Der Karlatan. Eine Hintergrund-Serie

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Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl Lauterbach ist zwar de iure Arzt, hat aber de facto als ein solcher nie gearbeitet. Karl Lauterbach nennt sich zwar Wissenschaftler, jedoch verflüchtigen sich die Nachweise für seine wissenschaftliche Tätigkeit bei genauerer Betrachtung. Karl Lauterbach ist auf dem Papier zwar Professor, hat aber die sonst allgemein üblichen Voraussetzungen für eine Professur nicht erfüllt.

Diesen Thesen ist unser Autor Thomas Kubo nachgegangen. In teilweise kleinteiligen Beweisführungen konnte er sie erhärten. Eine Übersicht und Kurzzusammenfassung unserer fünf Teile „Der Karlatan“ nebst Verweisen zu den einzelnen Folgen finden Sie auf dieser Seite.

Im Februar 2024 hat Thomas Kubo seine Ergebnisse in einem Vortrag zusammengefasst. Den können Sie hier anschauen:


Bitte beachten sie die aktuellen Änderungen und das Addendum. (April 2023)

August 2023: Verfahren der Universität zur Untersuchung der Vorwürfe abgeschlossen
Colonia obscura – der Minister mauert, und die Universität mauert mit (Teil 1)
Colonia insana – mauern, bis der Arzt fehlt (Teil 2)

Am 20. März erschien ein weiterer Artikel, der Lauterbachs Bewerbung in Tübingen problematisiert.

Hintergrund-Medienrundschau vom 17. März 2023 zum Thema
Interview mit Matthias Schrappe
Twitter-Thread zu den Fragen von Thomas Kubo
Die Welt am Sonntag hat die Recherche aufgegriffen: Ein Twitter-Thread

Der Arzt (Folge 1)

Medizin hat er studiert. Soviel steht fest. Karl Lauterbach ist auch Arzt. Seit 2010 besitzt er die Approbation. Viele Jahre nach dem Studium, als er schon längst im Bundestag saß. Möglich wurde das für Lauterbach, der nie offiziell als Arzt im Praktikum gearbeitet hat, weil diese Voraussetzung für die Approbation im Jahr 2004 weggefallen ist. In verschiedenen Interviews hat Lauterbach angegeben, als Arzt in Krankenhäusern praktiziert zu haben. Was er genau getan hat, lässt sich heute nicht mehr unabhängig rekonstruieren. Es bleiben die Aussagen von ihm selbst. Aber die haben es in sich: Als Medizinstudent in Texas habe er wochenlang nur operiert, erzählte er später. Durfte er das aber machen, wovon er spricht? Er war noch Student. Also blieb die Assistenz. Wenn überhaupt. Davon aber ist in den Aussagen nicht die Rede. Zudem variieren sie. Mal war er in der Herz-, mal in der Unfallchirurgie tätig. An anderer Stelle war die Rede davon, dass er im Studium als eine Art Intensivpfleger gejobbt habe. Dazu kommt ein „praktisches Jahr“ als Arzt in den USA. Mehr Arbeit am Patienten hat Lauterbach nicht vorzuweisen. Und eine Facharztausbildung hat er (natürlich) auch nicht absolviert.

Der Wissenschaftler (Folge 2)

Karl Lauterbach gilt als erfahrener Wissenschaftler. Seit 1997 ist er Professor in Köln. Aber wie kam es dazu? Schaut man in seine Publikationsliste, so ist dort wenig zu finden, was vor seiner Berufung erschienen ist. Neben seinen beiden Dissertationen sind es nur wenige Veröffentlichungen, in denen er Erst- oder Alleinautor war. Die normale und wesentliche Voraussetzung für eine Professur, die Habilitation, hat er auch nicht vorzuweisen.

Der Professor (Folge 3)

Seit 1997 ist Karl Lauterbach also Professor an der Uni Köln. Er leitet das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft, dessen Gründung er als Geschäftsführer der „Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik e.V.“ maßgeblich mit vorangetrieben hat. Später wurde daraus das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie. Er selbst hat darüber mehrfach in anekdotischer Weise berichtet, auch andere Berichte legen dies nahe. Was aber qualifizierte ihn überhaupt zu dieser Position? Die Harvard-Dissertation wurde als „habilitationsäquivalente Leistung“ anerkannt, zudem habe es weitere „Qualifikationsschriften“ gegeben, schreibt die Uni Köln. Diese aber sind, wie die Teile zwei und fünf unserer Serie nachweisen können, zumindest bis zum Jahr 1996 kaum vorhanden. Und die Harvard-Dissertation? Lag sie den Mitgliedern der Berufungskommission überhaupt vor? Zu diesem Zeitpunkt gab es ein einziges öffentlich zugängliches Exemplar: In Harvard selbst. Ein Blick in die heute offen im Netz zugängliche Schrift zeigt: Es handelt sich um einen „normativen Essay“, so ein professoraler Kollege Lauterbachs, mit eklatanten Fehlern inhaltlicher wie formeller Natur.

