Gesundheitspolitik

Der Karlatan: Sein größter Bewerbungs-Coup

Zauberte der heutige Gesundheitsminister gleich zu Beginn seiner Karriere ein Uni-Institut aus dem Hut, das es gar nicht gab? Unser Autor Thomas Kubo stieß kürzlich in seinen umfangreichen Unterlagen auf die vermutlich brisanteste Stelle in Karl Lauterbachs Vita. Wir stellen das einzigartige Fundstück vor.

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Karl Lauterbach im Jahr 2009
A.Savin, Wikipedia, Mehr Infos

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Die These, die in diesem Beitrag belegt werden soll, ist unglaublich im wahrsten Wortsinne: Karl Lauterbach gab in einer Bewerbung an, ein Institut kommissarisch geleitet zu haben, das zu jenem Zeitpunkt noch nicht existierte. Ferner gab er an, dafür ein Gehalt der professoralen Vergütungsstufe C3 zu kassieren.

Wissenschaftsinszenierung als Daseinsform: Die Lauterbach-Institute

Lauterbach bietet umfangreiches Material dafür, um Wissenschaftsinszenierung zu studieren. Dies zeigt sich bei den Institutionen, mit denen er verbunden ist. Die Betrachtung der Gründungsgeschichte der beiden „Lauterbach-Institute“ an der Universität Köln in Verbindung mit seinen gesichteten Bewerbungsunterlagen an die Universität Tübingen demonstriert, dass Lauterbach möglicherweise ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen ist, der in der Hintergrund-Serie „Der Karlatan“ nicht bemerkt wurde, aber die Recherche im Hinblick auf einen weiteren Aspekt noch brisanter macht.

Oberflächlich und nach außen hin ist es wie immer: Formal ist alles paletti. Sucht man den Wissenschaftler Univ.-Prof. Dr. med. Dr. Sc. (Harvard) Karl Wilhelm Lauterbach offiziell, informiert das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Uniklinik Köln, dass er dort seit seinem Einzug in den Deutschen Bundestag beurlaubt ist. Der Einzug erfolgte im Jahre 2005. Dieser Lesart schließt sich Lauterbach auf seiner Homepage an.

Drei nach außen platzierbare akademische Titel in Verbindung mit zwei Institutsleitungen suggerieren eine perfekte wissenschaftsinterne Qualitätssicherung. Wer wagt, diese Darstellung in einzelnen Punkten zu hinterfragen, wird durch zahlreiche Faktenchecks1 auf Linie gebracht.

Eine verhängnisvolle Bewerbung

Lauterbachs Bewerbungschreiben an die Universität Tübingen vom 10. Dezember 1995 konnte der Verfasser in der Berufungsakte sichten. In seinem Anschreiben steht:

Zum 1. Dezember 1995 habe ich die zunächst kommissarische Leitung des neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie an der medizinischen Fakultät der Universität zu Köln (Vergütungsstufe C3) übernommen.

Und etwas später:

Jetztige [sic!] Positionen:

Kommissarischer Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft an der Universität zu Köln (Gemeinschaftsinstitut der medizinischen und der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät: Vergütungsstufe C3, Beginn 1. Dezember 1995).

Und wieder etwas später unter dem Punkt „SYMPOSIENORGANISATION:“

In Vorbereitung:

Kölner Krankenhaussymposium: Das Krankenhaus im Wandel‘. Veranstalter: Institut für Gesundheitsökonomie, Mensch und Gesellschaft an der Universität zu Köln und die urologische Klinik der Universität zu Köln (Köln, März 1996)

Haben Sie die drei unterschiedlichen Bezeichnungen für die Wirkungsstätte des Bewerbers nicht bemerkt? Dann befinden Sie sich in der Gesellschaft des Verfassers wie auch der gesamten Berufungskommission in Tübingen, die es beim ersten Mal ebenfalls nicht bemerkt haben. Letztere hatte offenbar im Berufungszeitraum keinen Anlass, ein zweites Mal draufzuschauen. Ob sie die Gelegenheit im Jahre 2023 nutzen wird, ist fraglich.

Zunächst zum Symposium: Die geplante Veranstaltung fand vom 1. bis zum 2. März 1996 tatsächlich statt. Der Tagungsband wurde zügig erstellt und noch im selben Jahr veröffentlicht.

