Kriegspropaganda

Die Ukraine für uns an der Front

Katrin Göring-Eckart drängt auf die Lieferung schwerer Panzer an die Ukraine. Das hat sie nach einem inzwischen bekannten Muster begründet. Die Ukraine verteidige „nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch unsere Freiheit“.* Reflexionen über einen Propaganda-Topos.

Die laut Eigenaussage “fromme” Christin, Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, ist derzeit im Kriegstaumel.
Foto: Stefan Müller Lizenz: CC BY 2.0, Mehr Infos

Im Juni letzten Jahres hatte schon unsere Außenministerin auf Twitter versichert: „Die Ukraine verteidigt auch die Werte Europas.“1 Und Ursula von der Leyen hat das schon mehrfach betont. Unter anderem hat sie sich im Mai 22 bei Maybritt Illner beeindruckt davon gezeigt, „wie sie unsere Werte verteidigen, mit allem, was sie haben, bis zu ihrem Leben.“2

In einem historischen Artikel in der Wochenzeitschrift der Freitag – Anlass war der Jahrestag der Schlacht um Stalingrad, die vor achtzig Jahren mit der Niederlage der Nazi-Truppen endete – wurde vor kurzem daran erinnert, wie das Oberkommando der Wehrmacht nach der Zerschlagung der sechsten Armee am 3. Februar 1943 den Kampf glorifizierte. Die Armee habe lange standgehalten als „Bollwerk der historischen europäischen Mission“.3 Joseph Göbbels, der sich nach diesem Desaster gezwungen sah, der Kriegsmüdigkeit zu begegnen, rief am 18. Februar 1943 in seiner berüchtigten Rede im Berliner Sportpalast: „Der Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent ist… losgebrochen. […] Die deutsche Wehrmacht bildet dagegen mit ihren Verbündeten den einzigen überhaupt in Frage kommenden Schutzwall.“4

Es liegt uns, nicht nur aus Furcht vor einem juristischen Nachspiel, fern, heutige Politikerinnen mit Göbbels zu vergleichen, abgesehen davon, dass ein Vergleich nicht Gleichsetzung bedeutet. Einen Kampfhund kann man nicht mit einem Pekinesen gleichsetzen, aber vergleichen schon. Es geht beim Vergleich vielmehr um ein sich wiederholendes Muster der Propaganda. In der Sprachwissenschaft, speziell im Rahmen der Diskursanalyse, spricht man von einem „Topos“. „In der klassischen Rhetorik sind Topoi als Teil der inventio allgemeine Gesichtspunkte, aus denen man Argumente schöpfen kann“, ist in einem einschlägigen Wikipedia-Artikel zu lesen.5 Argumente sind allerdings in der Propaganda, meist auch schon in der klassischen Rhetorik, nicht das Mittel der Wahl. Es geht darum, Vorstellungen aus der Lebenswelt der Zuhörer, Leser oder Nutzer wachzurufen, die Zustimmung heischen und den Appell des Propagandisten oder der Propagandistin unterstützen.

In unserem Beispiel wird ebenso die virulente Vorstellung von einer Gefahr aus dem Osten angesprochen wie die seit Kindheitstagen vermittelte Wertschätzung der eigenen Lebenswelt. Unser „ehrwürdiger Kontinent“ ist bedroht. Unsere „Werte“ gilt es zu verteidigen, und zwar militärisch. Das Muster, von dem wir reden, ist schon älter. Schon die Zustimmung der deutschen Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten wurde 1914 gegenüber der Basis mit dem Widerstand gegen den autokratischen Zarismus gerechtfertigt.

Es scheint müßig zu fragen, worin denn unsere Werte bestehen und warum sie mit militärischen Mitteln zu verteidigen sein sollen. Dass es nicht um die Werte geht, die Manager von Finanzfonds verteidigen, ist jedem klar. Es geht um etwas, was sich nicht direkt auszahlt, um irgend etwas Höheres. Göring-Eckardt nennt immerhin konkret „unsere Freiheit“, was auch noch vieldeutig ist. Vieldeutigkeit ist ein Grundelement von Propaganda. Die meisten werden, von Ausnahmen abgesehen, nicht an Marktfreiheit denken, sondern an Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, sofern sie sich überhaupt etwas Handfestes dabei vorstellen. Es wäre natürlich dumm, wenn der berüchtigte Putin uns diese Freiheiten wegnehmen würde. Sie sollen in der Russischen Föderation inzwischen tatsächlich eingeschränkt sein. Aber ob gerade die Ukraine dazu berufen ist, sie für uns zu verteidigen? Die Medien sind dort gleichgeschaltet, oppositionelle Parteien verboten, die Gewerkschaften per Gesetz entmündigt,6 und wer sich für eine Verständigung mit Russland ausspricht, wird schnell als Kollaborateur oder „Agent Moskaus“ an den Pranger gestellt, oft öffentlich im Internet auf der Liste der „Friedensstifter“, ukrainisch Mirotworez.

Wollen sie uns tatsächlich glauben machen, dass uns eines Tages eine russländische Besatzungsmacht unserer Freiheit berauben könnte? Einzelne scheinen das nicht auszuschließen, wie Leserbriefe und zum Beispiel Hörerstimmen in der Sendung Tagesgespräch des BR zeigen. – Eine absurde Fantasie, wenn man sich die militärischen Kräfteverhältnisse vor Augen führt. Die russländische Armee hat schon Mühe, ihre strategischen Ziele in der Ukraine zu erreichen. Einer der Generäle, die noch klar denken, hat die Vorstellung, sie könne das ganze Land und darüber hinaus die Nachbarstaaten erobern, als „analytisch schwach“ bezeichnet. Man kann sie auch schwachsinnig nennen. Wozu also immer weitere Waffenlieferungen und die milliardenschwere Aufrüstung?

Quellen

* Das Zitat im Einleitungstext wurde übernommen aus: junge Welt v. 23.1. 23.

3 Zit. nach G. Meißner in: der Freitag Nr. 2 v. 12.01.23

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