Zentralasien

Im Visier der großen Drei: Rohstoffgigant und geostrategisch wichtiger Partner Kasachstan vor den Neuwahlen

Nach den Massenunruhen des „tragischen Januar“ steht Kasachstan kurz vor den vorgezogenen Neuwahlen. Sichert sich Präsident Toqajew eine weitere Amtszeit, will er umfangreiche Reformen auf den Weg bringen und ein „neues Kasachstan“ erschaffen. Besonders für Russland, China und die USA dürfte von großem Interesse sein, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird.

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Kasachstan – ein wichtiger Player auf der geostrategischen Bühne. Die großzügig angelegte Hauptstadt Astana gilt als Symbol des Aufbruchs im Land.
Foto:Vyacheslav Bukharov, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

 

Die ehemalige Sowjetrepublik Kasachstan ist hierzulande eher selten Thema in der Berichterstattung, es sei denn, es passiert dort etwas Großes, wie die blutigen Massenunruhen Anfang des Jahres. Das mag darüber hinwegtäuschen, dass das riesige Land zwischen Russland und China längst zum Objekt der unterschiedlichsten wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen geworden ist.

Attraktiver Rohstofflieferant und Handelspartner – nicht nur für Russland und China

Zuletzt hatte es Kasachstan im Sommer 2022 in die öffentliche Diskussion in Deutschland geschafft, als im Lichte der europäischen Energiekrise die Option betrachtet wurde, kasachisches Erdöl zu importieren. Weil für dessen Transport nach Europa momentan nur der Weg über Russland zur Verfügung steht, war das Thema schnell wieder vom Tisch. Was die Diskussion aber in Erinnerung gebracht hat, sind die riesigen Vorkommen von Öl, Gas und anderen wertvollen Bodenschätzen, über die Kasachstan verfügt, und die das Land mittel- und langfristig zu einem interessanten Partner für viele Länder macht, die über keine eigenen Bodenschätze verfügen oder ihre Abhängigkeit von einzelnen Energielieferanten zu verringern suchen. Dass nicht nur die zwei großen direkten Nachbarn Russland und China dieses Potential längst erkannt haben, zeigt sich daran, in welchem Maße auch westliche Länder in Kasachstan investieren.

Nach Angaben der Kasachischen Nationalbank betrugen 2021 die Direktinvestitionen aus dem Ausland insgesamt 23,7 Milliarden US-Dollar, was einer Steigerung um 37,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Bei den Top 5 der Länder, die am meisten investierten und deren Anteil an den Gesamtinvestitionen aus dem Ausland 68,3 Prozent betrug, hat sich im Vergleich zu 2020 nichts verändert. Top-Investor bleiben die Niederlande mit sieben Milliarden US-Dollar. Dahinter folgen die USA (2,8 Milliarden), die Schweiz (2,6 Milliarden), Russland (1,9 Milliarden) und China (1,8 Milliarden). Auf den Rängen dahinter hat es jedoch Bewegung gegeben. So hat Belgien sein Investitionsvolumen deutlich erhöht und Großbritannien von Rang sechs auf Rang sieben verdrängt. Ein noch viel größeres Wachstum zeigte Südkorea mit 73,2 Prozent, womit es aktuell auf Rang acht der größten Investoren rangiert und Frankreich, das zuvor diese Position einnahm, auf Platz zehn verdrängt. Noch stärker hat die Türkei ihr Investitionsvolumen angekurbelt (um 87 Prozent) und platziert sich damit auf Rang neun der Top-Investoren. Zuwächse um mehr als das Doppelte gab es bei den Investitionen in Land-, Forst- und Fischwirtschaft. Investitionen in die Informationstechnologie wuchsen um 80,1 Prozent, bei der Stromversorgung um 68,3 Prozent. In der verarbeitenden Industrie wurde ein Zuwachs um 65,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr festgestellt. 1 Nimmt man die EU als Ganzes, ist sie für Kasachstan der größte Handelspartner und Investor. Derzeit haben 27.000 europäische Unternehmen langfristige wirtschaftliche Projekte auf dem kasachischen Markt, 3700 kasachische Unternehmen operieren auf ähnliche Weise in der EU. Einen Meilenstein in den Beziehungen zwischen der EU und Kasachstan bildete das Enhanced Partnership and Cooperation Agreement, das am 1. März 2020 in Kraft trat und neben anderen Feldern der Zusammenarbeit auch den Handel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken soll. 2

