Innenpolitik

Künftig Bundeswehr im Innern

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Von HELMUT LORSCHEID, 7. Oktober 2008: 

Bundeswehreinsätze wie der beim G  8 Gipfel 2007 in Heiligendamm sollen legalisiert werden. Das ist das Ziel einer Grundgesetzänderung, die der Koalitionsausschuss am Sonntag (5.10.2008) beschlossen hat. In Heiligendamm hatte die Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen die Camps der Globalisierungsgegner fotografiert und aus Panzerspähwagen heraus die Demonstranten beobachtet. (1)

Der Koalitionsausschuss beschloss am Sonntag (5.10.2008) einen Gesetzentwurf, der von Bundesinnenminister Schäuble (CDU) und Justizministerin Zypries (SPD) ausgearbeitet worden war und eine Änderung des Artikel 35 des Grundgesetzes vorsieht,  in dem die Amtshilfe zwischen Bundesbehörden geregelt ist (2)

In den Artikel 35 sollen nach dem Absatz 3  folgende Absätze 4 und 5 angefügt werden:
Absatz 4: „Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen. Maßnahmen der Bundesregierung nach den Sätzen 1 und 2 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.
Absatz 5: „Bei Gefahr im Verzug entscheidet der zuständige Bundesminister. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich nachzuholen.“ (3)

Damit setzt die Große Koalition einen grundsätzlichen Beschluss um, der bereits Teil der Koalitionsvereinbarung vom11. November  2005 war. Darin hatten CDU/CSU und SPD vereinbart: „(…) die im Grundsatz bewährte Sicherheitsarchitektur wo es nötig ist weiterentwickeln und überprüfen , inwieweit rechtliche Regelungen, (…) einer effektiven Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität entgegenstehen.“ Und weiter:„Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus greifen äußere und innere Sicherheit immer stärker ineinander. Gleichwohl gilt die grundsätzliche Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben. Wir werden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz prüfen, ob und inwieweit verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht.(…)“ (4)

Genau das hat die Koalitionsgrunde nun getan. Die geplante Grundgesetzänderung wird mit dem gesetzlichen Handlungsbedarf begründet, der aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz resultiert. (5) Genau so, wie es  im Koalitionsvertrag bereits vereinbart wurde.

Dennoch sprechen Vertreter der „Parlamentarischen Linken“ (PL) in der SPD-Bundestagsfraktion von einem Teilerfolg der SPD. Schäuble habe, so der Sprecher der PL, Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB (5) gegenüber HINTERGRUND, sich mit seiner Zielsetzung eine Generalvollmacht für den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu erhalten, nicht durchsetzen können. Statt dessen gebe es lediglich Amtshilfe durch die Bundeswehr und somit eine gesetzliche Regelung, wie sie angesichts des Verfassungsgerichtsurteils notwendig geworden sei. Die Mitglieder der Parlamentarischen Linken würden sich den Gesetzestext natürlich genau anschauen, aber im Gegensatz zu den Plänen Schäubles sei das nun vorliegende Gesetz eher zustimmungsfähig. Ob es Gegenstimmen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion gegen dieses Gesetz geben werde, sei noch nicht abzusehen. (6)

Klar wird am Beispiel dieses neuerlichen „Anti-Terror-Gesetzes“, wie ein „Sicherheitsgesetz“ das nächste nach sich zieht. Die SPD-Grüne-Koalition hatte das Luftsicherheitsgesetz in einer Fassung beschlossen, das vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hatte.(4) Doch statt sich verfassungskonform zu verhalten und das Luftsicherheitsgesetz ersatzlos wieder

abzuschaffen, zum Beispiel weil es gegen das Grundgesetz verstößt, passt die Nachfolgeregierung das Grundgesetz dem Luftfahrsicherheitsgesetz an. Damit wird die Verfassung den Sicherheitsgesetzen angepasst – und nicht umgekehrt.

