Kriege

Kampf ums Überleben

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In der libanesischen Bekaa-Ebene leben 400 000 syrische Flüchtlinge in Zelten. Internationale Hilfsorganisationen versuchen, sie mit dem Nötigsten zu versorgen – aber auch sie sind überlastet –

Von THOMAS EIPELDAUER, Beirut, 4. März 2015 – 

Die Reise in die Beeka-Ebene führt aus Beirut über das Libanon-Gebirge. Lastwagenkolonnen, beladen mit Hilfsgütern für Syrien, passieren die zahlreichen Checkpoints der Armee, die einen Eindruck der angespannten Sicherheitslage in dieser Region vermitteln. In dem Tal, das als wichtigstes Agrargebiet des Libanon gilt, leben derzeit etwa 400 000 Flüchtlinge aus dem benachbarten Syrien. Der nunmehr vier Jahre andauernde und von allen Seiten mit enormer Brutalität geführte Bürgerkrieg, der schon über 200 000 Menschen das Leben kostete, zwang Millionen, ihre Heimat zu verlassen. Der bei Weitem überwiegende Teil ging in den Libanon oder in die Türkei. Hier, im Land der Zedern, sind über 1,2 Millionen Menschen als Flüchtlinge registriert – bei einer Einwohnerzahl von 4,5 Millionen.

In der Bekaa-Ebene leben sie in improvisierten Zelten aus Plastikplanen und Holz. Der Hauptraum der Baracken, in denen manchmal fünf, manchmal zehn oder mehr Personen untergebracht sind, ist mit Teppichen ausgekleidet, geheizt wird mit Holz- oder Ölöfen, die auch zum Kochen genutzt werden. Jede Jahreszeit bringt ihre eigenen Widrigkeiten mit sich. Im Sommer wird das Trinkwasser knapp, im Winter plagen, vor allem in den höher gelegenen Gegenden, Schneestürme und die eisige Kälte die Schutzsuchenden. Jetzt, wo der Schnee zu schmelzen beginnt, ist es das Wasser, das Probleme bereitet. „Überall dringt es ein. Von oben und von unten“, erklärt wild gestikulierend eine ältere Frau, andere pflichten ihr bei. Kleine Kinder waten in Gummistiefeln durch den Morast, der sich mancherorts mit Dünger und Abwässern mischt. Hunderte „informeller Siedlungen“, wie die libanesische Regierung die Camps, die aus jeweils zehn bis hundertfünfzig Zelten bestehen, nennt, existieren in der Bekaa-Ebene.

Kälte, Schnee, Schlamm: Die Lebensbedingungen in den Camps sind unbeschreiblich schlecht. Foto: Willi Effenberger

In einem von Schlamm umgebenen Zelt in der Nähe der Kleinstadt Zahle sitzt Manahil Saleh mit ihren Mitbewohnerinnen rund um den warmen Ofen. Sie erzählt vom Alltag in dem Camp, in dem sie seit einem Jahr und acht Monaten gezwungen ist, zu leben. Es mangelt an vielem, und das, obwohl alle in der Familie in landwirtschaftlichen Betrieben der Region arbeiten. Gezahlt werden dort aber für die Flüchtlinge, die von den Grundbesitzern als billige Arbeitskraft missbraucht werden, nur Hungerlöhne. 6.000 libanesische Pfund, umgerechnet etwa vier US-Dollar, bekommen Frauen für einen ganzen Tag Arbeit. Männer werden etwas besser bezahlt, Kinder hingegen noch weitaus schlechter. „Ich arbeite, mein Mann arbeitet, meine Tochter arbeitet auch, und dennoch reicht es nicht zum Leben. Es ist sehr teuer hier. In Syrien habe ich nicht gearbeitet, ich bin bei den Kindern geblieben, nur mein Mann hat gearbeitet. Jetzt arbeiten wir alle, aber dennoch ist es zu wenig“, sagt Frau Saleh.