Diese Angabe enthält einen eklatanten Fehler: Lauterbachs Institut war kein Veranstalter. Weder das Titelbild noch der Umschlag des Sammelbandes weisen es auf.2 Der Umschlag nennt die drei Herausgeber und als Institution: „Klinik für Urologie der Universität zu Köln“. Die Titelseite nennt die Langfassung: „Klinik und Poliklinik für Urologie der Universität zu Köln“. Lauterbach taucht im Referentenverzeichnis mit zwei Doktortiteln, aber ohne Professorentitel auf. Affiliation: „Institut für Gesundheitsökonomie“. Zum Zeitpunkt (März 1996) war Lauterbach noch gar nicht berufen. Den Professorentitel hätte ihm niemand geglaubt. Aber das Institut? Warum sind die Angaben hierzu so widersprüchlich? Auf Nachfrage von Cicero lässt Lauterbach lediglich mitteilen, dass es sich seiner Kenntnis entziehe, wie der Eintrag im Tagungsband entstanden sei.

Symposium Köln Buch 1996

 

Ist der Grund dafür eine Lüge? Tatsache ist: Das Institut existiert zu diesem Zeitpunkt nicht. Eine kommissarische Leitung eines Instituts, das es (noch) nicht gibt, wird dadurch ebenfalls chronologisch verunmöglicht.

Die notwendigen Quellen, um dieser Frage nachzugehen, sind verstreut, sollen aber hier zusammengeführt werden.

Zunächst die Universität Köln. Diese veröffentlichte eine Pressemitteilung aus Anlass eines fragwürdigen TED-Talks von Karl Lauterbach aus dem Jahre 2014, womöglich aber durch immer kritischere Berichterstattung und einem lauteren Geraune in der Bevölkerung. Dort steht unter der Frage „Wie kommt es zu einer neuen Professur beziehungsweise einem neuen Fach?“:

Die Einrichtung innovativer Fächer kann sowohl aus der Universität heraus als auch von außen angestoßen werden. In Köln hat unter anderem die Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik Köln e.V., vertreten durch den Vorstand, die Einrichtung vorgeschlagen. Herr Lauterbach war dort Geschäftsführer und Lehrbeauftragter an der Universität. Am 21.02.1997 fand die Eröffnung statt. Professor Lauterbach war zunächst als Professurvertreter tätig, bevor er dann auf die Professur berufen wurde. Die Anerkennung als An-Institut erfolgte nach dem damaligen Universitätsgesetz durch das zuständige Ministerium auf Antrag des Senats der Universität. Der Antrag bedarf also einer breiten inneruniversitären Akzeptanz. Später wurde das Institut zu einem In-Institut[,] also zu einer inneruniversitären wissenschaftlichen Einrichtung.

Eine Eröffnung am 21. Februar 1997 ist für ein Institut, das im oder vor dem Dezember 1995 neu gegründet worden sein soll, nun ja, etwas spät.

Im Deutschen Ärzteblatt dokumentierte Harald Clade am 11. April 1997 die Neugründung:

Als erstes interdisziplinäres Institut ist Ende Februar 1997 an der Universität zu Köln das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) aus der Taufe gehoben worden. Das ‚An-Institut‘ wird zur Zeit durch die Universität zu Köln zusammen mit der gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik e.V. eingerichtet.

Die Angabe „Februar 1997“ deckt sich mit der Pressemitteilung der Universität. Man kann sich sicherlich darüber streiten, zu welchem Zeitpunkt man eine Taufe oder eine Einrichtung abschließen kann und soll. Jedoch sagt Harald Clade dann:

Seit Dezember 1996 ist mit der Leitung des Instituts der neu berufene Professor Dr. med. Dr. sc. Karl Wilhelm Lauterbach (34) beauftragt worden.

Wir erfahren dann noch etwas über den bereits in der Pressemitteilung zitierten Verein:

Die Initiatoren des neu gegründeten Instituts für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) an der Universität zu Köln und die Ende 1995 gegründete Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik Köln e.V. setzten von Anfang an auf Interdisziplinarität und fakultätenübergreifende Zusammenarbeit.

Behalten wir diesen Verein zunächst in Erinnerung. Die Universität Köln veröffentlichte bereits am 25. Februar 1997 eine Pressemitteilung mit dem Titel „Neues Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft“, bei der diese Darstellung bestätigt wird:

An der Universitaet zu Koeln ist eine neue interdisziplinaere Einrichtung, das Institut fuer Gesundheitsoekonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) entstanden. Traeger des Instituts ist die gemeinnuetzige Gesellschaft zur Foerderung der Gesundheitsoekonomik Koeln e.V., in der sich Mitglieder der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultaet der Universitaet zu Koeln sowie Vertreter verschiedener Organisationen des Gesundheitswesens zusammengeschlossen haben.

