Terrorismus

Der Sinneswandel eines Ex-FBI-Agenten: „Es gibt keine Jagd. Sie ist fingiert.“

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Von PAUL HARRIS, 23. März 2012 –

Craig Monteilh berichtet, wie er vortäuschte, ein radikaler Moslem zu sein, um potentielle Bedrohungen aufzuspüren – und wirft ein Licht auf einige schmutzige Praktiken der Behörde.

Craig Monteilh sagt, er zögerte nicht, als seine Vorgesetzen beim FBI ihm das Okay gaben, Sex mit einer muslimischen Frau zu haben, die Zielscheibe seiner Undercover-Operation war. Er scheute in jener Zeit auch nicht davor zurück, die Bettgespräche mitzuschneiden.

„Sie meinten, wenn es der Informationsbeschaffung dient, dann los, hab Sex. Also tat ich es“, sagte  Monteilh dem Guardian im Rahmen seines Berichts über das Jahr, in dem er als geheimer FBI-Informant auf eine Mission geschickt wurde, südkalifornische Moscheen zu infiltrieren.

Craig Monteilh alias Farouk Aziz, eine Identität, die das FBI für ihn aufbaute. Als ” radikaler Islamist” sollte der FBI-Mann Moscheen infiltireren und Sympathisanten für den Jihad anlocken.

Das ist ein erstaunliches Geständnis zur geheimdienstlichen Überwachung der muslimischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten in den Jahren nach 9/11. Während Polizei und FBI betont haben, ihre Aktivitäten würden Amerika lediglich vor terroristischen Angriffen schützen, haben Bürgerrechtler behauptet, dass die Behörden immer wieder zu weit gegangen sind und eine ganze Glaubensgemeinschaft verdächtigt haben.

Monteilh war an der Anwendung einer höchst umstrittenen Taktik beteiligt: Den Einsatz „vertraulicher Informanten“ in sogenannten Fallensteller-Fällen. Dabei handelt es sich um tatsächlich ausgeführte oder fingierte terroristische „Anschläge“ auf Bestellung oder unter genauer Anleitung einer FBI-Undercover-Operation, an der geheime Informanten beteiligt sind. Oftmals haben diese Informanten eine kriminelle Vergangenheit oder werden durch finanzielle Anreize rekrutiert.

Im dem Fall der Newburgh Four – als vier Männer eines vorgetäuschten Terror-Anschlags auf jüdische Einrichtungen in der Bronx überführt wurden – hat ihnen ein vertraulicher Informant 250.000 Dollar, eine Gratis-Urlaubsreise und einem der Verdächtigen einen Wagen für die Beihilfe an der Tat angeboten.

In dem Fall der Fort Dix Five, die an einem fingierten Plan für einen Anschlag auf eine Militärbasis in   New Jersey beteiligt waren, hatte ein Informant eine Reihe von Vorstrafen, darunter einen Mordversuch; ein anderer legte vor Gericht ein Geständnis ab und zwei der Verdächtigen, die später eine lebenslange Freiheitsstrafe bekamen, hatten gar nichts von dem Komplott gewusst.

Solche Aktionen haben muslimische Bürgerrechtsgruppen die Frage aufwerfen lassen, ob sie unrechtmäßigerweise Ziel von Geheimdienst-Aktivitäten sind. Monteilh behauptet, genau das sei der Fall: „Die Art und Weise, wie das FBI seine Operationen durchführt – das ist Fallenstellerei …  ich kenne das Spiel und seine Dynamik. Das ist ein Scherz, ein echter Scherz. Es gibt keine Jagd. Das ist fingiert”, sagt er.

Aber mittlerweile bereut Monteilh seine Mitwirkung an einem Konzept, das Operation Flex genannt wird. Er sitzt in der Küche seines bescheidenen Hauses in der Nähe von Los Angeles und fordert, das FBI solle sich öffentlich für seine fruchtlosen Versuche entschuldigen, islamische Radikale in Orange Country aufzuspüren – obwohl er nicht viel Hoffnung hat, dass das passieren wird. „Die haben nicht die nötige Demut, einen Fehler einzugestehen“, sagt er.  

