Innenpolitik

NSU – Streit um geschwärzte Akten

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Von REDAKTION, 30. Oktober 2012 –

Der Erfurter Untersuchungsausschuss zur Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bleibt im Streit um die Schwärzung von Geheimdienstakten auf Gegenkurs zur Innenministerkonferenz. „Nach der Rechtslage in Thüringen gibt es keinen Anlass, die Dokumente zu schwärzen“, sagte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa.

Der Thüringer Landtagsausschuss verhält sich damit anders als der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) hatte beiden Ausschüssen, die die Mordserie an zehn Menschen aufklären sollen, mehrere hundert teils geheime Akten ungeschwärzt zukommen lassen.

Auf der Anfang Oktober tagenden Innenministerkonferenz wurde die Vorgehensweise des thüringischen Innenministers kritisiert. Der Vorsitzende der Konferenz, Lorenz Caffier (CDU), forderte den Landtagsausschuss auf, die Geheimdienstakten vor der Behandlung im Ausschuss durch einen Beauftragten vorsortieren und sensible Passagen wie die Klarnamen von Quellen und Fallbezeichnungen schwärzen zu lassen. So plant es auch der Bundestagsausschuss.

Aus den Reihen des Verfassungsschutzes (VfS) war Geibert Geheimnisverrat vorgeworfen worden. Der Minister konterte den Vorwurf mit dem Hinweis, die Offenlegung der Akten decke sich mit der Rechtsprechung, da für den Erfurter Untersuchungsausschuss die gleiche Geheimhaltungspflicht wie für den Thüringer Verfassungsschutz gelte.

Auch Dorothea Marx verteidigte die Vorgehensweise. Die Ausschussmitglieder seien sich ihrer Verantwortung für die heiklen Unterlagen bewusst. „Was uns mit dem Stempel ‚Geheim’ ausgehändigt wird, tragen wir nicht auf den Markt und stellen wir nicht ins Internet.“

Sie forderte die Innenminister auf abzuwägen, welcher Vertrauensverlust bei den Bürgern, vor allem den Hinterbliebenen der Mordopfer, entstehe, wenn die Parlamentarier ein mögliches Fehlverhalten der Geheimdienste nicht lückenlos aufklären könnten.

Offenbar herrscht großes Misstrauen im thüringischen Innenministerium gegenüber den eigenen Untergebenen aus den Reihen des Verfassungsschutzes. Aus Sorge, VfS-Mitarbeiter könnten Akten schreddern, ließ Innenminister Geibert die rund 1 500 Akten von Bereitschaftspolizisten kopieren. Laut einem dem stern vorliegenden Protokoll habe Geibert in einem Telefonat mit dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy, die Furcht geäußert, Mitarbeiter des Geheimdienstes hätten „interessante Bestandteile“ verschwinden lassen können. Geibert sprach von einem „Sumpf“, den es auszutrocknen gelte. (1)

Laut Berichten des mdr und der Thüringer Allgemeinen, die sich auf Kreise des thüringischen Innenministeriums als Quelle berufen, habe es sogar den Versuch gegeben, den Transport mit den ungeschwärzten Akten abzufangen. Verfassungsschutzämter mehrerer Länder hätten in Erfurt mehrmals nach der genauen Route der Lkw nach Berlin gefragt. Aus Furcht, der Transport könne gestoppt werden, habe das Thüringer Innenministerium keine Informationen weitergegeben. (2)

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland warnte vor einem Eigenleben der Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutzämter. „Wir brauchen eine demokratische Kontrolle, es darf nicht sein, dass Organisationen im Geheimen ihr Leben führen und wir keine Informationen bekommen, das darf es nicht mehr geben in Deutschland“, so der Vorsitzende Kenan Kolat.

Insgesamt wird gegen 13 Beschuldigte im Zusammenhang mit den NSU-Taten ermittelt. Zwei von ihnen – Beate Zschäpe und der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben – sitzen noch in Untersuchungshaft.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich rechnet mit einer baldigen Verfahrenseröffnung. „Ich bin überzeugt dass die Generalbundesanwaltschaft noch in diesem Jahr Anklage erheben wird – gegen mehrere Personen. Und dann wird auch Recht und Gerechtigkeit ihren Weg finden“, sagte Friedrich am Sonntagabend in der ARD-Sendung Günther Jauch. Jeder, der beteiligt gewesen sei an den NSU-Morden, werde zur Rechenschaft gezogen.

(mit dpa)

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(1) http://www.stern.de/investigativ/projekte/thueringen-innenminister-misstraut-eigenem-verfassungsschutz-1908353.html

(2) http://www.mdr.de/nachrichten/zwickauer-trio610_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Sollte-NSU-Akten-Laster-gestoppt-werden-717874614

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