Bei den Handelsbeziehungen bleiben die beiden großen Nachbarn Russland und China dominant. Russland ist der größte Handelspartner, wobei hier vor allem der Import russischer Waren, wie landwirtschaftlicher Maschinen, Haushaltsgeräte, Autos und Autoteilen sowie Mineralöl und Schwarzmetallen, nach Kasachstan ins Gewicht fällt. Dessen Umfang betrug im letzten Jahr 13,8 Milliarden US-Dollar. Beim kasachischen Export ist seit 2006 China auf Platz eins. Das Reich der Mitte kauft hauptsächlich Öl, Gas, Kupfer und andere Metalle. Bis zur Erhebung der Zahlen im Oktober wurden 2021 Waren im Wert von 8,1 Milliarden Dollar nach China exportiert. 3 Allein der Export von Erdöl liegt bei etwa 400.000 Barrel pro Tag. Die dafür betriebene Pipeline gehört dabei der kasachischen Ölgesellschaft KazMunaiGas und dem chinesischen Staatskonzern China National Petroleum Corporation (CNPC) gemeinsam. 4 Doch nicht nur China hat ein Interesse an Kasachstans Rohstoffen. Wie die Statistik zeigt, hatten auch viele europäische Länder in den vergangenen Jahren in nicht unerheblichem Umfang kasachisches Öl eingekauft, allen voran Italien (6,5 Milliarden Dollar im Jahr 2020) und die Niederlande (2,5 Milliarden Dollar). Der italienische Ölkonzern Eni ist sogar beteiligt an der Erschließung von Ölquellen in Kasachstan. Nicht zu vernachlässigen ist zudem kasachisches Uran. Kasachstan ist der weltweit größte Uranförderer, seine größten Abnehmer sind auch bei diesem Rohstoff China (0,77 Milliarden Dollar) und Russland (0,44 Milliarden Dollar). 5

Geostrategische Interessen

Es ist nicht nur Kasachstans Rohstoffreichtum, der es für seine Nachbarn und darüber hinaus zu einer höchst interessanten Region macht – das neuntgrößte Land der Welt hat auch geostrategische Bedeutung. Als ehemalige Sowjetrepublik und flächenmäßig zweitgrößtes Land der ehemaligen UdSSR unterhält Kasachstan enge Beziehungen zu Russland, sowohl wirtschaftlich, als auch sicherheitspolitisch. Historisch und kulturell existieren enge Bande zwischen den beiden Ländern, und entgegen den immer wieder aufkeimenden nationalistischen Bewegungen innerhalb Kasachstans will seine Regierung an diesen Beziehungen festhalten. So betonte Präsident Qassym-Schomart Toqajew in seiner Rede zur geplanten Verfassungsreform am 1. September 2022, die Schulbildung solle dahingehend reformiert werden, dass kasachische Schüler nicht nur in den Metropolen Astana und Almaty, sondern auch in den ländlichen Regionen gleich gute Kenntnisse der kasachischen und der russischen Sprachen bekämen. 6

Ein wichtiges Bindeglied in den russisch-kasachischen Beziehungen stellt auch der Weltraumbahnhof Baikonur dar. Das berühmte Kosmodrom aus Sowjetzeiten liegt im Süden Kasachstans auf einer Fläche von 7700 Quadratkilometern. Laut einer bilateralen Vereinbarung besteht – zumindest bis in das Jahr 2050 – ein Pachtvertrag, der Russland die weitere Nutzung ermöglicht. Verwaltet wird der Weltraumbahnhof von der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos sowie der russischen Luftwaffe.

