Novel Food

Neues Superfood? Nach gelben Mehlwürmern lässt die EU nun auch Hausgrillen als Lebensmittel zu

Mit einer Verordnung vom 3. Januar 2023 hat die EU ein Pulver als neuartiges Lebensmittel zugelassen, das aus gemahlenen Hausgrillen gewonnen wird. Dieses könnte zukünftig in vielen Fertigprodukten, aber auch in Brot, Keksen und Nudeln Verwendung finden. Zur Kennzeichnung soll die Erwähnung des lateinischen Namens des Insekts im Kleingedruckten reichen. Bei Allergikern und Veganern dürfte diese Nachricht keine Freudentränen auslösen.

Die Hausgrille. In Pulverform bald schon in Brot und Nudeln – auch in Ihrem Supermarkt.
Bild von yanivmatza auf Pixabay, Mehr Infos

Insekten als Nahrungsmittel? Das verbindet man üblicherweise mit Südostasien, wo die Krabbeltierchen gern gegrillt und geröstet auf den Teller kommen. Von der deutschsprachigen Presse weitgehend unbeachtet, hat die EU zu Jahresbeginn jedoch einen neuen Beschluss gefasst, der die Verwendung von Insektenmehl in einer Vielzahl von Produkten regelt.

Den Antrag für das Inverkehrbringen von teilweise entfettetem Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) hatte im Juli 2019 das Unternehmen Cricket One Co. Ltd gestellt. Nach eingehender Prüfung sei die Behörde zu dem Schluss gelangt, dass diese gemahlenen Hausgrillen in den vorgeschlagenen Mengen sicher seien und das Pulver „bei Verwendung in Mehrkornbrot und -brötchen, Crackern und Brotstangen, Getreideriegeln, trockenen Vormischungen für Backwaren, Keksen, trockenen gefüllten und ungefüllten Erzeugnissen aus Teigwaren, Soßen, verarbeiteten Kartoffelerzeugnissen, Gerichten auf Basis von Leguminosen und Gemüse, Pizza, Erzeugnissen aus Teigwaren, Molkenpulver, Fleischanalogen, Suppen und Suppenkonzentraten oder -pulver, Snacks auf Maismehlbasis, bierähnlichen Getränken, Schokoladenerzeugnissen, Nüssen und Ölsaaten, Snacks außer Chips sowie Fleischzubereitungen für die allgemeine Bevölkerung den Bedingungen für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/2283 genügt“. In dem EU-Beschluss wird interessanterweise eingeräumt, dass das neuartige Lebensmittel potentiell Allergien auslösen kann. So heißt es in dem Papier: „In ihrem Gutachten stellte die Behörde zudem fest, dass der Verzehr von teilweise entfettetem Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) allergische Reaktionen bei Personen auslösen kann, die gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind. Ferner befand die Behörde, dass weitere Allergene in das neuartige Lebensmittel gelangen können, wenn diese Allergene in dem Substrat enthalten sind, das an die Insekten verfüttert wird. Daher ist es angezeigt, dass Lebensmittel, die teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) enthalten, gemäß Artikel 9 der Verordnung (EU) 2015/2283 entsprechend gekennzeichnet werden.“ Dennoch soll die Verordnung für die Dauer von fünf Jahren ab dem 24. Januar 2023 in Kraft treten. Zunächst soll nur der Antragsteller Cricket One Co. Ltd das neuartige Lebensmittel in der EU in den Verkehr bringen dürfen.1

