Innenpolitik

Castor-Transport: Einsatz ausländischer Polizisten in Niedersachsen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 11. November 2010 –

Beim Castor-Einsatz im Wendland am vergangenen Wochenende sind offenbar auch ausländische Polizisten aktiv gegen Demonstranten vorgegangen. Fotos zeigen, wie Polizisten der berüchtigten französischen Eliteeinheit CRS (compagnies républicaines de sécurité) Demonstranten überwältigen, in den Schwitzkasten nehmen und anschließend festnehmen. Nur wenige Meter entfernt stehen deutsche Kollegen von der Bundespolizei. Auf anderen Fotos ist zu sehen, wie vermummte französische Polizisten mit gezogenen Teleskop-Schlagstöcken Demonstranten gegenüber stehen.

Angehörige der berüchtigten französischen Eliteeinheit CRS überwältigen Blockierer auf der Castorstrecke bei Harlingen.

Der Berliner Anwalt Christoph Müller, der eigenen Angaben zufolge am Sonntag persönlich einen gewalttätigen Einsatz eines französischen Polizisten gegen einen Aktivisten beobachtet hat, hält das Vorgehen für illegal. „Ich habe noch vor Ort Anzeige wegen Amtsanmaßung erstattet“, so Müller gegenüber der taz. (1) Bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg erweiterte er die Anzeige um den Vorwurf des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Auch der Grünen-Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele hält den Einsatz für rechtswidrig. „Ausländische Polizisten haben in Deutschland keinerlei Eingriffsbefugnisse“, erklärte er. Würden sie trotzdem tätig und wendeten dabei Gewalt an, sei dies Amtsanmaßung und ein Verstoß gegen das Waffengesetz. Zudem kritisierte Ströbele, dass deutsche Polizisten dabei nicht zusehen dürften, sondern dies unterbinden müssten.

Ausländische Polizisten hätten keinerlei Eingriffsbefugnisse. „Schreiten sie gleichwohl – und gar gewaltsam – hierzulande gegen Grundrechtsträger ein, so ist dies als Amtsanmaßung und Verstoß gegen das Waffengesetz augenscheinlich rechtswidrig.“ (2)

Das Bundesinnenministerium wies hingegen diese Darstellung zunächst zurück. „Wir haben keine französischen Beamten angefordert, also waren in Deutschland auch keine französischen Polizisten im Einsatz“, erklärte ein Sprecher. Laut ihm seien die Bilder kein Beweis. (3)

Ein Sprecher des Präsidiums der Bundespolizei in Potsdam bestätigte hingegen auf Anfrage, es seien französische Polizisten im Rahmen des üblichen Austauschs vor Ort gewesen, jedoch „nur als Beobachter“. Zu den Aufnahmen wollte er nicht Stellung nehmen. Diese müssten zuerst analysiert werden. (4)

Die Dementis überraschen, denn schließlich gibt es für den Einsatz französischer Polizisten auf deutschem Boden eine rechtliche Grundlage.

Im „Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ heißt es unter Paragraph 103: „Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte eines anderen Landes können im Gebiet des Landes Niedersachsen Amtshandlungen vornehmen.“ Und weiter:  „Das Gleiche gilt für Bedienstete ausländischer Polizeibehörden und -dienststellen, wenn völkerrechtliche Verträge dies vorsehen oder das für Inneres zuständige Ministerium Amtshandlungen dieser Polizeibehörden oder -dienststellen allgemein oder im Einzelfall zustimmt.“ (5)

Der völkerrechtliche Vertrag, der dies vorsieht, wurde bereits am 23.Juni 2008 unterzeichnet. Gestützt auf den EU-Vertrag beschloss der EU-Rat die „Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität“ (Beschluss 2008/615/JI).(6)

Im Kapitel „Großveranstaltungen“ heißt es: „Zur Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit können die von den Mitgliedstaaten benannten zuständigen Behörden gemeinsame Streifen sowie sonstige gemeinsame Einsatzformen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie zur Verhinderung von Straftaten einführen, in denen benannte Polizeibeamte (…) anderer Mitgliedstaaten bei Einsätzen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
mitwirken.“ Dabei dürfen sie auch ihre nationale Dienstkleidung tragen, sowie die „nach dem innerstaatlichen Recht des Entsendemitgliedstaats zugelassenen Dienstwaffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände mitführen.“

Ströbele sprach auch von Hinweisen darauf, dass auch Bundeswehrangehörige an dem Einsatz beteiligt gewesen seien.

