Innenpolitik

Bundeswehr-Einsätze: Parlamentsvorbehalt soll abgeschwächt werden

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Von REDAKTION, 16. Juni 2015 –

Am heutigen Dienstag legte die „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ ihren Bericht vor. Demnach behalte der Bundestag bei bewaffneten Auslandseinsätzen der Bundeswehr das letzte Wort, wesentliche Einschränkungen der bisherigen Mitspracherechte des Parlaments seien nicht vorgesehen. Die Reformvorschläge würden den Bundestag sogar stärken und gleichzeitig die Bündnisfähigkeit Deutschlands verbessern, sagte der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), der die Kommission leitete.

Kritiker hatten eine Einschränkung des Parlamentsvorbehalts befürchtet, der vorsieht, dass der Bundestag bewaffneten Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen muss. Unter Verweis auf die Bündnisfähigkeit Deutschlands hatten sich Vertreter der Regierungskoalition für eine Abschwächung des Parlamentsvorbehalts ausgesprochen, da dieser NATO- oder EU-Einsätze in unverhältnismäßiger Weise blockieren oder verzögern könne. Entsprechend sollte die Kommission nach Vorstellungen der Koalitionsfraktionen unter anderem die bestehenden und künftig zu erwartenden Formen militärischer Integration im Rahmen von NATO und EU ermitteln und mögliche „Spannungsverhältnisse“ zur bestehenden deutschen Parlamentsbeteiligung identifizieren.

An der im März 2014 gebildeten Kommission hatten sich nur die Parteien der Großen Koalition beteiligt. Die Grünen lehnten eine Teilnahme mit dem Argument ab, nicht als „Feigenblatt“ in einem Gremium dienen zu wollen, das am Ende Abstriche beim Parlamentsvorbehalt empfehlen könnte. (1) Für Verdruss innerhalb der Opposition sorgte damals die Weigerung der Regierungskoalition, die Formulierung nicht nur einer „Sicherung“, sondern einer „Stärkung“ der Parlamentsrechte in den Einsetzungsbeschluss aufzunehmen. Die Linke warf der Bundesregierung zudem vor, sie plane künftig hinsichtlich der Frage von integrierten Stäben bei NATO und EU einen „Mitmachautomatismus“ einzurichten. (2)

Tatsächlich laufen die Empfehlungen der Kommission – wenn auch in abgeschwächter Form – auf die Verwirklichung eines solchen Automatismus hinaus. Zwar soll der Parlamentsvorbehalt für eine direkte Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen weiterhin gelten, doch durch eine Neudefinition des Begriffs der bewaffneten Einsätze soll das Parlament künftig bei wichtigen Entscheidungen umgangen werden. Bislang muss der Bundestag auch über die Entsendung von Militärberatern- und Ausbildern in Krisengebiete abstimmen. Das soll sich nun ändern. „Um mehr Rechtssicherheit zu erzielen“, soll künftig das Mitwirken von Bundeswehrsoldaten „in Stäben und Hauptquartieren der NATO, der EU oder einer anderen Organisation gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, nicht mehr der Zustimmung des Parlaments bedürfen.

Es sei denn, sie würden sich „im Rahmen dieser Tätigkeit in einem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen unmittelbar bedienen“. Die Kommission empfiehlt zudem eine „gesetzliche Klarstellung des Einsatzbegriffs, die verdeutlicht, bei welchen Einsätzen typischerweise eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu erwarten und eine Zustimmung des Bundestages nicht erforderlich“ sei.

Sollte etwa die NATO künftig als Bündnis beschließen, Ausbilder in die Ukraine zu entsenden – einzelne Mitgliedsstaaten wie die USA oder Großbritannien tun das bereits –, um die dortige Armee im Kampf gegen die „prorussischen Separatisten“ zu trainieren, dann könnte der Bundestag sich nicht mehr querstellen, um eine Beteiligung der Bundeswehr an einer solchen Mission zu verhindern. Denn die Ausbilder würden sich weder „in einem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden“ – schließlich werden die Ausbildungsprogramme jenseits der Kampfzone durchgeführt – noch „unmittelbar“ dort eingesetzte Waffen bedienen. Der Bundestag dürfte also künftig bei solch einer für die deutsche Außenpolitik weitreichenden Entscheidung nicht mehr mitbestimmen.