Veronika Hackenbroch schrieb im Jahr 2004 einen viel zitierten Beitrag mit dem Titel „Der Einflüsterer“ im Spiegel. Lauterbach wird dort direkt zitiert:

Als Lauterbach 1995 von Harvard nach Deutschland zurückkehrte, lehrte er zwei Jahre lang als Privatdozent an der Universität zu Köln. ‚Während dieser Zeit‘, sagt er, ‚habe ich der Universität den Gedanken an ein Institut für Gesundheitsökonomie nahe gebracht.‘ 1997 wurde es gegründet, Lauterbach gewann die Ausschreibung der Direktorenstelle.

Dass Lauterbach Privatdozent war, ist nicht richtig, und es ist ebenfalls fraglich, wie viel er in der Zeit gelehrt hat. Die Haupterkenntnis aus diesem kurzen Absatz ist jedoch eine andere:

Wunsch und Realität klaffen manchmal auseinander. Im Jahre 2004 profitierte Lauterbach bereits von einem Wunsch, der Realität geworden war. Das Institut existierte 2004. Problematisch ist allerdings, wenn ein Wunsch, der noch nicht Realität geworden ist, schriftlich in der offiziellen Bewerbung auf eine Professur im Jahr 1995 so dargestellt wird, als sei er bereits realisiert worden. Und genau das gibt Lauterbach hier zu. Möglicherweise lesen wir in seiner Bewerbung nach Tübingen lediglich denselben Wunsch in drei unterschiedlichen Variationen?

Der Tagesspiegel-Journalist Thomas Trappe hat sich für den akademischen Lebenslauf von Karl Lauterbach interessiert. Ihm ist es zu verdanken, Aussagen aus Lauterbachs Instituten, Nicht-Aussagen aus dem Bundesgesundheitsministerium sowie Angaben von Lauterbach selbst dokumentiert zu haben. Der Verfasser ist daran gescheitert. Trappe schreibt, dass Lauterbach zu bestimmten Zeiten „zwei Institute parallel“ geleitet hat. Weiter:

Genau genommen waren es zwei Institute, an denen Lauterbach seinerzeit tätig war. So wurde nach Angaben von Lauterbachs Institut, also dem IGKE, 1996 zunächst das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) gegründet – vom IGMG war auch die Rede in der Pressemitteilung von 1997. Später dann, erklärt das Bundesgesundheitsministerium, sei zusätzlich das IGKE als interdisziplinäres Institut der Uni Köln gegründet wurden.

Weiter Trappe:

An beiden Instituten sei Lauterbach zwischen 1997 und 2003 parallel tätig gewesen, dann sei das von ihm geleitete IGMG eingestellt worden. Das gemeinnützige IGMG hat in der Zeit noch laufende Projekte beendet, aber keine neuen mehr begonnen, erklärt das Ministerium. Auf Nachfragen, wie genau sich beide Institute in ihrer Arbeit voneinander abgrenzten und warum es überhaupt zwei gab, verweist Lauterbachs IGKE auf die Pressestelle seines Ministerium – das die Frage nicht beantwortet.

So wie die Außendarstellung der Universität Köln und Lauterbachs übereinstimmen, so gleicht sich das Kommunikationsverhalten in Bezug auf unangenehme Presseanfragen. Beim Tagesspiegel sieht das so aus: „Lauterbach will diese Darstellungen auf Anfrage nicht kommentieren.

Der Verfasser hat die Universität Köln zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt, was es damit auf sich hat, und gebeten, die Widersprüche aufzulösen. Es ging einerseits darum, einen Widerspruch in der hauseigenen Pressemitteilung aufzuklären. Diese enthielt den folgenden Satz: „Später wurde das Institut [das IGMG] zu einem In-Institut[,] also zu einer inneruniversitären wissenschaftlichen Einrichtung.“ Die Antwort:

„[D]as An-Institut und das In-Institut haben wohl noch nebeneinander bestanden. Wie lang genau geht aus den Unterlagen nicht hervor, ebensowenig wie die Gründe, die rein formeller Natur sein können.

Etwas früher erhielt ich von der Pressestelle diese Nachricht:

Professor Lauterbach wurde 1996 zunächst Professurvertreter. 1997 wurde er auf die C3-Professur Gesundheitsökonomie berufen. 1998 erfolgte im Zuge von Bleibeverhandlungen eine Berufung nach C4.