Schon vor zehn Jahren angepriesen

Ganz neu ist das Thema freilich nicht. Bereits 2018 berichteten die Stuttgarter Nachrichten über den Trend des Insekten-Essens und besuchten dafür auch in Deutschland Betriebe, die Teigwaren mit Beimischung von Insektenmehl anboten, darunter Plumento Foods in Pforzheim. „Die Insektenpasta schmeckt nach Aussagen vieler Sterne-Köche hervorragend. Und zwar ein bisschen nussig“, zitierte das Blatt Geschäftsführer Daniel Mohr. Er gehöre zu den treibenden Kräften einer zweiten Welle in Sachen Ess-Insekten, hieß es zur Erklärung. Die Pioniere hätten zuvor dafür gesorgt, dass Heuschrecken und Mehlwürmer bei uns überhaupt auf den Teller gekommen seien. In gegrillter und gerösteter Form seien sie jedoch eher in der alternativen Szene und nicht in der breiten Bevölkerung angekommen. Um den „Ekelfaktor“ zu umgehen, beschritten die Hersteller nun einen anderen Weg, indem sie die Insekten in Form von Mehl in Nudeln und Proteinriegeln anböten. Wohin der Weg führen sollte, formulierte Mohr 2018 so: „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Produkte zu generieren, die die Familie im alltäglichen Leben essen kann. Zum Frühstück Granola, mittags Croutons auf dem Salat, abends eine Nudel. Und wir hoffen natürlich, dass sich das durchsetzt. Nicht um Fleisch zu ersetzen, aber um eine weitere Alternative zu bieten, die wahrscheinlich der Umwelt guttut.“ 2

Dass die EU nach einer ersten Erwähnung von Insekten als Nahrung in der geänderten Novel-Food-Verordnung 2018 nun einen weiteren Beschluss vorlegt, der noch am selben Tag Gültigkeit haben soll, legt die Vermutung nahe, dass Insekten als Proteinquelle künftig ein Produkt für die Massen, statt für einzelne Gourmets werden sollen. Die Stuttgarter Nachrichten erinnern daran, dass bereits 2013 ein rund 200 Seiten starker Bericht unter dem Titel „Edible insects“ erschienen ist, in dem Experten der neuen Supernahrung durchweg positive Öko-Noten ausgestellt haben, etwa in puncto klimaschädliche Gase in der Produktion. Auch die damalige Agrarministerin Julia Klöckner und der Entwicklungsminister Gerd Müller hätten Insekten und Algen als gesunde Proteinquellen benannt. 3

Im Mai 2021 war der gelbe Mehlwurm (Tenebrio molitor) von der EU als erstes Insekt als neuartiges Lebensmittel zugelassen worden. Mit einem Anteil von bis zu zehn Prozent durfte er in Lebensmitteln wie Nudeln und Keksen in Mehlform eingesetzt werden. Der Mehlwurm sei ein Lebensmittel unter vielen und eine Bereicherung des Speisezettels, urteilte damals Evelyn Breitweg-Lehmann, Expertin des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung gab grünes Licht: „Aus ernährungsphysiologischer Sicht eignen sich Insekten gut für die menschliche Ernährung.“ 4

Dass die neue Verordnung ausgerechnet jetzt kommt, hat wohl aber nicht nur damit zu tun, dass Insekten gesundes Protein liefern und die Zucht und Verarbeitung weniger Treibhausgase erzeugt. Einerseits wird die landwirtschaftliche Produktion, sehr zum Leidwesen der Bauern, in der EU zunehmend durch restriktive Verordnungen, beispielsweise für Düngemittel, erschwert. Da könnte es für den ein oder anderen mittelfristig rentabler sein, auf Insektenzucht umzusteigen. Andererseits geistert das Schreckgespenst „Lebensmittelkrise“ durch die Medien und wird die Schlagzeilen vermutlich auch weiterhin prägen, weil es politisch nicht gewollt ist, sich mit Russland, dem weltgrößten Weizenexporteur, an einen Tisch zu setzen. Unter Umständen könnten also gemahlene Insekten bald Normalität in den Supermarktregalen werden. Für Allergiker, Vegetarier und Veganer dürfte das den täglichen Einkauf um einiges komplizierter machen, müssten sie doch, um Insektenmehl in ihrem Essen zu vermeiden, schon bei den Dingen des täglichen Bedarfs, wie Brot und Nudeln, stets das Kleingedruckte nach Hinweisen auf Acheta domesticus & Co. scannen. Na dann: Prost, Mahlzeit!

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