Terrorismus

Der Weihnachtsbomber als Kriegsvorwand

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Die USA rechtfertigen ihre Militärschläge im Jemen als Anti-Terror-Kampf. Der eigentliche Gegner aber heißt Iran –

Von THOMAS WAGNER, 4. Januar 2010 –

Der vermeintliche Terroranschlag des Nigerianers Umar Farouk Abdulmutallab auf dem Northwest-Flug 253 von Amsterdam nach Detroit am 25. Dezember 2009 kommt der US-Regierung gerade gelegen. Er bietet einen Vorwand für verschärfte Kontrollen bei US-Flügen und eine Ausweitung der technischen Überwachung von Fluggästen durch „Nackt-Scanner“, liefert eine Begründung dafür, die Bürgerrechtseinschränkungen des zum neuen Jahr teilweise auslaufenden Patriot Acts doch noch beizubehalten (1) und stärkt jene Stimmen in der Administration, denen eine Schließung des US-Folterlagers Guantanamo ein Dorn im Auge ist.

Denn US-Präsident Barack Obama beschuldigte am Freitag Angehörige der Al Qaeda im Jemen hinter dem Anschlag zu stehen und darunter sollen sich auch ehemalige Guantanamo-Häftlinge befinden. Am Nützlichsten erweist sich das nach offiziellen Angaben von Fluggästen vereitelte Attentat aber dadurch, dass es einen nachgeschobenen Vorwand für die längst begonnenen Kriegsoperationen der USA und ihrer Verbündeten im Jemen liefert. In Wirklichkeit geht um die Kontrolle des Zugangs zum Roten Meer (2) und die Schwächung des Irans.

Am Sonnabend (02.01.2010) war der für Nahost, Zentralasien und Ostafrika zuständige amerikanische General David Petraeus in der Hauptstadt Sanaa mit dem jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih zusammengetroffen und hatte weitere Anti-Terror-Aktionen seines Landes angeboten. (3)

Jemens Außenminister Abu Bakr al-Kirbi ließ verlauten, dass sein Land mit anderen Ländern Geheimdienstinformationen austausche, gegen Terroristen auf seinem Staatsgebiet aber selbst vorgehe. Die jemenitische Regierung führt seit Jahren einen Mehrfrontenkrieg gegen die überwiegend schiitische Bevölkerung im Norden, gegen eine separatistische Bewegung im Süden, gegen mehrere Stämme und gegen eine kleine Al Qaeda Zelle. (4)

Viele Anzeichen sprechen dafür, dass es sich bei dem Anschlagsversuch möglicherweise wieder einmal um eine Operation eines der US-Geheimdienste unter falscher Flagge gehandelt hat. Sicher ist auf alle Fälle: Obwohl den Diensten alle persönlichen Daten des nigerianischen Studenten längst bekannt waren, wurden Warnungen im Vorfeld des Anschlags einfach ignoriert.
Die CIA hat zugegeben, dass sie bereits seit August erste Warnungen erhalten hatte. Sie kannte Namen und Passnummer des Mannes, nachdem sein Vater, ein nigerianischer Banker und Ex-Minister, die US-Botschaft in Nigeria vor terroristischen Absichten seines Sohnes bei dessen anstehender US-Reise gewarnt hatte.

Obwohl die CIA bekannt gab, alle zuständigen US-Behörden informiert zu haben, durfte der Student sein Visum behalten und das Flugzeug besteigen. Momentan gibt es in der Presse noch widersprüchliche Nachrichten, ob der Student auf gar keiner der von den USA geführten Terrorlisten geführt wurde, ob er auf der „am wenigsten wichtigen“ stand oder ob er auf einer Flugverbotsliste geführt wurde und dennoch seinen Flug antreten durfte.

Nur schwer vorstellbar ist jedenfalls, dass es sich bei den Vorgängen um eine Geheimdienstpanne gehandelt hat, wie die US-Regierung und große Teile der Medien behaupten. Parallelen zum Agieren der Geheimdienste bei den Anschlägen vom 11.September 2001 drängen sich geradezu auf. „In deren Vorfeld hatten drei regionale FBI-Teams der Antiterror-Abteilung unabhängig voneinander Wind von der Sache bekommen, ihre weiteren Nachforschungen waren aber auf Anweisung von oben gestoppt worden. Auch die Tatsache, dass Abdulmutallabs Sprengsatz nicht explodierte, sondern nur eine Art Verpuffung produzierte, erinnert an den ersten Anschlag 1993 auf das New Yorker World Trade Center. Wie sich später bei der Gerichtsverhandlung herausstellte, war die „islamistische Terrorgruppe« komplett vom FBI unterwandert. Die Behörde besorgte sogar die Sprengsätze. Anstatt zu explodieren, qualmten sie nur, was aber auch zum Tod etlicher Unbeteiligter führte.“(5)

Auch im Fall des Major Nidal Hasan, jenes US-Militärpsychiaters, der im November des vergangenen Jahres 13 Menschen auf dem texanischen Militärstützpunkt Fort Hood, getötet hatte, war das FBI involviert. Die Behörde hatte bekannt gegeben, dass der Amokläufer einen E-Mail Kontakt mit einem Prediger aus dem Jemen gepflegt habe. (6) Der Süddeutschen Zeitung (11.11.2009) fiel damals auf, „dass das FBI und die militärische Abwehr über diese E-Mails informiert waren – und keinen Grund sahen, Ermittlungen gegen den muslimischen Offizier einzuleiten.“(7)

