Innenpolitik

Freie Fahrt für Handelskriege

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Karl-Theodor zu Guttenberg bereitet die Öffentlichkeit auf künftige Militärinterventionen der Bundeswehr vor –

Von THOMAS WAGNER, 10. November 2010 –

Immer deutlicher zeigt sich, was Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit seiner Bundeswehrreform eigentlich bezweckt: Die Befähigung deutscher Truppen jederzeit und an jedem Ort die ökonomischen Interessen mit Deutschland verbundener Konzerne durchzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer global einsatzfähigen, offensiven Kampftruppe umgebaut werden.

Im Unterschied zu seinem glücklosen Amtsvorgängers Franz Josef Jung (CDU) ist es Guttenberg gelungen, das vom Bundeswehroberst Klein befohlene Massaker von Kundus dazu zu nutzen, rhetorisch in die Offensive zu kommen. Dabei half ihm die flankierende Berichterstattung von Bild und Spiegel, missliebige Mitarbeiter aus seinem Ministerium zu entfernen und die friedliebende Öffentlichkeit Stück für Stück an die unbequeme Wahrheit heranzuführen, dass deutsche Soldaten in Afghanistan einen schmutzigen Krieg führen. (1)

Dazu galt es zunächst, das lange Zeit verbreitete Bild vom Soldaten als Entwicklungshelfer sowie jene humanitäre Rhetorik beiseite zu schieben, mit der die deutsche Bevölkerung zwei Jahrzehnte lang allmählich an die Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnt worden war. Guttenberg habe das Wort Krieg wieder gesellschaftsfähig gemacht, zitiert seine Biographin Anna von Bayern einen ungenannt bleibenden Beobachter: „Es klinge nicht mehr schmuddelig, sondern nach Anstand und Tugend, Stolz und Ehre.“ (2)

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister setzte Guttenberg zunächst die Sprachregelung durch, dass es sich in Teilen Afghanistans um „kriegsähnliche Zustände“ handele, in denen „Rechtssicherheit für Soldaten“ geschaffen werden müsse. Infolge des Schusswaffengebrauchs dürften diese nicht in Gefahr geraten, durch die Staatsanwaltschaft verfolgt zu werden. In einem zweiten Schritt betonte er, dass der Krieg allein militärisch nicht gewonnen werden könne und erklärte, die sogenannte Zivil-Militärische Zusammenarbeit im engen Schulterschluss mit den USA und im Rahmen des durch Präsident Barack Obama eingeleiteten Strategiewechsels ausbauen zu wollen. Damit ordnet er die Bundeswehr der US-Strategie des Partisanenkrieges unter.

Als begeisterter Transatlantiker hatte Guttenberg schon zu Beginn seiner politischen Laufbahn interventionistische Positionen vertreten und nach mehr „Verantwortung“ Deutschlands auf der internationalen Bühne gerufen. Er hat den Afghanistan-Krieg schon vehement unterstützt, als er noch Obmann des Auswärtigen Ausschusses und Sprecher der CDU/CSU-Fraktion für Abrüstung und Rüstungskontrolle war.

Am 9. November 2010 hielt der Minister anscheinend die Zeit für gekommen, der Bevölkerung mitzuteilen, dass Bundesangehörige künftig ganz selbstverständlich für Wirtschaftsinteressen ihr Leben lassen sollen.

Ökonomie und Militärpolitik

In seiner Eröffnungsrede auf dem 9. Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskongress in Berlin, veranstaltet vom Behörden Spiegel, sagte Guttenberg unmissverständlich: „Heute wird unsere Sicherheit unter anderem ja durch internationalen Terrorismus, regionale Instabilitäten, organisierte Kriminalität, Piraterie und die hohe Verwundbarkeit unserer Handelswege gefährdet.“ (3)

Außerdem erklärte er: „Schwellenländer wie China, Indien oder auch Indonesien betrachten die Durchsetzung nationaler Interessen als Selbstverständlichkeit.“ Der Verteidigungsminister unterstrich, der Bedarf dieser aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steige ständig und trete damit „zunehmend mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz. Dies kann zu neuen Spannungen, Krisen und Konflikten führen“. Darauf müsse Sicherheitspolitik eine Antwort finden. (4)

Der CSU-Politiker monierte, dass es in gewissen Kreisen immer noch als „überaus verwegen“ gelte, den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Interessen und der Sicherheitspolitik herzustellen. Stattdessen sollte man „offen und ohne Verklemmung“ damit umgehen. In diesem Zusammenhang brach er eine Lanze für den ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der wegen ähnlicher Äußerungen, für die er scharf kritisiert wurde, vor knapp einem halben Jahr aus dem Amt geschieden war.

