist das nicht, gleichwohl deutet es bereits auf eine Fehlstelle hin: Bei Lukas Meisner sind die Subjekte maximal abstrakt. Auf beiden Seiten. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Meisners Buch beruht auf einem medienkritischen Blog, den er interessanterweise für die taz führt. Dabei lässt Meisner kaum ein gutes Haar an denen, die normalerweise zu den Lesern der Zeitung gehören: dem linksliberal-identitätspolitischen Bürgertum, das den Kapitalismus ein wenig diverser und grüner machen, aber an ihm selbst nichts verändern will. Meisner vertritt dagegen die klassisch linke These, „dass es einen doppelten Zusammenhang gibt zwischen Kapitalismus und Faschismus wie zwischen Faschismus und Massenmedien“. Aus Sicht einer linken Medienkritik braucht es „Medien, die den Faschismus zu verhindern suchen, indem sie dessen Geburtshelfer – den Kapitalismus – in ihren Berichten, Analysen und Kommentaren klar benennen“. Medienkritik dürfe nicht den Rechten überlassen werden, denn sonst haben diese freie Bahn, die Wut und Enttäuschung der Bürger aufzugreifen.
Die Rechte arbeitet laut Meisner mit „Verschwörungsmythologien“. Für Linke gebe es keine „Verschwörung“, „zumindest, wenn Verschwörung nicht als das eine profane Gemisch aus Dummheit, Konformität und Vetternwirtschaft verstanden werden soll, das letztlich hinter den meisten Erfolgen steckt“. Subjekte kommen bei Meisner nicht vor, es sind die Strukturen das Problem. Aber ist das nicht ein wenig zu kurz gedacht? Wenn er, etwas platt gesagt, die kapitalistischen Strukturen für allen Unbill der Welt verantwortlich macht, kann dann wirklich gleichzeitig „ein profanes Gemisch“ Grundlage der Erfolge Einzelner sein? Führt die Klasse der Kapitalisten etwa keinen Klassenkampf von oben, an dem bestimmte Personen, konkrete Kapitalisten, ein Interesse haben? Und selbst wenn es sich bei diesen um Charaktermasken handelt, so sind doch hinter diesen Masken konkrete Menschen, die ihre Interessen durchsetzen, die sich auf Konferenzen und in Foren organisieren. Die Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gut vernetzt, wissen genau, wie sie den Klassenkampf von ihrer Seite aus zu führen haben und setzen Propaganda sowie PR für ihre Zwecke ein. Und wenn man so will, verschwören sie sich als die Vertreter des einen Prozent – aus Eigeninteresse der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Strukturen – gegen die „99 Prozent“.
Kritik der postmodernen Linken
Für Lukas Meisner ist die Linke Sachwalter dieser „99 Prozent“ oder müsste es besser gesagt sein. Er sieht überall Orientierungslosigkeit – in der Linken genauso wie in der gesamten Gesellschaft. Die Linke verwechsele sich heute vielfach mit den „metropolitanen Lifestyles der politischen Mitte unserer Tage“ und könne außerhalb dieses Milieus niemanden ansprechen. Deren Politik sei eine liberale oder postmoderne Verkürzung. Identitätspolitisch werde das Leid von Marginalisierten fetischisiert, soziale Positionen werden zu ontologischen Differenzen. Dem setzt Meisner den Universalismus mit seinen Grundprinzipien der Gleichheit und des Respektes entgegen, der die Linke dereinst ausgemacht hat, als zumindest ein Teil von ihr noch für die Weltrevolution kämpfte. Und er hat an dieser Stelle auch den subjektiven Faktor im Blick, wenn er darauf hinweist, dass es um komplexe Beziehungen zwischen Menschen geht und nicht nur um einseitige Projektionen „wir gegen die anderen“ – egal von welcher „Seite“. Nötig sei (unter den „99 Prozent“) ein gemeinsamer Dialog, die Menschen müssten miteinander reden, einander zuhören.
Meisners Kritik an der postmodernen Linken ist schlüssig. Er will politisieren und nicht moralisieren, womit er an Autoren wie Bernd Stegemann („Die Moralfalle“) anknüpft. Leider ist er an einigen Stellen allzu verschwurbelt. Eine klare Aussage, gerne auch eine klare Abgrenzung, braucht keine verschachtelten Sätze im Nominalstil mit massenhaft Fremdwörtern. Gute Kritik sollte immer verständlich sein. An mehreren Stellen hätte dem Buch ein kritisches Lektorat gutgetan.
Sahra Wagenknecht und ihre politische Strömung ist übrigens für Meisner kein Ausweg, denn sie könne keine linke, keine antikapitalistische Alternative mehr formulieren. Und die AfD ist für ihn als Vertreter einer „neuesten Linken“ neoliberal bis völkisch und nicht denkbar ohne die jahrzehntelang verkündete Alternativlosigkeit der neoliberalen Globalisierung, deren Folge die heutige Krise ist. Dagegen setzt Meisner die Wiederentdeckung des Klassenkampfes, die Interessenvertretung der 99 Prozent, die Aufgabe der „neuesten Linken“ sei. Wenn diese aber wirklich, wie von ihm gefordert, die alte (kommunistische und sozialdemokratische) und die neue Linke (in Folge der außerparlamentarischen Opposition der 1960er Jahre) aufheben soll, dann müsste sie beispielsweise die Traditionen und Brüche der Arbeiterbewegung viel stärker in den Blick nehmen, als Meisner es tut.
