Terrorismus

NSU-Terror: Verfassungsschutz doch involviert?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 29. November 2011 –

Die Hinweise darauf, dass die Neonazi-Terrorzelle um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe („NSU – Nationalsozialistischer Untergrund“) vom Verfassungsschutz gedeckt wurde beziehungsweise unterwandert worden war, verdichten sich. (1) Die 36-jährige Zschäppe, die sich vier Tage nach dem Tod ihrer beiden Mitstreiter der Polizei gestellt hatte, nachdem sie zuvor zwecks Beweismittelvernichtung die Wohnung des Trios in Zwickau in Brand gesetzt haben soll, ist der Kooperation mit den Behörden verdächtig.

Anfang 1999 tauchte das Trio nach mehreren ihm zur Last gelegten Sprengstoff-Delikte unter. Frühzeitig kam der Verdacht auf, dass sie bei ihrer Flucht auch auf behördliche Unterstützung zählen konnten. Zielfahnder des Landeskriminalamt, die erst zwei Wochen später auf die flüchtigen Neonazis angesetzt wurden, schrieben damals einen Vermerk in die Akten, dass die Untergetauchten möglicherweise vom Verfassungsschutz gedeckt wurden.(2)

Auch soll Gerüchten zufolge „ein Vermerk aufgetaucht sein, der belegt, dass Beate Z. verdeckt für den Verfassungsschutz gearbeitet haben soll.“ (3)

Offenbar handelt es sich um mehr als Gerüchte. Denn die Leipziger Volkszeitung berichtet nun, dass es einen Hinweis dafür gebe, demzufolge Zschäpe staatlicherseits gedeckt worden sei. „Dahinter sollen sich Zuträgerleistungen aus der rechten Szene von Beate Zschäpe unter anderem auch für thüringische Sicherheitsbehörden verbergen. In dieser Zeit soll Beate Zschäpe fünf Alias-Namen verwendet haben. 2003 gab es darüber hinaus Kontakte zwischen der Justiz und Vertrauten von Beate Zschäpe, ob und wie sich die Abgetauchte zurück an die Öffentlichkeit begeben könne.“ (4)

Der Hinweis auf Zschäpes Tätigkeit als Informantin geht laut der Volkszeitung „offenbar“ auf das thüringische Landeskriminalamt zurück.

Der Thüringer Verfassungsschutz bestreitet, Zschäpe angeworben zu haben. Es  habe nicht einmal einen Anwerbeversuch gegeben. Doch das Verhalten des mutmaßlich bisher einzigen bekannten weiblichen Mitglieds der NSU steht in völligem Kontrast zu einem Vorgehen, wie es von Leuten zu erwarten gewesen wäre, die in den Untergrund abtauchen, um sich der Strafverfolgung zu entziehen und terroristische Taten zu begehen.

Zschäpe nahm an öffentlichen  Veranstaltungen der rechtsextremen Szene teil. So berichtete ein Aussteiger gegenüber der Bild davon, dass sie im Jahr 2004 auf mehreren NPD-Veranstaltungen anwesend war. Das Springerblatt zitiert den Mann mit den Worten: „Sie war bekannt als Gründungsmitglied der NSU.“ Ihm seien elf Mitglieder der Gruppe bekannt gewesen. Auch sei man  in der Szene über Kontakte zwischen Zschäpe und dem VS informiert gewesen. (5)

Nun veröffentlichte die Bild am Sonntag ein Foto, dass die Frau auf einer Neonazi-Demonstration mit rund 200 Teilnehmern am 3. Oktober 2008 in Geithain bei Leipzig zeigen soll. Die BamS legte die Aufnahme einem Ermittler vor, der sie von Angesicht kennt. Der Beamte sei sich sicher, dass es sich um Zschäpe handelt. (6)