Für Russland stellt Zentralasien traditionell eine Einflusssphäre dar, die es zu behalten gilt. Weder soll der andere große Nachbar China zu großen Einfluss in Kasachstan und den anderen zentralasiatischen Republiken bekommen, noch sollte das die NATO, mit der Kasachstan militärisch im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden verbunden ist. Zudem fungiert Zentralasien für Russland als Pufferzone gegen den islamischen Extremismus, beispielsweise aus Afghanistan. Gemeinsam sitzen Kasachstan und Russland in verschiedenen regionalen Organisationen am Tisch, darunter die 2014 gegründete Eurasische Wirtschaftsunion, zu deren Gründungsmitgliedern sie gehören und die einen Zusammenschluss von Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Russland zu einem Binnenmarkt mit Zollunion darstellt. Militärisch arbeiten die gleichen Staaten sowie Tadschikistan in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) zusammen. Als bei den Massenunruhen in Kasachstan im Januar 2022 die Lage außer Kontrolle zu geraten drohte, hatte Toqajew Russland um die Entsendung von russischen OVKS-Truppen gebeten. Diese halfen, strategische Objekte zu sichern, waren jedoch in keinerlei Kampfhandlungen verwickelt. Manche westlichen Beobachter stuften das Hilfeersuchen als Entscheidung Toqajews für ein näheres Zusammenrücken mit Russland ein. 7 Zusammen mit China und Russland ist Kasachstan außerdem in der Shanghai Cooperation Organisation, der außerdem Indien, der Iran, Kirgistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören. Sie vertritt etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung und ist damit die weltweit größte Regionalorganisation. Neben Wirtschafts- und Handelsfragen geht es in diesem Zusammenschluss auch um Stabilität und Sicherheit in der Region. Chinas Einfluss in Kasachstan und Zentralasien beschränkt sich aber nicht nur auf den florierenden Handel und Treffen in diesem und anderen, kleineren Formaten. Ein wichtiger Faktor ist das chinesische Prestigeprojekt der „One belt, one road“-Initiative. Die neue Seidenstraße, die China mit Europa auf dem Landweg verbinden soll, führt durch Zentralasien. Dafür investiert China massiv in den Ausbau der Transportwege, baut Straßen und Zugstrecken. Zudem fungiert China als großer Kreditgeber, auch für Kasachstan, das zu seinen fünf größten Empfängern von „offizieller Finanzierung“ gehört. 8

Ein wachsendes Interesse an Kasachstan und der gesamten Region hat auch die Türkei. Seit Jahren sucht sie die Zusammenarbeit der Turkvölker zu stärken, auch mit wachsenden Investitionen. So finanziert sie beispielsweise den Bau von Universitäten und Moscheen. Das Zusammenrücken der Turkstaaten erfolgt auch im Rahmen von Organisationen wie der aus dem Kooperationsrat der Turksprachigen Länder hervorgegangenen Organisation der Turkstaaten. Dieser gehören neben der Türkei und Kasachstan auch Aserbaidschan, Kirgistan und Usbekistan an. Für Zentralasien ist eine Zusammenarbeit mit der Türkei attraktiv, denn das Land gilt als „Tor nach Europa“ und ist zudem Mitglied der NATO. Im nicht immer einfachen Balanceakt zwischen den beiden großen Nachbarn China und Russland kann die Türkei für Kasachstan und die anderen zentralasiatischen Republiken eine willkommene Option sein.