Zu diesem Zeitpunkt waren die US-Militäraktionen gegen Aufständische an der Seite Saudi Arabiens und der jemenitischen Regierung längst angelaufen. US-Marschflugkörper sowie saudische Kampfjets und Artillerie kamen dabei zum Einsatz. Mehrere Hundert Zivilisten starben bei den mit diesen Waffen verübten Massakern. 175.000 Menschen befinden sich beiderseits der saudisch-jemenitischen Grenze auf der Flucht.
Einige Beobachter in der Region sehen in den Kämpfen in der jemenitischen Provinz Saada eine Art „Stellvertreterkrieg“. Denn der schiitische Iran sympathisiert mit den Rebellen. Das sunnitische Herrscherhaus von Saudi-Arabien hat sich seinerseits mit der jemenitischen Führung unter Präsident Ali Abdullah Salih verbündet, die im vergangenen August ihre sechste Offensive gegen die Rebellen begonnen hatte. (8)

Die USA wiederum suchen den Schulterschluss mit den Saudis und der jemenitischen Regierung gegen den Iran. Damit setzt Kriegspräsident Barack Obama einen strategischen Richtungswechsel für den Mittleren Osten fort, der noch unter der Administration von George W. Bush eingeleitet worden war. Der investigative US-Journalist Seymour Hersh hatte 2007 im New Yorker beschrieben, dass die USA bei verdeckten Operationen nun vermehrt mit Saudi-Arabien kooperieren, um den Iran, Syrien und die Hisbollah im Libanon zu schwächen, obwohl sie damit zugleich sunnitischen Extremisten den Rücken stärkten, die den USA feindlich gegenüber stehen. Als Strippenzieher der neuen Strategie machte Hersh damals u.a. Dick Cheney und Prinz Bandar bin Sultan, den saudischen Berater für Nationale Sicherheit ausfindig. (9)

Nun steigen zunehmend auch die Europäer mit ins Boot. Die britische Unterstützung für Jemen, so die junge Welt, betrug nach Angaben des Außenministeriums in London bisher umgerechnet 23 Millionen Euro und soll im neuen Jahr auf 57 Millionen Euro erhöht werden. Gordon Brown wolle am 28. Januar in London eine internationale Konferenz organisieren, auf der über eine gemeinsame westliche Strategie für die „Terrorbekämpfung“ im Jemen beraten werden soll. Zeitgleich findet die dort schon länger geplante Afghanistan-Konferenz statt. Auch das EU-Engagement soll bei dieser Gelegenheit beraten und koordiniert werden. Washington und London kündigten an, eine Anti-Terroreinheit im Jemen finanzieren zu wollen. Daneben soll auch die Küstenwache des Jemen unterstützt werden. Darauf hätten sich US- Präsident Barack Obama und der britische Premierminister Gordon Brown verständigt, teilte die Downing Street mit. Die Details müssten noch ausgearbeitet werden. Obama und Brown haben seit Weihnachten mehrfach miteinander telefoniert und eine engere Zusammenarbeit im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus vereinbart. Unter anderem wollen sie im UN-Sicherheitsrat erreichen, dass die Friedenstruppen in Somalia, das vom Jemen durch den Golf von Aden getrennt ist, aufgestockt werden. Der somalische Verteidigungsminister Sheik Yusuf Mohamed Siad Indha Adde hat jemenitischen Rebellen vorgeworfen, der radikal-islamischen Al-Shabaab-Miliz Waffen zu liefern, so dpa.

Wie weit sich die deutsche Regierung am Krieg gegen die Aufständischen im Jemen beteiligen will, und ob dabei auch die zur Zeit im Rahmen der Mission Atalanta im Golf von Aden patrouillierende Bundesmarine zum Einsatz kommen könnte, ist zur Zeit noch unklar. Das Außenministerium ist jedenfalls um gute Beziehungen zur jemenitischen Regierung bemüht. Das Auswärtige Amt bezeichnet Deutschland als einen der „bevorzugten westlichen Partner Jemens“. (10) Staatspräsident Saleh halte sich regelmäßig in Deutschland zu Besuchen auf. Erst im November 2009 war Außenminister Guido Westerwelle mit seinem jemenitischen Amtskollegen Abubakr Abdallah Al Kirbi zusammengetroffen. „Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die Lage im Jemen und in der Region“, gab das Auswärtige Amt bekannt. (11)


Quellen:

(1) http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_10/LP00110_010110.pdf

(2) Der US-Blogger Grant Lawrence kommentierte daher: „Man muss wirklich sagen, dass der versuchte Terrorangriff in Detroit ein bisschen zu nützlich erscheint. Er ereignete sich genau zum richtigen Zeitpunkt für diejenigen in der Regierung, die den Krieg gegen den Terror im Ausland und den sicherheitstechnischen Polizeistaat in unserem Land ausweiten wollen.“ http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_10/LP00110_010110.pdf

(3) Petraeus hatte am Tag zuvor in Bagdad bekanntgegeben, die Militärhilfe der USA für Jemen habe sich im vergangenen Jahr auf 70 Millionen Dollar (knapp 50 Millionen Euro) belaufen und solle jetzt mehr als verdoppelt werden, so die junge Welt (Montagsausgabe). http://www.jungewelt.de/2010/01-04/060.php

(4) http://www.jungewelt.de/2010/01-04/060.php

(5) http://www.jungewelt.de/2010/01-04/047.php

(6) zum Beispiel im Economist am 30. Dezember 2009,
http://www.economist.com/world/unitedstates/PrinterFriendly.cfm?story_id=15179544

(7) http://www.sueddeutsche.de/panorama/725/494066/text/

(8) Vgl. http://www.hintergrund.de/index.php/globales/kriege/schlachtfeld-jemen-das-neue-operationsgebiet-der-us-streitkraefte.html

(9) http://www.newyorker.com/fact/content/articles/070305fa_fact_hersh

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(10) http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Jemen/Bilateral.html

(11) http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Jemen/091123-am-westerwelle,navCtx=28116.html

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