Ein Bundeswehreinsatz im Inneren wäre verfassungswidrig. Eine geplante Änderung des Grundgesetzes scheiterte 2008, auch Innenminister Thomas de Maizière musste im Februar 2010 von solchen Plänen Abstand nehmen. Allerdings wurde die Bundeswehr in der Vergangenheit schon  im Rahmen der Amtshilfe bei Großveranstaltungen eingesetzt, z.B. beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Dort kamen sogar Tornado-Kampfjets zwecks „Feindaufklärung“ zum Einsatz.

Das Bundesverteidigungsministerium wies aber die Behauptung zurück, dass Einsatzkräfte der Bundeswehr im Rahmen des Castortransports im Einsatz gewesen sein sollen. „Das ist an den Haaren herbeigezogen und entbehrt jeder Grundlage“, sagte ein Ministeriumssprecher. (7) Bewegungen von Bundeswehrfahrzeugen und -flugzeugen, die von Demonstranten beobachtet wurden, stünden in keinem Zusammenhang mit dem Castor-Einsatz.

Hingegen sagte ein Sprecher des Präsidiums der Bundespolizei, die Frage nach dem Einsatz von Bundeswehrkräften müsse erst überprüft werden.

Der grenzüberschreitende Einsatz von Polizisten dürfte zukünftig häufiger stattfinden. Die Vorteile für eine Regierung, ausländische Polizisten gegen die einheimische Bevölkerung einzusetzen, liegen auf der Hand. Die Hemmschwelle ausländischer Polizisten dürfte niedriger sein, Vorgaben gewaltsam durchzusetzen, da es sich bei den Protestierenden nicht um die „eigene“ Bevölkerung handelt. Zudem dürfte auch eine Verfolgung von Straftaten, die Beamte bei solchen Einsätzen im Ausland begehen, erheblich schwieriger sein. Hinzu kommt, dass durch den Einsatz ausländischer Beamter der gegenwärtig von der Deutschen Polizeigewerkschaft  (DpolG) beklagte Erschöpfungszustand der deutschen Beamten kompensiert werden könnte. Der DpolG-Vorsitzende Rainer Wendt sprach davon, dass die Belastungsgrenze der Polizei durch Großeinsätze wie Stuttgart 21, Castor und allwöchentliche Fußballspiele überschritten sei. Er bezeichnete es als „Frechheit“, dass am kommenden Wochenende Bundesliga-Spiele stattfinden und forderte, diese ausfallen zu lassen. (8)

So kann man der deutschen Bevölkerung den hinter ihrem Rücken beschlossenen Einsatz ausländischer Polizisten und damit die Preisgabe nationaler Souveränität auch schmackhaft machen: Vor die Wahl gestellt, auf Bundesliga-Spiele zu verzichten oder auf den Einsatz ausländischer Polizisten, würden sich viele wohl für den Einsatz ausländischer Polizisten zur Rettung des deutschen Fußballs entscheiden.



Anmerkungen

(1) http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/illegaler-einsatz-im-wendland/

(2) http://www.n-tv.de/politik/Franzoesische-Elite-Einheit-raeumte-wohl-mit-article1905986.html

(3) http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/illegaler-einsatz-im-wendland/

(4) http://www.morgenpost.de/politik/article1447443/Streit-um-franzoesische-Polizei-an-Castor-Strecke.html

(5) http://www.lexsoft.de/cgi-bin/lexsoft/niedersachsen_recht.cgi?chosenIndex=Dummy_nv_6&xid=173060,111

(6) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:210:0001:0011:de:PDF

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(7) http://www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/illegaler-einsatz-im-wendland/

(8) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,728198,00.html

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