Die Vergütung von Karl Lauterbach als Professurvertreter im Jahre 1996 entsprach gemäß Pressestelle ebenfalls einer C3-Professur. Aber gibt es im Jahre 1995 die Vergütungsstufe C3 für die kommissarische Leitung eines Instituts, das es (noch) nicht gibt?

Ein im Jahre 1995 gegründetes Institut müsste im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1996 erscheinen; im Wintersemester 1996/97 erst recht. Im Sommersemester 1996 erscheint Lauterbach im Vorlesungsverzeichnis dieses Semesters allerdings überhaupt nicht, ebenso wie das Institut! Lauterbach hat im WS 1996/97 keine Lehrveranstaltung im Vorlesungsverzeichnis; allerdings taucht ab diesem Semester sein Institut auf. Er selbst wird geführt – als „Komm. Leiter“!3

Vorlesungsverzeichnisse Vergleich

Der Träger und Geldgeber ist, wie damals aus dem Vorlesungsverzeichnis bereits ersichtlich ist, ein Verein zur Förderung der Gesundheitsökonomik e. V. Köln.

Der Verein zur Förderung der Gesundheitsökonomik e. V. Köln

Dieser Verein, der in diversen Quellen immer wieder genannt wurde, existiert nicht mehr. Er fungierte als Drittmittel-Sammelstelle und Finanzierer in der Anfangsphase; Lauterbach war dort, wie wir mehrfach gesehen haben, Geschäftsführer. Das Vereinsregister nennt eine Satzung vom 21. Juni 1995, die ein Mal am 10. November 1995 geändert wurde. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgte am 25. Oktober 1995, was sich mit der Darstellung des Ärzteblatts deckt. Am 22. Oktober 2003 war Schluss: „Infolge Wegfalls aller Vereinsmitglieder ist der Verein erloschen.Um diesen Zeitpunkt herum war der Verein nicht mehr nötig: Das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie war etabliert – und Lauterbach als C4-Professor im Sattel.

Über die Drittmittelgeber gäbe es viel zu sagen: Die eingeworbenen Gelder und Geldflüsse gäben Aufschluss über die Interessenten am Institut.4 Uns interessiert hier allerdings allein die Chronik und die folgende Frage: Wie kann ein Verein, der erst am 25. Oktober 1995 im Vereinsregister eingetragen wird, innerhalb von einem Monat ein An-Institut in einer Universität initiieren, bei dem Lauterbach dann am 1. Dezember 1995 seinen Dienst antritt? Oder ist die plausiblere Version die, dass Lauterbach in seiner Bewerbung gelogen hat? Darauf die Universität Köln, zwar in Bezug auf das Video des TED-Talks, aber dennoch allgemeingültig:

Der Eindruck, dass jemand kurzerhand die Gründung eines universitären Instituts veranlassen kann, den das verkürzte Video erzeugen könnte, ist falsch.

Von Cicero um eine Stellungnahme zu den aktuellen Recherchen gebeten, lässt Lauterbach lediglich ausrichten, dass er zunächst die Kommissarische Leitung eines An-Instituts übernommen habe, ohne jedoch einen genauen Zeitpunkt für diese Übernahme zu benennen.

Anstelle Klarheit bei den ohnehin unübersichtlichen Institutsnamen zu schaffen, stiftet er im Jahre 2023 neue Verwirrung, indem er die falsche Angabe in der Bewerbung wiederholt: Sein Pressesprecher ließ ausrichten, Professor Lauterbach habe zunächst die kommissarische Leitung eines „AN-Instituts Gesundheitsökonomie, Mensch und Gesellschaft“ übernommen – womit wir bei drei Instituten wären.

Fazit

Die einzige Quelle, die belegt, dass Karl Lauterbach seinen Dienst am Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) am 1. Dezember 1995 als kommissarischer Leiter angetreten wäre und dafür ein C3-Gehalt kassiert hätte, ist – Karl Lauterbach. Die Professurvertretung im Jahre 1996 und die Vergütungshöhe C3 ist von der Pressestelle der Universität Köln bestätigt worden. Letzteres ist aber kein formaler Ruf, und Ersteres belegt nicht die Tätigkeit am 1. Dezember 1995.

Die einzige Quelle, die belegt, dass das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft überhaupt am 1. Dezember 1995 bereits existierte, ist – Karl Lauterbach.

