Umwelt

Granja Carroll – ist ein mexikanischer Schweinezuchtbetrieb der Ground Zero der neuen Influenza?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REGINE NAECKEL, 3. Mai 2009 –

Der "Ursprung" des Erregers der neuen Nordamerika-Grippe scheint ausgemacht. Das zumindest berichtet die New York Times (1) und beruft sich dabei auf die mexikanische Regierung. Édgar Hernández, ein fünfjähriger Junge aus La Gloria in der mexikanischen Provinz Veracruz, wurde als „erste Person“ identifiziert, die sich mit dem mutierten Virustyp H1N1 infiziert haben soll. Doch ein Erstinfizierter kann nicht der eigentliche Ursprung sein – dazu bedarf es noch einer "porzinen" Quelle und einer Übertragung durch ein erkranktes oder virusinfiziertes Schwein.

Der Guardian berichtet, dass bei dem Jungen am 3. April ein Abstrich gemacht wurde, der jedoch erst zwei Wochen später auf H1N1 untersucht wurde. (2) Laut den Behörden wurde kein weiterer Fall in La Gloria gefunden. Tatsache aber ist, dass Edgar nur einer von Hunderten Menschen in La Gloria war, die seit dem 9. März grippeähnliche Symptome zeigten und erkrankten. Die Bewohner des kleinen Ortes unweit der Landeshauptstadt Perote machen den Behörden schwere Vorwürfe. Zum einen kritisieren sie, dass man nicht früher den Virusstamm untersucht hat und so Erkrankungen und Todesfälle eventuell verhindert hätte. Im März und April starben in dem 2000-Einwohner-Ort zwei Kinder an den Folgen einer Grippe. Noch ist nicht geklärt, ob es sich bei dem Erreger möglicherweise auch um H1N1 gehandelt hat.

Dass etwas in La Gloria nicht stimmte, vermutete Verónica Ramos bereits mehr als einen Monat, bevor die Regierung den Ausbruch der Schweine-Grippe bekannt gab. Ramos ist Lehrerin an der Grundschule Zunächst, erinnert sie sich, sei ein Mädchen der vierten Klasse erkrankt, dann hatte mehr als die Hälfte der Klasse dieselben Symptome. Die Schwester des Mädchens kam mit Fieber, Husten und Schmerzen in die Schule, ein Drittel der 300 Schüler an der Schule waren krank. „Kinder erkranken leicht, ich weiß, das“, erklärt Verónica Ramos, „und sie infizieren sich gegenseitig. Aber es ist nicht üblich, dass so viele so schnell krank werden." (NYT, siehe 1)

Smithfield Foods – katastrophale Zustände in der Schweinezucht

Als Krankheitsquelle und eigentliche Ursache vermuten die Bewohner von La Gloria schon lange die nahegelegene industrielle Schweinezucht der Firma Granjas Carroll, einem Unternehmen der Smithfield Foods. Smithfield Foods ist das weltweit größte Unternehmen für Schweinezucht und Verarbeitung von Schweinefleischprodukten mit Filialen in Nordamerika, Europa und China.

Seit Jahren führen die Bewohner La Glorias einen harten Kampf gegen die Verschmutzung durch das Unternehmen und waren dafür sogar Repressionen der Behörden ausgesetzt. (3). Granjas Carroll erklärte zu den aktuellen Vorwürfen und der Ausbreitung eines porzinen (von Schweinen herrührenden) H1N1-Virus, es gäbe weder einen Bezug zu dem Unternehmen, noch läge bei Granjas Carroll der Ursprung der aktuellen Epidemie. Man verkündete kurzerhand, die Bevölkerung habe eine gewöhnliche Grippe. Um die Zweifel auszuräumen machte man allerdings bis heute keinerlei Analysen. Bereits Anfang April wurde die Vermutung geäußert, dass die infektiösen Erkrankungen in La Gloria aus der Schweinezuchtfabrik kommen. (4)

Smithfield Foods vertreibt seine Produkte unter dem Label „Yano“ auch in Deutschland. (5) Vor allem sind das polnische Wurstwaren und Fleischkonserven, die bei der zum Konzern gehörenden Animex in Warschau produziert werden.(6) Die Zustände der Tierhaltung bei Smithfield Foods in Polen sind berüchtigt – sie entsprechen aber offensichtlich den EU-Richtlinien, denn noch sind keine Maßnahmen gegen das Unternehmen bekannt worden.

Mit versteckter Kamera filmten Aktivisten der britischen Organisation gegen Massentierhaltung "Compassion in World Farming " die Zustände bei Smithfield in Polen bereits 2005: In Schweinekot und Urin schwimmen verstorbene Ferkel, zwischen den enggedrängten – zum Teil auf die Knochen abgemagerten Schweinen – liegen die Kadaver verstorbener Tiere. (Siehe Hintergrund Startseite oder Pkt.7)

Bei der „Agrarberatung Hessen “ liest sich die „Erfolgsstory“ von Smithfield Foods so:

Smithfield, der weltweit größte Schweineproduzent

Der Mutterkonzern Smithfield Foods Inc. mit Konzernsitz in Virginia/USA ist inzwischen der größte Schweineproduzent der Welt. Nach dem Erwerb großer Marktanteile in den Vereinigten Staaten, Brasilien, Mexiko und Kanada wagte Smithfield Ende der 90er Jahre den Schritt über den Atlantik, um seinen Expansionskurs in Europa fortzusetzen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses gut geführte (sic!) und erfolgreiche Unternehmen die Marktführerschaft in Europa erzielt.

Nach Akquisitionen in England, Frankreich und Spanien konzentriert sich Smithfield aus strategischen Erwägungen jetzt auf osteuropäische Märkte – und das noch kurz vor dem EU-Beitritt der jeweiligen Länder.

In Polen hat Smithfield inzwischen schon mehr als 5 % des Schweinemarktes erobert. Jetzt folgt die Übernahme der Schweinemarktherrschaft in Rumänien als Brückenkopf für die Eroberung weiterer Marktanteile im Herzen Europas.

Es ist kein Zufall, dass Smithfield den europäischen Markt vom Osten her aufrollt. Dort sind die Produktionskosten, die Arbeitskräfte etc. günstig und die Umweltauflagen gering. In Westdeutschland wäre es aufgrund von Bürgerinitiativen und Umweltauflagen schon sehr schwierig, in den bei Smithfield gewohnten Größenordnungen in die Schweineproduktion einzusteigen, außer vielleicht in Ostdeutschland. Hier haben auch schon Verhandlungen mit Smithfield stattgefunden.

Guten Appetit!

Zum Thema "Schweinegrippe" siehe auch: Pandemie Phase 5 – Ein maßlos überschätztes Virus?

(Eine mexikanische Webseite, die das Unternehmen in Mexiko am stärksten kritisiert, ist seit einigen Tagen mitunter nicht erreichbar. Trotzdem der Link: http://www.jornada.unam.mx )

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Quellen

(1) http://www.nytimes.com/2009/04/29/world/americas/29mexico.html?_r=5&pagewanted=all
(2) http://www.guardian.co.uk/world/2009/apr/29/swine-flu-outbreak-mexico
(3) http://blog.hintergrund.de/2009/05/03/epidemie-des-profits/
(4) http://www.jornada.unam.mx/2009/04/06/index.php?section=estados&article=030n1est
(5) http://www.smithfield.de/produkte.php
(6) http://www.smithfield.de/kontakt.02.php
(7) http://www.hintergrund.de Startseite unten oder http://www.youtube.com/watch?v=xZQiWf-KEgQ

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