Untypisch ist ihre Situation nicht, im Gegenteil. Viele der Flüchtlinge müssen sich etwas dazuverdienen, wenn sie überleben wollen und werden so zum schwächsten Glied in einer ohnehin von extremer Ausbeutung migrantischer Arbeit geprägten Gesellschaft. Schon vor der Krise kamen Hunderttausende Syrerinnen und Syrer über die Grenze, um im Niedriglohnsektor des Libanon anzuheuern. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass nahezu die gesamte ungelernte Arbeit in einigen wirtschaftlichen Sektoren von Syrern verrichtet wird. Im Bauwesen, um nur ein Beispiel zu nennen, arbeiten geschätzte 350 000 Beschäftigte aus dem Nachbarland. Ihr legaler Status ist unklar, unter das libanesische Arbeitsrecht fallen sie nicht und werden daher zu Gehältern unter dem Mindestlohn von 390 Euro im Monat angestellt. Sie arbeiten ohne Krankenversicherung oder arbeitsrechtliche Ansprüche. Nicht selten sind sie mit Ressentiments der libanesischen Bevölkerung konfrontiert.

Nun, da jene auf den Arbeitsmarkt drängen, die noch rechtloser und in einer noch aussichtsloseren Lage sind, als die migrantischen Arbeiter schon vor dem Flüchtlingsstrom waren, verschlechtern sich die Bedingungen für alle ungelernten Beschäftigten. Die Unternehmer sind in der Lage, die Löhne zu drücken oder die Arbeiter noch länger zum selben Preis arbeiten zu lassen, weil eine unüberschaubar große und verzweifelt ums Überleben kämpfende Reservearmee zur Verfügung steht.  

Im Bereich der Hungerlöhne beginnt ein Konkurrenzkampf um Jobs mit jenen migrantischen – und ebenfalls großteils syrischen – Wanderarbeitern, die bereits vor der Krise dieser Beschäftigung nachgegangen sind. „Diejenigen, die am meisten von dem Zufluss zahlenmäßig großer Flüchtlingsgruppen aus Syrien in den Libanon betroffen sind, sind genau jene syrischen Arbeiter, die schon vor der Krise hier gelebt haben“, stellt die libanesische Journalistin Eva Shoufi in der linken Tageszeitung Al Akhbar fest. Es entstehen Verhältnisse, in denen die Flüchtlinge sich nach Kräften abmühen,  aber keine Verbesserung ihrer Versorgungslage erreichen.  

Kaum zu bewältigen ist für Manahil Saleh etwa die medizinische Versorgung ihres Sohnes. „Für Arztbesuche bekommen wir Unterstützung vom UNHCR, aber das reicht nicht. Ich habe ein Kind, das lungenkrank ist und regelmäßig zu Arzt muss, das müssen wir aus der eigenen Tasche bezahlen. Die Luft im Zelt und die Hygieneprobleme im Camp sind auch nicht gut für ihn.“ Erst Ende Januar bemängelten die Medecins sans Frontieres (Ärzte ohne Grenzen) den Mangel an angemessener medizinischer Versorgung. Gerade die Kälte im dieses Jahr besonders harten Winter führe zu zusätzlichen Belastungen, heißt es in einer Presseaussendung. „Lungenkrankheiten nehmen unter syrischen Flüchtlingen im Moment zu“, konstatiert einer der Ärzte aus dem Gebiet.

Chalifa, der zusammen mit seiner Familie vor drei Jahren aus Raqqa, der heutigen Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat, geflohen ist, wohnt einige hundert Meter entfernt in einem Zeltverschlag. Auch ihm geht es ähnlich. Bei seiner Arbeit als Schäfer an der syrischen Grenze ist er auf einen Sprengsatz getreten, sein rechtes Bein ist seitdem teilweise amputiert. „Ich habe zwar eine Prothese von einer NGO bekommen, aber die regelmäßige Hilfe, die ich in dieser Situation bräuchte, bekomme ich nicht.“

In den Camps leben vor allem ältere Menschen, Frauen und Kinder. Junge Männer sieht man kaum. Die Vermutung liegt nahe, dass sie in Syrien geblieben sind. Foto: Willi Effenberger