Die Lehre (Folge 4)

Ein deutscher Professor lehrt und forscht. Aber Lehrveranstaltungen von Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach lassen sich in der Rückschau nur sehr wenige nachweisen. An der Uni Köln erst ab 1998 im dortigen Vorlesungsverzeichnis. Vier Jahre später beschwerte sich dann die Fachschaft, dass er seine Lehrtätigkeit vernachlässigt. Er habe seit Beginn des Sommersemesters 2000 keine einzige Lehrveranstaltung persönlich gehalten. Und im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1998/99 finden sich gerade einmal 4,5 Wochenstunden, an denen Lauterbach teilgenommen haben sollte.

Der Professor, der mit 35 Jahren bereits drei C4-Rufe gehabt hat, wie er stolz berichtet, hatte bis dato also wenig geforscht und kaum gelehrt. Lauterbach war zunächst C3-Professor in Köln und hatte sich dann in Greifswald und Tübingen beworben. Nachdem er von beiden Universitäten einen Ruf erhalten hatte, führten Bleibeverhandlungen ihn in Köln zur C4-Professur.

Die Berufungsakte aus Tübingen konnte unser Autor einsehen (weswegen nach dem vierten auch noch ein fünfter Teil der Serie nötig wurde). Dadurch konnte er auch einen Blick auf Lauterbachs Bewerbung und dessen eigene Angaben zur Lehre werfen. Das Fazit: Vor seiner Berufung kann lediglich eine einzige Veranstaltung zweifelsfrei nachgewiesen werden, die Lauterbach aber nicht einmal alleine gehalten hat. Weitere Lehrveranstaltungen, die er in der Bewerbung angegeben hatte, sind derzeit nicht nachweisbar. Dazu passt die Aussage von Zeitzeugen, Lauterbach sei nur selten am Institut in Köln aufgetaucht.

Die Bewerbungen (Folge 5)

Es ist unerheblich, ob Lauterbach wirklich nach Tübingen wollte. Die Bewerbungsunterlagen, die zum Ruf auf die C4-Professur führten, sind gleichwohl eine heute nicht mehr zu ändernde Selbstdarstellung. Sie geben Auskunft über die Person und seinen Werdegang. Bei Lauterbach allerdings vor allem darüber, wie er offenbar gesehen werden wollte. Denn viele Angaben lassen sich nicht verifizieren. Und was erschienen ist, das wird teilweise aufgebläht. Von der geringen Anzahl an Publikationen war bereits die Rede, sie waren teilweise noch nicht einmal in Fachzeitschriften erschienen. Es gab keine einzige mit Peer Review.

Bei genauerem Blick auf Lauterbachs eingereichte Publikationsliste fallen zum einen kleinere Fehler auf. Aber es sind auch Texte enthalten, die nie erschienen sind. Und was Lauterbach veröffentlicht hat, ist von fragwürdiger Qualität. „Literatur beim Autor“ heißt es an einer Stelle. Bedeutet das, dass man heute beim Gesundheitsministerium nachfragen muss, um die Literaturangaben für die kleine Schrift zu erhalten? Wenn er dann Nachweise angibt, belegt die Quelle regelmäßig nicht das, was der Autor behauptet.

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Schließlich noch ein Blick auf die Drittmittel, die Lauterbach angeworben haben will und die er bei seiner Bewerbung ebenfalls angibt: Bei näherem Hinsehen bleibt wenig bis nichts übrig. Das gilt auch für das Berufungsverfahren nach Greifswald. Hier liegt im Berufungsbericht nur ein Kurzgutachten über Lauterbachs Harvard-Dissertation vor, das deren Qualität zu beurteilen vorgibt. Nach Lektüre dieses Gutachtens bleibt unklar, ob überhaupt ein Exemplar der Dissertation vorgelegen hat.

Am Ende der Serie stehen 17 Punkte mit vielen Fragen. Unter anderem der folgenden: „Hat diese Serie hinreichende Belege dafür geliefert, dass man von wissenschaftlichem Fehlverhalten sprechen kann?“ Ob jemand tätig wird und (mehr) Licht ins Dunkel bringen kann, wird die Zukunft zeigen.

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