Monteilhs Geschichte klingt wie aus einem billigen Thriller. Unter der Aufsicht von zwei FBI-Agenten hat der muskelbepackte Fitnesstrainer ein fiktives französisch-syrisches Alter Ego mit dem Namen Farouk Aziz erschaffen. Mit dieser Tarnung trieb Monteilh sich in Moscheen in Orange Country herum – in dem weiten Gebiet der südlichen Vorstadt von LA – und gab vor, zum Islam zu konvertieren.

Er war damit beauftragt, sich mit Muslimen anzufreunden und alle ihre Gespräche aufzuzeichnen.
Diese Informationen wurden dann komplett an das FBI übermittelt, das Monteilh anwies, sich auch wie ein Radikaler zu benehmen, um Sympathisanten des Islamismus anzulocken.

Weit davon entfernt, erfolgreich zu sein, ging Monleilh den Muslimen von Orange Country so sehr auf die Nerven, dass sie eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkten. Es gab eine ironische Wende, und sie haben Monteilh sogar beim FBI gemeldet – ohne zu wissen, dass er in Wahrheit verdeckt für die Behörde arbeitete.

Monteilh sieht nicht wie ein Spion aus. Er ist gut gebaut, spricht leise und ist freundlich. Er ist 49 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Er lebt in einem kleinen gemieteten Haus in der Stadt Irvine, die in die suburbane Gegend Südkaliforniens hineinragt. Trotzdem ist Monteilh ein intimer Kenner des Spionage-Geschäfts. Er kam auf eigene Initiative zur Undercover-Arbeit, nachdem er in einem Gym einer Gruppe von Polizisten außer Dienst beim Workout begegnet war. Monteilh erzählte ihnen, dass er in Ohio wegen Scheckbetrugs eine Zeit im Gefängnis verbracht hatte.

Er sei durch eine hässliche Scheidungsgeschichte traumatisiert gewesen, erklärte er seine kriminelle Vergangenheit. „Es war eine schlimme Zeit in meinem Leben“, sagt er. Die Polizisten und Monteilh sprachen über Straftäter, die er in Ohio getroffen hatte. Die Informationen seien so nützlich gewesen, sagt Monteilh, dass er begann, als verdeckter Drogenfahnder zu arbeiten und Verbrechen zu organisieren.

Schließlich wurde er beauftragt, für die Terrorabwehr zu arbeiten, und wurde an zwei FBI-Vorgesetzte verwiesen, die sich Kevin Armstrong und Paul Allen nannten. Diese beiden Agenten hatten einen Auftrag und einen falschen Namen für ihn.

Als Farouk Aziz sollte er dann Moscheen und islamische Gruppen in Orange Country infiltrieren. „Paul Allen sagte: ,Craig, Du wirst unser Computerwurm. Unser Mann, der uns zum wahren Puls der muslimischen Gemeinschaft in Amerika führt‘”, berichtet Monteilh.

Der Einsatz fing ganz banal an. Monteilh hielt sich als Aziz in Moscheen auf und erklärte, er wollte mehr über Religion erfahren. Im Juli 2006 konvertierte er im Islamic Center von Irvine zum Islam.

Monteilh bezog auch andere Moscheen ein, inklusive der Orange County Islamic Foundation. Er legte endlose Runden von Moschee zu Moschee zurück und verbrachte lange Tage mit Beten, Bücherlesen oder nur damit, anwesend zu sein, um mit möglichst vielen Leuten ins Gespräch zu kommen.

„Langsam begann ich, Gewänder zu tragen, die Kopfbedeckung, den Schal, und sie sahen, wie ich mich verwandelte und mir einen Bart wachsen ließ. Zu diesem Zeitpunkt, drei oder vier Monate später, sagte (mein FBI-Vorgesetzter): ‚Ok, nun fang an, Fragen zu stellen‘.“

Diese Fragen zielten darauf, Radikale ausfindig zu machen. Monteilh sprach über seine Neugier auf das Verständnis vom Jihad und darüber, was Muslime gegen das Unrecht in der Welt tun sollen, besonders wenn es die amerikanische Außenpolitik betraf.