Die Gegenevidenz besteht neben zahlreichen Zeugnissen aus jener Zeit, den Vorlesungsverzeichnissen und der Pressestelle der Universität Köln sowie den Nachforschungen anderer Journalisten aus – Karl Lauterbach, und zwar im Jahre 2004 gegenüber dem Spiegel.

„Bevor es zu spät ist“

Karl Lauterbach setzt die Wissenschaftsinszenierung unbeirrt fort. Im institutionellen Bereich der (vorerst?) letzte Akt: In seinem Buch „Bevor es zu spät ist“ aus dem Jahr 2022 schreibt er auf Seite 61 über sich selbst:

Als Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie (IGKE) konnte ich genau das erforschen, was ich immer wollte. Als Beamter mit C4-Professur war ich abgesichert bis über das Rentenalter hinaus. Dazu habe ich eine Gastprofessur an der Harvard University, die ich bis heute innehabe.

Fällt es Ihnen sofort auf? Durch die Streichung des Wortes „klinische“ ist eine lästige, einschränkende Spezifikation5 fortgefallen, mithin die Metamorphose zum vollwertigen, „richtigen“ Epidemiologen bald abgeschlossen: Es fehlt noch ein Buchstabe. Dieser bleibt nurmehr im Akronym „IGKE“ erhalten. Der Urheber für die so konstruierte „doppelte Legitimation“ ist, wie eigentlich immer – Lauterbach selbst.

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Anmerkung Redaktion: Die Rechercheergebnisse des Autors wurden von unabhängigen Experten, darunter Hochschullehrer und promovierte Mediziner, überprüft. Die Namen sind der Redaktion bekannt. Sollte es dennoch zu Ungenauigkeiten oder sogar Fehlern gekommen sein, bitten wir um eine Nachricht an redaktion@hintergrund.de

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Quellen und Anmerkungen

1Vgl. etwa https://www.mdr.de/wissen/faktencheck/faktencheck-lauterbach-102.html. Neben der Tatsache, dass diese Faktenchecks bisweilen neue Falschnachrichten in die Welt setzen – so nennt der MDR mit Verweis auf mimikama.at einen „Lehrstuhl in Health Epidemiologie und Gesundheitsökonomie“ – ist interessant, die Zirkelschluss-Struktur dieser Faktenchecks zu studieren. Im zitierten Faktencheck ist eine Quelle die Universität zu Köln – die es ja zu überprüfen gälte!

2Kein Bild bei https://d-nb.info/948126345; der Eintrag enthält auch einige fehlerhafte Angaben. Die Bilder stammen aus einem eigenen Exemplar.

3Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Köln, die jeweils auch als Digitalisat vorhanden sind: https://www.ub.uni-koeln.de/cdm/search/collection/vorlesverz/display/200/order/title/ad/asc. Die Fundstellen aus den Vorlesungsverzeichnissen: Im Wintersemester 1995/96 und im Sommersemester 1996 wird Lauterbach gar nicht genannt (vgl. für das WS 1995/96 den Index auf S. 717; für das SS 1996 die Institutsübersicht der medizinischen Fakultät auf S. 182 und den Index auf S. 718). Im Wintersemester 1996/97 wird er als „Komm. Leiter“ des IGMG aufgeführt (S. 179), aber ohne Veranstaltungen (vgl. Index auf S. 706).

4Harald Clade vom Deutschen Ärzteblatt schriebt hierzu ebenfalls: „Die Gesellschaft hat die Anschubfinanzierung übernommen. Gründungsmitglieder der Gesellschaft waren namhafte Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, der Versicherungswirtschaft, der Verbände der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung, Verbände und Stiftungen der Ärzteschaft sowie der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.“ Vgl. https://www.aerzteblatt.de/archiv/5882/Gesundheitsoekonomie-Interdisziplinaerer-Ansatz

5Eine Spezifikation, die durchaus wichtig ist: Ein Epidemiologe interessiert sich für Fragen, die keinen direkten klinischen, also auf die Behandlung des Menschen gerichteten Bezug haben müssen, bei einem klinischen Epidemiologen steht der Patient im Mittelpunkt der Forschung und Arbeit. In den Worten der Schulich School of Medicine & Dentistry: „Classical epidemiology is generally focused on the distribution and determinants of disease (population level), while clinical epidemiology is the application of the principles and methods of epidemiology to conduct, appraise, or apply clinical research for the purpose of improving prevention, diagnosis, prognosis, and treatment of diseases in patients.“

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Vgl. https://www.schulich.uwo.ca/epibio/research/research_clusters/metholological_approaches_and_disciplines/clinical_epi.html

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