Innenpolitik

Militäreinsatz im Inland – Kein Interesse bei Justiz

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Verwaltungsgericht Schwerin lehnt Klage gegen Tornado-Überflüge während der Proteste gegen G8-Gipfel in Heiligendamm als unzulässig ab. Kläger prüfen weitere rechtliche Schritte.

Von RALF WURZBACHER, 19. Dezember 2011 –

Die deutsche Justiz sieht den Einsatz deutscher Militärs im Inland offenbar nicht so verbissen, wie das eigentlich vom Grundgesetz her geboten wäre. Dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man den jüngsten Entscheid des Verwaltungsgerichts Schwerin zu den Überflügen von Tornado-Jagdflugzeugen der Bundeswehr anlässlich der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007 betrachtet. Gegen das damalige Vorgehen der Sicherheitskräfte hatten sich drei Betroffene juristisch zur Wehr gesetzt – und sind vorerst gescheitert. Am Freitag vergangener Woche sprach das Gericht den Klägern ein Rechtschutzinteresse ab. Der befremdliche Richterspruch besagt im Kern: Grundrechte wurden nur geringfügig beeinträchtigt, und eine Wiederholung des Rechtsbruchs stehe auch nicht zu erwarten.

Die Kläger gehörten seinerzeit zu den Organisatoren eines Protestcamps in Reddelich unweit vom Tagungssitz im mondänen Ostseebad Heiligendamm. Zu Zwecken der Luftaufklärung waren über das Zeltlager mehrmals Tornado-Jets der Luftwaffe hinweggedonnert. Die Behauptung, dabei vermeintliche im Erdboden befindliche Depots mit Waffen von Globalisierungsgehingnern auffinden zu wollen, erwies sich schon bald als glatte Lüge. Auf den damals in der Presse veröffentlichen Schnappschüssen der Kampfjets waren keine Erdbewegungen zu sehen, sondern lediglich Menschen, die sich offensichtlich unterhielten und diskutierten. Diese waren zum Teil derart detailscharf getroffen, dass sich einzelne Personen auf den Bildern identifizieren ließen. Die Kläger sahen mit dem Einsatz ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ebenso verletzt wie ihr Versammlungsrecht.  

Den offenkundig rechtswidrige Überwachungscharakter der militärischen Aktion befanden die Schweriner Verwaltungsrichter allerdings für zu unerheblich, um ihn ernsthaft zu würdigen, geschweige denn zu monieren. Überdies sei der beklagte Vorfall ein singuläres Geschehen, das sich wahrscheinlich nicht noch einmal ereignen werde. Deshalb sollten die Überflüge keine juristischen Konsequenzen haben. Für Dieter Rahmann –  einer der Kläger und vor viereinhalb Jahren Pächter der Fläche des Camps Reddelich – ist das eine „dreiste und ignorante“ Argumentation. „Das Gericht hält Unrecht für belanglos, falls es voraussichtlich kein zweites Mal eintritt“, beklagte er gegenüber Hintergrund. Damit werde das „Rechtssystem auf den Kopf gestellt“. Rahmann konnte sich wie seine beiden Mitkläger auf den fraglichen Fotos selbst nicht wieder erkennen. Nach Ansicht der Richter sind die drei deshalb nicht persönlich in ihren Grundrechten verletzt worden, womit auch dieser Einwand ziemlich rüde abgefertigt wurde.

Auch von der beklagten Einschränkung der Versammlungsfreiheit wollte das Gericht nichts wissen. Weil nach seiner Auffassung das Camp keinen politisch nach außen wirkenden Charakter gehabt habe, könnte auch nicht gegen entsprechende Rechte verstoßen worden sein. Rahmann schilderte die Überflüge dagegen als „massive Einwirkung“ auf die versammelten Menschen. „Es herrschte eine Stimmung der Angst, die Leute waren eingeschüchtert und wussten nicht, ob und welche Folgen es hat, von den Kameras erfasst worden zu sein.“ In der Klage berief er sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach jede Art von „Überwachung und Registrierung“ die Durchführung einer Versammlung beeinträchtigt und sich die dabei zum Ausdruck kommende Willensbildung „frei, offen, unreglementiert“ und „grundsätzlich staatsfrei“ vollziehen müsse. „Das hat aber die Richter einfach nicht interessiert“, so Rahmann.

Die Tornado-Einsätze hatten seinerzeit auch politisch für einigen Wirbel gesorgt. Während der damals amtierende Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) anfangs nur zwei Missionen eingestand, war wenig später schon von sieben Einsätzen mit insgesamt 14 Flugzeugen vom 3. Mai bis 5. Juni die Rede. Bei einem Flug über dem bevölkerten Camp soll sogar die Mindestflughöhe von 500 Fuß unterschritten worden sein. Wie sich herausstellte, hat wohl die polizeiliche Einsatzleitung Kavala einige der Einsätze auf dem kurzen Dienstweg, das heißt ohne Genehmigung und Kenntnisnahme durch Minister Jung, angeordnet. Überhaupt nahmen es die Verantwortlichen vor und während des G8-Gipels mit der qua Verfassung festgelegten Trennung zwischen Polizei und Militär nicht allzu genau. Neben rund 2.000 Soldaten kamen unter anderem auch Spähpanzer zur Überwachung von Räumen, Straßen und Ausflugsrouten der Demonstranten zum Einsatz, die die Polizeieinsatzkräfte mit Informationen versorgten.

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Ein entscheidendes Motiv der Kläger war es vor diesem Hintergrund auch, die grundrechtlich verfasste Schranke bezüglich des Einsatzes militärischer Mittel im Inland zu thematisieren. Aber auch das traf auf den Unwillen des Gerichts. Das Trennungsgebot von Polizei und Militär hat das Gericht laut Rahmann mit einem einzigen lapidaren Satz abgetan: „Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich die durch die Bundeswehr gewährte Amthilfe im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts hielt.“ Im Klartext heiße das: „Selbst für den Fall, dass gegen ein Grundrecht verstoßen wurde, ist dies dem Gericht egal, weil nicht Gegenstand seines Interesses“. Das beweise ein „Höchstmaß an Ignoranz“. In dieselbe Kerbe schlägt auch der Anwalt der Kläger Sönke Hilbrans: Mit dem Urteil habe sich „erneut ein Gericht geweigert, einen verfassungswidrigen Bundeswehreinsatz im Innern für rechtswidrig zu erklären. Im Ergebnis soll den Betroffenen der Rechtsschutz gegen diese Bundeswehreinsätze weiterhin entzogen bleiben“.

Die Kläger wollen nun die Einlegung weiterer Rechtsmittel gegen das Schweriner Urteil prüfen. Am Ende könnte möglicherweise das Bundesverfassungsgericht zur Klärung der Angelegenheit angerufen werden. Allerdings hat auch Karlsruhe bei dem Thema bereits ein schlechtes Bild abgegeben. Im Sommer 2010 haben Deutschlands höchste Richter eine Verfassungsbeschwerde der Grünen-Bundestagsfraktion gegen den Tornado-Einsatz abgewiesen – aus formalen Gründen.

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