Wie immer, wenn es um geostrategisch interessante Regionen geht, sind auch hier die USA nicht weit. Zwar haben sie in den vergangenen Jahren mit ihren Kenntnissen der Region immer wieder für unfreiwillig komische Momente gesorgt – etwa als der damalige US-Außenminister John Kerry von „Kyrzakhstan“ sprach 9 oder als die New York Times das Land „Kyrzbekistan“ erfand 10 – aber die strategische Wichtigkeit des Standortes haben sie längst erkannt. Seit dreißig Jahren verfolgen die USA eine festgeschriebene Zentralasien-Strategie, die jüngst für die Jahre 2019 bis 2025 angepasst wurde. Neben den umfangreichen Investitionen und der Zusammenarbeit in Formaten wie der Enhanced Strategic Partnership spiegelt sich das wachsende Interesse an Kasachstan auch in den persönlichen Treffen, etwa dem der damaligen Präsidenten Donald Trump und Nursultan Nasarbajew 2018 im Weißen Haus in Washington oder dem Besuch des damaligen US-Außenministers Mike Pompeo im Februar 2020 in Kasachstan wider. Im Kampf mit Covid-19 hatten die USA Kasachstan Hilfen in Höhe von sechs Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt, in den letzten zwanzig Jahren belief sich ihre finanzielle Unterstützung auf zwei Milliarden US-Dollar. Neben der Unterstützung zivilgesellschaftlicher Projekte gibt es auch eine Zusammenarbeit im militärischen Bereich. So werden junge Kasachen seit Jahren an US-amerikanischen Militärakademien ausgebildet und jüngst erwarb Kasachstan von den USA ein Flugzeug für Aufklärungsflüge, das es zur Grenzsicherung einsetzen will. 11 Als Begründung für die Intensivierung der Zusammenarbeit werden von den USA üblicherweise der Kampf gegen den Terrorismus und die Sicherstellung der Stabilität in der Region genannt. Doch man braucht nicht viel Fantasie, um zu sehen, dass es den USA auch darum geht, nicht nur ein Zusammenrücken Russlands und Chinas zu verhindern, sondern auch der gesamten Region, in der die beiden Großmächte ihren Einfluss ausüben. Insofern ist gerade Kasachstan, das größte und wirtschaftlich bei weitem stärkste zentralasiatische Land, das geografisch genau zwischen den beiden liegt, von besonderem geostrategischen Interesse.

Vor diesem Hintergrund werden die drei großen Player Russland, China und die USA mit Sicherheit aufmerksam nach Kasachstan schauen, wie es sich nach den vorgezogenen Präsidenten- und Parlamentswahlen künftig ausrichten will.

 

Quellen:

1https://forbes.kz/finances/investment/sostavlen_top-10_stran-investorov_v_kazahstanskuyu_ekonomiku

2https://nesa-center.org/dev/wp-content/uploads/2022/03/2022-0126_The-Role-of-Kazakhstan-in-Strategic-Competition.pdf

3https://www.rbc.ru/economics/12/01/2022/61dc3c029a79474999203b91

4https://nesa-center.org/dev/wp-content/uploads/2022/03/2022-0126_The-Role-of-Kazakhstan-in-Strategic-Competition.pdf

5https://www.rbc.ru/economics/12/01/2022/61dc3c029a79474999203b91

6https://kazpravda.kz/n/polnyy-tekst-poslaniya-prezidenta-narodu-kazahstana-hq/

7https://nesa-center.org/dev/wp-content/uploads/2022/03/2022-0126_The-Role-of-Kazakhstan-in-Strategic-Competition.pdf

8https://www.rbc.ru/economics/12/01/2022/61dc3c029a79474999203b91

9https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/us-politics/9892297/John-Kerry-invents-country-of-Kyrzakhstan.html

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10https://www.buzzfeednews.com/article/maxseddon/welcome-to-kyrzbekistan-the-worlds-newest-nonexistent-countr

11https://nesa-center.org/dev/wp-content/uploads/2022/03/2022-0126_The-Role-of-Kazakhstan-in-Strategic-Competition.pdf

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