Deutliche Kritik kommt von Oppositionsabgeordneten. Für Die Linke Fraktion im Bundestag erklärte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jepke: „Nach einer Grundgesetzänderung, wie sie die Koalition plant, könnten solche zweifelhaften Mutmaßungen über geplante Anschläge (wie es vor dem G 8 Gipfel in Heiligendamm gab)  den Einsatz der Bundeswehr bei amtlichen Großveranstaltungen rechtfertigen. Das ist, was Schäuble seit über 15 Jahren will: die grundgesetzliche Befugnis zum Einsatz der Armee im Inland. Ob G8-Gipfel oder Castor-Transport – die nächste Gelegenheit für einen ersten Einsatz kommt bestimmt." (7)

Auch die Grünen machen nun mobil gegen ein Gesetz, dessen Grundlagen (Luftsicherheitsgesetz) sie als Regierungspartei selbst mitgeschaffen hatten. Ihr Sprecher für innere Sicherheit, Wolfgang Wieland sieht „Schäubles Traum wahr werden“: Die Koalition habe sich auf eine Änderung des Grundgesetzes geeinigt, um die Bundeswehr mit militärischen Mitteln im Innern einsetzen zu können. Wieland: „Das folgt der verqueren Ansicht des Ministers, dass innere und äußere Sicherheit verschmelzen und im Zeitalter der asymmetrischen Bedrohung Krieg und Frieden nicht mehr klar zu trennen wären.

Aber diese Logik ist falsch: Terrorabwehr ist keine Landesverteidigung, sie ist Aufgabe der Polizei und nicht der Bundeswehr.“

Der SPD wirft Wieland vor, sie wolle die Tür öffnen zu einem „gravierenden Umbau unserer Sicherheitsarchitektur“. Dies sei  „dumm und verantwortungslos“. Die Pläne der Bundesregierung würden nicht zu mehr Sicherheit führen, dafür aber zu weniger Freiheit.

„Das lehnen wir ab und werden das in Bundestag und Bundesrat alles tun, um diese Grundgesetzänderung zu verhindern“. Die Grünen befinden sich derzeit in Bremen in einer Koalition mit der SPD und in Hamburg mit der CDU. In Berlin regiert Die Linke mit der SPD und in Hessen wird gerade eine Koalition zwischen der SPD und den Grünen vorbereitet, wobei die auf die Zustimmung durch die Hessischen Linke angewiesen sein wird. Grüne und
Die Linke verfügen im Bundesrat folglich über erheblichen Einfluss.

Für die Gewerkschaft der Polizei kommt es nun darauf an, „im weiteren parlamentarischen Verfahren sehr genau die Formulierungen zu prüfen, auf die sich die Koalitionäre geeinigt haben.“ (9) Es müsse sichergestellt werden, dass mit einer notwendigen Verfassungsänderung die Tür zu weiter gehenden Befugnissen der Bundeswehr nicht aufgestoßen werde, erklärte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg. Keinesfalls dürften der Bundeswehr Polizeiaufgaben im Innern übertragen werden, wie zum Beispiel der Einsatz bei Demonstrationen. Solange die Bundeswehr der Polizei „Amtshilfe“ leistet, ist die Polizeigewerkschaft mit einem solchen Gesetz also offenbar einverstanden. Damit würde ein Bundeswehreinsatz wie in Heiligendamm zum „Normalfall“.

 

(1) http://www.hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=208&Itemid=136

(2) http://norm.bverwg.de/jur.php?gg,35

(3) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Fassung vom 2.10.08

(4) http://www.bundesregierung.de/nsc_true/Content/DE/__
Anlagen/koalitionsvertrag,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/koalitionsvertrag

(5) http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv115118.html

(6) Telefonat des Autors  mit Ernst Dieter  Rossmann, MdB  6.10.08

(7) http://www.ulla-jelpke.de/news_detail.php?newsid=997

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(8) http://www.gruene-bundestag.de/cms/presse/dok/
252/252656.bundeswehr_soll_draussen_bleiben.html

(9) Presseerklärung der GdP 6.10.08

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