Die Linke kritisierte entsprechend die von der Rühe-Kommission vollzogene Definition von bewaffneten Einsätzen, die unter anderem Ausbildungsmissionen ausschließt. „Mit diesen Ausnahmekategorien wird der Parlamentsvorbehalt zum Schweizer Käse“, erklärte Verteidigungsexperte Alexander Neu. Dennoch begrüßte die Partei ebenso wie die Grünen den Verzicht auf pauschale Vorratsbeschlüsse für bestimmte NATO-Einsätze. „Es ist ein Erfolg unserer scharfen Kritik, dass der Kommissions-Bericht auf Vorschläge für ‚Vorratsbeschlüsse‘ des Parlamentes zu Bundeswehreinsätzen verzichtet“, erklärte der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Frithjof Schmidt.

Die SPD-Fraktion sieht in den Kommissions-Empfehlungen nicht nur eine Sicherung der Rechte des Parlaments, sondern gar deren Stärkung, was „vor allem ein Erfolg für die sozialdemokratische Seite“ sei, heißt es in einer Pressemitteilung vom Dienstag. (3) Denn die „Informationsrechte bei geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Spezialkräfte“ würden gestärkt, „indem die bisherige Unterrichtungspraxis in das Parlamentsbeteiligungsgesetz aufgenommen werden soll“. Zudem soll der Bundestag „nach Abschluss des Einsatzes über die wesentlichen Ziele und Ergebnisse unterrichtet werden“.

Von einer wirklichen Stärkung des Parlaments in dieser Frage kann allerdings kaum gesprochen werden. Der Bundestag bliebe weiterhin außen vor, was die Entscheidung über den Einsatz der Spezialkräfte der Bundeswehr betrifft. Er soll lediglich im Nachhinein informiert werden, und darf sich entsprechend, wie etwa beim Einsatz der Spezialkräfte in Afghanistan, jahrelang im Rätselraten üben, an welchen Missionen sich die Bundeswehrsoldaten konkret beteiligen. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr wurde 1996 unter dem damaligen Verteidigungsminister Volker Rühe gebildet. Der stellvertretene Vorsitzende der Linken, Tobias Pflüger, sprach damals von einem „doppelten Verfassungsbruch“, da die KSK-Einsätze gegen zwei vom Bundesverfassungsgericht markierte Voraussetzungen für Bundeswehr-Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes verstießen: „ Erstens. Der Bundestag muss vor einem Einsatz diesem mehrheitlich zustimmen (Parlamentsvorbehalt). Zweitens. Eine Militäraktion darf nur im Rahmen eines ‚kollektiven Sicherheitssystems‘ durchgeführt werden. Die Spezialtruppe Kommando Spezialkräfte soll aber auch bei rein deutschen Militäroperationen ‚genutzt‘ werden.“ (4) An dem verfassungsrechtlich zweifelhaften Charakter der KSK-Einsätze wird sich gemäß den Empfehlungen der Rühe-Kommission auch künftig nichts ändern.

Vorwürfe aus einer ganz anderen Richtung, nämlich der NATO-Bündnispartner, Deutschland sei wegen seiner strengen Regeln für Militäreinsätze unzuverlässig, wies die Kommission zurück. Das Parlament habe seit 1994 den 140 Anträgen der Bundesregierung für die Entsendung von Soldaten ins Ausland ausnahmslos zugestimmt. Im Ergebnis sieht sie in dem Parlamentsvorbehalt daher kein Hindernis für eine vertiefte europäische Kooperation oder für einen reibungslosen Ablauf innerhalb der NATO.

Auch der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, hält entsprechende Vorwürfe für unbegründet. Denn was die Praxis der Auslandseinsätze betrifft, habe es mit dem Parlament „nie ein Problem“ gegeben. Diese „scheitern nicht am Parlament, wenn die Regierung ein Mandat beantragt. Hätte die Bundesregierung im Bundestag keine eigene Mehrheit mehr für einen im Bündnis vereinbarten Einsatz der Bundeswehr, wäre sie am Ende“, sagte er gegenüber dem Donaukurier. „War wirklich einmal Eile geboten, dann hat der Bundestag übrigens auch innerhalb von 48 Stunden entscheiden können. Die Parlamentskontrolle ist also wahrlich kein Hindernis für Europäisierung und internationale Einsätze, wie manch einer Glauben machen wollte.“ (5) Im September soll sich der Bundestag mit den Reformvorschlägen der Kommission befassen.


 

Anmerkungen

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mit dpa

(1) https://www.gruene-bundestag.de/parlament/bundestagsreden/2014/maerz/kommission-parlamentsbeteiligung-auslandseinsaetze_ID_4391219.html
(2) http://www.linksfraktion.de/reden/parlamentsbeteiligung-ausbauen-nicht-abbauen/
(3) http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/parlamentsrechte-gesichert-und-gest%C3%A4rkt
(4) http://www.friedenskooperative.de/themen/bw-2.htm
(5) http://www.donaukurier.de/nachrichten/topnews/Herr-Vollausstattung-beim-Geraet;art154776,3064982

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