Fast wäre das Foto nicht an die Öffentlichkeit gelangt: „Zwei Tage nach der Demonstration wurde bei dem Leipziger Fotografen eingebrochen. Während er im Nebenzimmer schlief, entwendeten die Diebe zielgerichtet die Datenträger mit den Fotos von der Nazi-Demo. Was sie nicht wussten: Der Fotograf hatte vier Aufnahmen bereits versendet. Nach dem Einbruch erstattete er Strafanzeige bei der Polizei.“ (7)

Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Klar ist aber, dass das gezielte Vorgehen gegen einen gewöhnlichen Einbruchdiebstahl spricht. Dass die Täter in der Lage waren, so lautlos vorzugehen ohne dabei den Fotografen zu wecken, spricht zudem dafür, dass hier Profis am Werk waren. In wessen Auftrag?

Klar ist auch: Wer in der Illegalität unter falscher Identität lebt und aus dem Untergrund heraus Morde begeht, begibt sich nicht auf öffentliche Neonazi-Demonstrationen, die von Polizei und Verfassungsschutz observiert werden und bei denen nicht selten die Personalien der Teilnehmer von der Polizei vor Ort festgestellt werden. Auch ist die Gefahr einer Festnahme bei solchen Veranstaltungen generell sehr groß. Die mutmaßliche NSU-Terroristin fühlte sich offenbar auch in der Gegenwart der Polizei sicher. Stringente Rückschlüsse können eigentlich nur in eine Richtung gezogen werden: Beate Zschäpe hatte sich dem VS – oder einer anderen Behörde – angedient.

Laut einem Bericht des stern hat Zschäpe bereits seit 1999 unbehelligt in Zwickau gelebt. Sie soll zu diesem Zeitpunkt, als sie noch per Haftbefehl gesucht wurde, über eine Heirat den Namen Susann Dienelt angenommen haben. (8) Wenn die Informationen des Magazins stimmen sollten, dann ist dies ein weiteres Indiz für eine geheimdienstliche Tätigkeit Zschäpes.  

Angesichts des starken Verdachts, dass eine V-Frau des Verfassungsschutzes in die größte Mordserie der bundesrepublikanischen Geschichte verwickelt ist, erscheint der Beitrag von Bundesinnenminister Friedrich zur Debatte um den Einsatz von V-Leuten schon beinah zynisch.  „Ich bin sehr vorsichtig, was das Abschalten von V-Leuten angeht“, so Friedrich gegenüber der Welt am Sonntag.  „Wir brauchen einen Einblick in diese Szene, sonst wären wir auf dem rechten Auge blind.“ (9)

Im Fall der NSU war es eben keine vielbeschworene Blindheit auf dem rechten Auge die dazu führte, dass dem Terror-Spuk des Trios nicht frühzeitig ein Ende bereitet wurde. Die verantwortlichen Stellen waren nicht blind, sie haben einfach nur zu gesehen. Und das ist möglicherweise noch die harmloseste Variante.


Anmerkungen

(1) Siehe: http://www.hintergrund.de/201111161793/politik/inland/immer-tiefer-verstrickt-geheimdienste-und-nazi-terror.html

(2) http://www.faz.net/aktuell/politik/neonazi-mordserie-getrieben-vom-hass-11528009.html

(3) http://www.bild.de/news/inland/bundesamt-verfassungsschutz/spielt-welche-rolle-in-mord-serie-20964578.bild.html

(4) http://nachrichten.lvz-online.de/nachrichten/mitteldeutschland/raetselraten-ueber-moegliche-informanten-taetigkeit-von-beate-zschaepe/r-mitteldeutschland-a-115385.html

(5) http://www.bild.de/news/inland/nsu/die-nazi-braut-galt-als-heisser-feger-21035460.bild.html

(6) http://www.bild.de/news/inland/nsu/killer-nazis-klauten-bundeswehr-sprengstoff-21241556.bild.html

(7) ebd.

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(8) http://www.presseportal.de/pm/6329/2148836/stern-beate-zschaepe-lebte-seit-1999-unbehelligt-in-zwickau/rss

(9) http://www.welt.de/print/wams/politik/article13737428/Wir-brauchen-V-Leute.html

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