Köhler hatte damals in einem Interview gesagt: „Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen – negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.“ (5)

Gutenberg sagte dazu, „ich frage mich bis heute, was so verwegen an dieser Aussage war“. Und weiter: „Ich hätte mir von uns allen etwas mehr Unterstützung in dieser Fragestellung gewünscht.“ Der Verteidigungsminister betonte, dass eine Verknappung nicht ohne Einfluss auf die industrielle Leistungsfähigkeit und das wirtschaftliche Wohlergehen Deutschlands bleibe. „Da stellen sich Fragen auch für unsere Sicherheit, die für uns von strategischer Bedeutung sind.“ (6)

Weltkrieg niederer Intensität

Marc Lindemann, ein ehemaliger Bundeswehr-Nachrichtenoffizier, hatte zu Anfang dieses Jahres geschrieben, dass es sich beim Afghanistankrieg schon heute um den Teilschauplatz eines Weltkriegs niederer Intensität handelt, der kein voraussehbares Ende hat. „Unsere Soldaten befinden sich an einem Kriegsschauplatz von vielen und kämpfen nur einen der vielen Feldzüge in einem Krieg mit globalem Ausmaß. Andere werden zur See vor der Küste Somalias ausgetragen, und schon morgen kann der Krieg Feldzüge im Iran, in Indonesien oder in Afrika notwendig machen“, so Lindemann in seinem Buch Unter Beschuss. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert. (Econ Verlag, Berlin 2010)

Heute wird immer deutlicher, dass er damit die strategischen Überlegungen des Verteidigungsministeriums ziemlich genau umrissen hat. Guttenberg betonte auf besagter Sicherheitskonferenz: „Denken wir aber nicht nur an Afghanistan. Auch Entwicklungen im Jemen und in Somalia oder morgen vielleicht in Staaten der Sahelzone haben das Potenzial, unsere Sicherheit direkt oder indirekt zu bedrohen. Ein Beispiel dafür sind die versuchten Anschläge mit Paketbomben getarnt als Luftfracht gerade mal in der letzten Woche.“ (7)

Noch verschweigt Guttenberg, was für Marc Lindemann ein unausweichlicher Sachzwang ist: Die Brutalisierung, die mit der Ausdehnung der Strategie der Aufstandsbekämpfung auf immer mehr Gebiete des Globus einhergeht. Die Allianz des Westens habe ihre Kriegsführung „anpassen müssen, um einer vollkommenen Ohnmacht zu entgehen: mit Tötungslisten, Gefangenenlagern in Guantánamo und Bagram, Foltergefängnissen in Drittländern, Drohnenangriffen in Pakistan und vielem mehr“, so Lindemann. Was den Afghanistan-Einsatz betrifft, plädiert Lindemann für eine forcierte Zusammenarbeit der Bundeswehr mit lokalen Warlords und bekannten Kriegsverbrechern nach dem Vorbild der blutigen französischen Kolonialpolitik in Afrika: „Dutzende Potentaten wurden zunächst in Frankreich ausgebildet und putschten sich später in ihrem Staat an die Macht. Dies geschah nicht selten mit Unterstützung des französischen Geheimdienstes und einer Söldnertruppe. Ganz so abenteuerlich sollte es heute zwar nicht mehr zugehen, im Kern jedoch wäre das Vorgehen das gleiche“.

Während der Verteidigungsminister in dieser Hinsicht zurückhaltend bleibt, wagt er sich in einem anderen Punkt noch viel weiter heraus, als Lindemann. Er betont nämlich, dass die deutschen Wirtschaftsinteressen nicht nur im Süden sondern auch in der Arktis militärpolitisch bedacht werden müssten: „Im übrigen, wenn wir über Handelswege sprechen, bin ich gespannt, wann endlich eine Diskussion etwas mehr an Zugkraft gewinnt. Nämlich dass wir nicht nur über Handelswege am Horn von Afrika, an der Straße von Malakka oder andernorts sprechen, sondern beispielsweise auch im höchsten Norden dieser Erde, wo wir durch die Veränderungen des Klimas plötzlich ganz andere sicherheitspolitische Herausforderungen noch vor uns haben und ich andere Nationen sehe, die sich in dieser Frage bereits sehr, sehr intensiv aufstellen.“ (8)

Der Friedensforscher Jochen Hippler von der Universität Duisburg-Essen ist sich gewiss, dass Guttenberg Argumentationslinien aufbaut, „um Bundeswehreinsätze ausweiten zu können“. (9)

Jedoch sei in der Verfassung geregelt, dass die Bundeswehr ausschließlich zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden darf: „Wirtschaftsinteressen schließt das sicher nicht ein.“ Auf die Frage eines Journalisten in der Bundespressekonferenz, auf welchen Grundgesetzartikel sich der Verteidigungsminister mit seinen jüngsten Aussagen zu Wirtschaftsinteressen und Sicherheit stütze, wollte ein Regierungssprecher am 10. November nicht antworteten und zitierte stattdessen umfänglich aus dem aktuellen Weißbuch der Bundeswehr, in dem die militärische Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen ebenfalls eine Rolle spielt.