Er sprach über den Zugang zu Waffen, den möglichen Wunsch, ein Märtyrer zu werden, und suchte nach gleichgesinnten Seelen. Das alles diente dazu, Leute in die Falle verfänglicher Aussagen zu locken. „Die Fähigkeit besteht darin, jemanden zu bewegen, bestimmte Dinge zu sagen. Ich bedrängte ihn, ,Jihad‘ zu sagen“, erklärt Monteilh.  

Natürlich wurden diese Unterhaltungen mitgeschnitten.

Wie Szenen aus einem James-Bond-Film – Monteilh berichtet, manchmal habe er eine eingenähte Videokamera in seinem T-Shirt getragen. Andere Male hatte er einen Audiorecorder an seinem Schlüsselbund eingeschaltet.

Monteilh ließ seine Schlüssel in Büros und Räumen von Moscheen liegen, in der Hoffnung, während seiner Abwesenheit Gespräche aufnehmen zu können. Er tat das so oft, dass er sich unter den anderen Gemeindemitgliedern den Ruf erwarb, sehr nachlässig mit seinen Schlüsseln umzugehen. Die Aufzeichnungen wurden spätestens innerhalb einer Woche ans FBI weitergeleitet.

Für intensivere Briefings traf er sich alle zwei Monate mit den FBI-Leuten in einem Hotelzimmer in der Nähe von Anaheim. Monteilh berichtet, er musste speziellen Einzelpersonen auf den Zahn fühlen und sich Schaubilder der Beziehungsnetze in der muslimischen Bevölkerung von Orange Country anschauen.

Er erklärte, das FBI hätte zwei Basisziele verfolgt: Erstens wollten sie potentielle Gewalttäter ausfindig machen. Zweitens konnten sie auch alle Arten von Informationen gebrauchen. Monteilh fand heraus – wie in einer Affäre oder bei jemandem, der schwul ist –, wie Zielpersonen FBI-Informanten wurden.

Nichts störte seine FBI-Bosse, nicht einmal als er vorschlug, muslimische Frauen zu verführen und sie abzuhören.

Während eines Hotel-Meetings erklärte Agent Kevin Armstrong die Haltung des FBI zu dem enormen Umfang der Operation Flex – und bürgerrechtlichen Belangen. Er sagte einfach: „Kevin ist Gott.”
Monteilhs eigene Haltung war ganz simpel: „Ich war immun. Ich bin ein Verbrecher. Ich bin auf Bewährung, und die Polizei kann mich nicht verhaften. Wie mächtig fühlt man sich da? Sehr mächtig.  Du fängst an, eine bestimmte Arroganz zu entwickeln. Es ist der Hohn. Sie sagten mir: ,Du bist unberührbar’”, erzählt er.

Aber es war nicht immer leicht: „Ich fing um 4 Uhr morgens an und hörte um 9.30 Uhr abends auf. Wirklich, es war sehr viel Arbeit …, die Farouk übernommen hatte. Craig existierte nicht”, sagt er. Aber es war gut bezahlt: Auf dem Höhepunkt der Operation Flex verdiente Monteilh mehr als 11.000 Dollar im Monat.

Aber er irrte sich in Bezug auf seine Immunität.

Weit davon entfernt, radikale Terror-Netzwerke zu enttarnen, endete Monteilhs Mission damit, dass er die Gemeinden traumatisierte, in die er eingeschleust worden war. Statt Aufrufe zum Jihad aufgeschnappt oder seine Fragen über Selbstmordattentäter oder Zugang zu Waffen beantwortet  bekommen zu haben, wurde Monteilh dem FBI als potentieller gefährlicher Extremist gemeldet.

Außerdem wurde im Juni 2007 eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt, sich vom Islamic Center von Irvine fernzuhalten. Operation Flex war ein Reinfall, und Monteilh musste sein Leben als Farouk Aziz aufgeben.

Aber hier endete die Story nicht. Unter Umständen, die im Dunkeln bleiben, klagte Monteilh gegen seine Behandlung durch das FBI mit der Begründung, es habe ihn fallenlassen, sobald die Operation zu Ende war.   

Er landete sogar im Gefängnis, nachdem die Polizei von Irvine ihn belangt hatte, weil er zwei Frauen, darunter seine ehemalige Freundin, bei einem illegalen Handel mit Wachstumshormonen in Fitness-Clubs betrogen haben soll (Monteilh behauptet, diese Aktionen wären Teil einer anderen geheimen Operation, für die er gezwungen worden sei, den Kopf hinzuhalten).