Vor der Krise war er zwar nicht reich, zu Hause in Syrien, aber zum Leben hat es gereicht, sagt er. „Jetzt hängt das Überleben meiner ganzen Familie von der Unterstützung von Hilfsorganisationen ab. Meine Brüder können nicht arbeiten, ich jetzt auch nicht mehr. Wir haben nur die E-Card, um durchzukommen“, erzählt Chalifa. Die E-Card ist eines der Projekte, die hier von internationalen Hilfsorganisationen zur Absicherung der Grundbedürfnisse der Flüchtlinge umgesetzt wird. Auf Initiative des UN World Food Programm wird sie in der Bekaa-Ebene von den Außendienstmitarbeitern der NGO „Action against Hunger“ an Tausende Haushalte ausgegeben. Mit ihr können sie direkt in lokalen Geschäften einkaufen, Lebensmittel ihrer Wahl. Zu Beginn des Projekts waren es umgerechnet 30 US-Dollar im Monat, die pro Karte zur Verfügung standen, vor Kurzem wurde der Wert auf 19 US-Dollar gekürzt. Das geschah deshalb, weil die auch die internationalen Hilfsorganisationen am äußersten Rand ihrer Kapazitäten arbeiten.

Und das in einer Situation, in der keine rasche Lösung für die syrischen Flüchtlinge in Sicht ist. In ihrer Heimat geht das Blutvergießen ungebrochen weiter, Europa schottet sich immer stärker gegen Flüchtlinge ab und im Libanon macht die Regierung deutlich, dass sie deren baldige Rückkehr nach Syrien wünscht. „Im Moment schiebt die Regierung zwar keine Flüchtlinge zurück in den Libanon ab“, erzähllt uns ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der nicht namentlich genannt werden will. „Aber sie schafft Bedingungen, die ihnen zeigen soll, dass es hier auch nicht gut ist. Sie drängt sie indirekt dazu, das Land zu verlassen.“ Tatsächlich sagen sehr viele in den Camps, dass ihre ökonomoische Situation im Libanon bedeutend schlechter ist, als sie in Syrien war. Dort hatten sie ihr Auskommen, im Zedernland können sie selbst ihre Grundversorgung kaum sicherstellen. Die große Mehrheit sagt, sie würden sofort zurück in ihre Heimat gehen, wenn die Sicherheitslage sich verbessert. Das allerdings scheint zumindest kurz- und mittelfristig wenig realistisch.

Die libanesische Regierung ist zum einen hoffnungslos überlastet, was angesichts der Anzahl der Flüchtlinge kaum verwunderlich ist. Zum anderen aber ist ihr die konfliktreiche Geschichte mit den etwa 500 000 palästinensischen Vertriebenen, die auch heute noch im Libanon leben, in Erinnerung. Die exilpalästinensischen Milizen waren maßgeblich am libanesischen Bürgerkrieg, der zwischen 1975 und 1990 im Land tobte, beteiligt, die Regierung befürchtet, mit den syrischen Refugees könnten ähnliche Probleme aufkommen. Nachhaltige Lösungen, die den Flüchtlingen irgendeine Form von Selbstversorgung ermöglichen, sind so derzeit nicht in Sicht.  

Ohne die Hilfe internationaler Organisationen wäre das Überleben in den Camps unmöglich. Doch nach Jahren des Krieges in Syrien sinkt die Spendenbereitschaft. Foto: Willi Effenberger

Sollte nun auch noch die Nothilfe der internationalen Organisationen geringer werden, könnte das unabsehbare Folgen haben. Die Anzahl der Flüchtlinge ist immens und nach vier Jahren Krieg nimmt die Weltöffentlichkeit die humanitäre Krise in der Region immer weniger wahr. Damit aber sinkt die Spendenbereitschaft und so die Möglichkeit, zumindest eine Verschlimmerung der humanitären Katastrophe zu verhindern.

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# Fotos: Willi Effenberger

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