Denn zum Aufbau einer solchen „neuesten Linken“, bräuchte es eine wirkliche Selbstkritik der bisherigen linken Bewegungen, bräuchte es eine Aufarbeitung der Geschichte spätestens seit der Oktoberrevolution und des Bolschewismus der einen bzw. des Reformismus der anderen Seite der Linken. Sonst kehren die unbewältigten Probleme der Vergangenheit wieder. Bei Meisner beispielsweise ist es das fehlende Subjekt. Eine politische Linke kann nur erfolgreich sein, kann nur wirklich eine politische Linke sein, wenn es gelingt, dass die 99 Prozent ihre Interessen und Bedürfnisse wirklich organisieren. Das kann niemand von oben oder von außen in Stellvertretung tun, auch keine „neueste Linke“. Meisner wird bei der Organisationsfrage nicht konkret, aber wenn er in seinem Text den Realsozialismus bzw. die DDR als gegenhegemoniales Projekt verteidigt, dann wirkt die „neueste Linke“ auf einmal wieder stark wie die allzu alte.
Technik ist nie neutral
Daran erinnert auch eines der wenigen konkreten Beispiele im Buch. Meisner geht davon aus, dass mit Verstaatlichung und Vergesellschaftung „Coronaleugnung und Impfskepsis“ zurückgedrängt worden wären. Es bräuchte laut Meisner die Verstaatlichung der Pharmaindustrie und die Vergesellschaftung des Staates nebst einer substantiellen Demokratisierung der Gesellschaft. Das aber ist zu kurz gedacht. Während Meisner an anderer Stelle deutlich macht, dass „das Design kapitalistischer Technologie […] vom Kapital innerhalb des Kapitalismus schließlich nicht rein subjektiv loszutrennen“ ist, übersieht er hier, dass sowohl das Ausrufen einer Pandemie als auch deren vermeintliche Lösung durch eine „Impfung“ den Interessen der Herrschenden im Kapitalismus entsprach. Die Aussage, dass die Linke lernen müsse, „dem Fortschrittsglauben, der sich technokratisch verhüllt, auf ganzer Linie zu misstrauen“, gilt auch für mRNA-Therapien und nicht nur für Social Media, Podcasts und Co., die Meisner treffend als „spätkapitalistische Konditionierungswerkzeuge“ benennt.
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Dass es sehr gute Gründe für Impfskepsis gibt, haben viele Vertreter des journalistischen Feldes jenseits des Mainstreams in den vergangenen Jahren ausführlich dargelegt. Dieses Feld gibt es in Meisners Medienkritik jedoch nicht. Er kennt nur den Mainstream und die Verschwörungsmythiker, denen er die Medienkritik der neuesten Linken als Drittes entgegensetzen will. Er übersieht dabei, dass es auch weiterhin eine zwar marginalisierte aber durchaus auffindbare Linke in diesem Feld gibt, die (auch) Medienkritik betreibt. Zu nennen wären zum Beispiel die Nachdenkseiten, die Wertkritiker um die Website wertkritik.org oder die beiden Ausgaben des Magazins Der Erreger. Auch Hintergrund steht letztlich auf der politisch linken Seite, wie auch weitere alte wie neue Medien, eine Auswahl findet sich – eingeordnet nach dem politischen Standpunkt – im Medien-Navigator der auch ansonsten interessanten Website Swiss Policy Research. Es muss also keineswegs alles neu erfunden werden.
Sicherlich geht Meisners Kritik oftmals tiefer, als sie zumindest in den tagesaktuellen Texten auf verschiedenen Websites zu lesen, oder, um darauf zurückzukommen, in Podcasts zu hören ist. Podcasts sind für Meisner deshalb Ausdruck des heutigen „kollektiven Verlust[s] politischer Urteilskraft und demokratischer Debattenkultur“, weil er sie als Ausdruck der Tendenz sieht, dass „Wissen zur Ware wird, die zu konsumieren ist, und dass Bildung zur bloßen Informiertheit herabkommt, die es quantitativ einzukassieren gilt“. Da ist etwas dran. Meisner wünscht sich, dass mehr gelesen wird. „Lesen – mit Schrift als Medium – bräuchte schließlich Denken durch Andere statt Konsumieren des Vorgegebenen.“ Ohne Lesen keine Theorie, ohne Theorie keine Erkenntnis historischer Zusammenhänge gesellschaftlicher Totalität.
Meisners Buch ist ein wütender Essay angesichts der Lage der Welt und einer politischen Linken, die keine Antworten auf die globalen Krisen findet. Stattdessen liegt sie selbst am Boden und arbeitet ihre eigene Geschichte kaum selbstkritisch auf. Das Buch kann bei dieser Aufarbeitung helfen, geht es doch auf aktuelle Probleme ein und stellt die Krise der Linken in einen größeren Zusammenhang. Dass es selbst an einigen Stellen zu kurz greift und bestimmte historische Hintergründe oder auch gegenwärtige Medien nicht sieht, mag zuweilen der Form geschuldet sein. Als Teil einer Medienkritik nebst ausführlicher Bestandsaufnahme der real existierenden Linken enthält das Buch einiges, über das sich nachzudenken lohnt.
Lukas Meisner, Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen, Das Neue Berlin, 155 Seiten, 16 Euro (Bestellen bei den Buchkomplizen)
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Die politische Linke in der Krise – Rezensionen
Teil 1: Artur Becker, Links, Westend 2022
Teil 2: Göran Therborn, Die Linke im 21. Jahrhundert, VSA 2023
Teil 3: Sven Brajer, Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken, Promedia 2023
Teil 4: Żaklin Nastić, Aus die Maus, Das Neue Berlin 2023
Teil 5: Lukas Meisner, Medienkritik ist links, Das Neue Berlin 2023
Mehr zum Thema Medienkritik lesen Sie ab Mitte Dezember im Heft 1-2/2024 unserer Zeitschrift.