Woran kein Zweifel besteht, ist, dass Monteilhs Identität später öffentlich bekannt wurde. 2009 eröffnete das FBI ein Verfahren gegen Ahmad Niazi, einen afghanischen Einwanderer in Orange County.

Zu den Beweisstücken gehörten heimliche Mitschnitte, sogar die Aussage, Osama bin Laden sei „ein Engel“. Das war Monteilhs Arbeit, und er outete sich selbst gegenüber der Presse zum Entsetzen der Muslime, die er zwei Jahre zuvor ausspioniert hatte – als Undercover-FBI-Operateur.

Nun behauptete Monteilh, er habe Niazi eine Falle gestellt und versucht den Afghanen dazu zu erpressen, als Informant zu arbeiten. „Ich habe die gesamte Verbindung zu Niazi aufgebaut.  Durch mich erzwungen sprachen wir viel über den Jihad,” sagt er. Die FBI-Anklage gegen Niazi wurde später tatsächlich fallengelassen.

Mittlerweile hat Monteilh sich der American Civil Liberties Union (ACLU), der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, gegen das FBI angeschlossen. Erstaunlicherweise, nachdem er sich erst als Farouk Aziz mit Muslim-Führern in Orange County angefreundet, sie dann als Craig Monteilh betrogen hat, arbeitet er nun wieder mit ihnen und vereinten Kräften in einer Kampagne für ihre Bürgerrechte.

Das hat inzwischen Monteilhs Zeugenaussage über sein Jahr als V-Mann in den Mittelpunkt neuer rechtlicher Bemühungen gestellt, die beweisen sollen, dass das FBI in Orange Country unberechtigterweise die verwundbare muslimische Gemeinde zur Zielscheibe gemacht und im Namen der Sicherheit auf den Bürgerrechten herumgetrampelt ist.

Das FBI hat auf die Anfrage des Guardian zu einer Stellungnahme nicht geantwortet.  

Es ist nicht das erste Mal, dass Monteilh seinen Standpunkt änderte. In dem ACLU-Fall posiert Monteilh nun als der reuige Informant, der seinen Irrtum eingesehen hat.

Aber in den Gerichtsakten früherer Klagen gegen die Polizei von Irvine und das FBI haben Monteilhs Anwälte ihn als den loyalen Geheimagenten dargestellt, der radikalislamische Kräfte gekonnt angegangen war und von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen worden ist.  

In den Akten beklagt Monteilh, dass die FBI-Agenten nicht schnell genug auf einen Tipp reagiert hätten, den er ihnen zum möglichen Aufspüren von Material für den Bombenbau gegeben habe.  Jetzt sagt Monteilh, dieser Tipp sei nicht glaubwürdig gewesen.

So oder so mündet alles in eine Geschichte, die beim Erzählen ihre Richtung ändert. Aber allein diese Tatsache trifft ins Herz des FBI, das solche vertraulichen Informanten benutzt hat, um muslimische Gemeinden auszuforschen.

FBI-Agenten mit ähnlichen Profilen wie Monteilh – mit einem langen Strafregister, auf schnelles Geld aus und flexibel beim Umgang mit der Wahrheit – haben brisante Fälle mutmaßlichen Fallenstellens verursacht, die Bürgerrechtsgruppen in ganz Amerika schockiert haben.

In den meisten Fällen haben die Informanten ihre Verfahren gewonnen und sind einfach  verschwunden. Monteilh ist der einzige, der öffentlich darüber spricht. Aber wie immer die Wahrheit über sein Jahr als V-Mann lautet, Monteilh hat sicherlich nahezu recht mit dem, was er über eine Folge der Operation Flex und die Aufdeckung seiner Undercover-Aktivitäten sagt: „Die muslimische Gemeinschaft wird dem FBI nie wieder trauen.“

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Übersetzung aus dem Englischen: Hintergrund

Der Artikel erschien im Original unter dem Titel The ex-FBI informant with a change of heart: ‘There is no real hunt. It’s fixed’ im Guardian, 20. März 2012.

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