Reaktionen

In Teilen der Mainstreampresse wurde Guttenbergs erneuter Vorstoß zur Erweiterung von Deutschlands kriegerischen Möglichkeiten begrüßt. „Guttenberg hat eine Debatte angestoßen, mit der man politisch kaum punkten kann, die aber auf die Agenda gehört“, heißt es auf derwesten.de.  (10)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) kommentierte, dass Guttenberg recht habe: „Wer glaubt, ein derart vom Rohstoff- und Energieimport abhängiges Industrieland wie Deutschland könne sich darauf verlassen, dass alle Welt schon Rücksicht auf seine vitalen Interessen nehme, ist auf dem Holzweg. Der Terrorismus, diktatorische Regime, zerfallende Staaten und die wiederauferstandene Piraterie bedrohen die Freiheit der Handelswege und die Offenheit der Einkaufs- wie Absatzmärkte, auf die Deutschland angewiesen ist. Die Zeiten, in denen es die dafür nötige Sicherungsarbeit anderen, hauptsächlich den Amerikanern, überlassen konnte, sind vorbei. Deswegen muss man nicht gleich wie die SPD von ‚Wirtschaftskriegen’ schwadronieren. Wahr ist aber, dass Sonne und Wind nicht alle Bedürfnisse befriedigen und nicht alle Probleme lösen können werden, die Deutschland hat und in Zukunft haben wird.“ (11)

Scharfen Widerspruch erfuhr Guttenberg allerdings von Seiten der Opposition im Deutschen Bundestag. Die SPD warnte davor, der Bundeswehr „einen offensiven Interventionsauftrag zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen“ anzudichten. „Ein Blick in das Grundgesetz erleichtert das richtige Verständnis von Verteidigungspolitik: Das Grundgesetz erlaubt keine Wirtschaftskriege“, sagte SPD- Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann der tageszeitung (Mittwoch). Ähnlich äußerte sich der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour: „Es gibt einen guten Grund, warum Auslandseinsätze nicht selbstverständlich sind“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Während diese Stellungnahmen schon deshalb unglaubwürdig sind, weil es SPD und Grüne sind, die für Deutschlands Interventionskriege an allererster Stelle verantwortlich sind, verdient die folgende Stellungnahme mehr Aufmerksamkeit. Der Linke-Außenpolitiker Wolfgang Gehrke meinte: „Für die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen darf kein Blut vergossen werden.“

Gehrke erklärt weiter: „Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) wollte die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen. Das reicht Herrn zu Guttenberg offenbar nicht mehr. Seiner Ansicht nach muss die deutsche Wirtschaft weltweit militärisch betreut werden. Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist auch wegen der Proteste nach seinen umstrittenen Äußerungen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan zurückgetreten. Vor solcher ‚Knieweichheit’ hat zu Guttenberg keinen Respekt. Er überbietet Köhlers Aussagen noch und gibt seinem Unverständnis über die damalige Kritik an ihm Ausdruck. In einem hat zu Guttenberg allerdings Recht: Das Problem ist nicht, dass der Zusammenhang zwischen Militär und deutschen Wirtschaftsinteressen offen ausgesprochen wird. Das Problem ist, dass dieser Zusammenhang überhaupt besteht und gefördert wird – auch von Herrn zu Guttenberg.“ (12)


Anmerkungen und Quellen

(1) Vgl. Thomas Wagner: Hand in Hand mit Guttenberg, http://www.jungewelt.de/2010/09-04/019.php?sstr=; sowie für eine umfassende Darstellung und Bewertung aktueller Entwicklungen in der deutschen Militärpolitik den vorzüglichen von Mario Tal (Hg): Umgangssprachlich Krieg. Testfall Afghanistan und deutsche Politik. Köln, Papyrossa 2010

(2) Anna von Bayern: Karl-Theodor zu Guttenberg. Aristokrat, Politstar, Minister, Fackelträger Verlag, Köln 2010

(3) http://www.podcast.de/episode/1887587/Berliner_Sicherheitskonferenz_mit_Rede_zu_Guttenberg

(4) http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article1691013/Guttenberg-tritt-in-Koehlers-Fussstapfen.html

(5) zitiert nach: http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehreinsaetze-koehler-wirtschaftsinteressen-militaerisch-durchsetzen-1.950594

(6) zitiert nach: http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehreinsaetze-koehler-wirtschaftsinteressen-militaerisch-durchsetzen-1.950594

(7) http://www.podcast.de/episode/1887587/Berliner_Sicherheitskonferenz_mit_Rede_zu_Guttenberg

(8) http://www.podcast.de/episode/1887587/Berliner_Sicherheitskonferenz_mit_Rede_zu_Guttenberg

(9) http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/guttenberg-auf-koehlers-spuren/

(10) http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Vermintes-Gelaende-von-Walter-Bau-id3924046.html

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(11) http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E58252D1E3CCD4D7893CBCDB66573F62C~ATpl~Ecommon~Scontent.html

(12) http://www.waehlt-gehrcke.de/index.php?option=com_content&view=article&id=630:die-linke-widerspricht-zu-guttenberg&catid=82:2010&Itemid=135

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