Innenpolitik

Plagiatorendämmerung. Immer mehr Spitzenpolitiker tappen in die Guttenberg-Falle

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Von REDAKTION, 13. April 2011 –

Im Nachgang der Plagiatsaffäre um den zurückgetretenen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kommt ans Licht, worüber ein relevanter Teil der politischen Klasse wohl am liebsten lieber geschwiegen hätte: Der Doktortitel gilt in diesen Kreisen als nützlicher Ehrentitel, den man mit möglichst wenig eigenem Fleiß und Gehirnschmalz zu erwerben bemüht ist.

„Auch die Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber hat offenbar plagiiert“, hieß es schon Ende März in der Taz: „Sie soll über 26 Prozent ihrer Dissertation abgeschrieben haben.“ (1)  und die Stuttgarter Zeitung berichtete nur wenige Tage später: „Dem bei der Landtagswahl am 27. März direkt gewählten Waiblinger CDU-Abgeordneten Matthias Pröfrock wird vorgeworfen, in Teilen seiner juristischen Dissertation zahlreiche Textpassagen fremder Autoren ohne Kennzeichnung verwendet zu haben.“ (2) 

Wie zuvor schon bei Guttenberg ist es auch in diesen beiden Fällen die Internet-Community, die erste Verdachtsmomente erhärtet und die Resultate einer akribischen Spurensuche der Öffentlichkeit mitgeteilt hat. Hervorgetan hat sich in diesem Zusammenhang die Internetplattform VroniPlag Wiki (3), die nach derselben Methode arbeitet wie seinerzeit GuttenPlag Wiki.

Silvana Koch-Merin glänzte 2009 durch Abwesenheit im EU-Parlament und erwirtschaftete währenddessen Nebeneinkünfte. Nun steht die FDP- Vorzeigefrau unter Plagiatsverdacht.

Seit kurzem steht auch die prominente FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin unter Plagiatsverdacht. Die philosophische Fakultät der Universität Heidelberg war von besagter Internet-Plattform über Anhaltspunkte informiert worden, die Arbeit stamme in Teilen nicht von Koch-Mehrin. Die Universität nimmt die Vorwürfe so ernst, dass sie nun die Doktorarbeit der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments überprüfen will.

Die Europa-Politikerin der FDP soll auf mindestens 20 Seiten ihrer Arbeit „Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik“ abgekupfert haben. Koch-Mehrin selbst will sich nicht zu den Vorwürfen äußern, ließ sie ihren Sprecher aus Brüssel mitteilen.

Unterdessen muss Karl-Theodor zu Guttenberg nicht mehr damit rechnen, dass der Deutsche Bundestag gegen ihn einen Strafantrag stellen wird. Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert (CDU) sieht dafür keine Veranlassung. Eine nähere Begründung dafür gab er nicht. Für seine Dissertation soll zu Guttenberg den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages missbraucht haben. Der Bundestag ist als Rechteinhaber der Ausarbeitungen seines Wissenschaftlichen Dienstes berechtigt, bei möglichen Urheberrechtsverstößen einen Strafantrag zu stellen.

Aus dem Schneider ist der ehemalige Hoffnungsträger der Union damit aber noch nicht, denn nach Angaben der Berliner Zeitung will nun eine ungenannt bleibende Person aus den Reihen der Plagiats-Opfer Strafantrag gegen den Politiker stellen. Derzeit werde ein Strafantrag für die zuständige Staatsanwaltschaft Hof ausgearbeitet. (4) Bereits Anfang März waren 100 Strafanzeigen bei den Staatsanwaltschaften in Hof und Berlin gegen Guttenberg wegen möglicher betrügerischer Inanspruchnahme des wissenschaftlichen Dienstes und Urheberrechtsverletzungen eingegangen, berichtete die Süddeutsche Zeitung. (5)

„Man möchte gerne wissen, wie diese Arbeit zustande gekommen ist“, sagte der Liechtensteiner Politikwissenschaftler Wilfried Marxer, laut Berliner Zeitung ebenfalls ein Plagiats-Opfer. Er will nun wissen, ob Guttenberg einen Ghostwriter hatte: „Die Frage ist nur noch, ob er selbst plagiiert hat, oder ob er jemanden hat plagiieren lassen.“

Guttenbergs Anwälte wollen die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Uni Bayreuth verhindern. Sie berufen sich dabei auf die Persönlichkeitsrechte des Ex-Ministers. Ex-CSU-Chef Erwin Huber forderte seinen Parteifreund dagegen auf, auf rechtliche Winkelzüge zu verzichten. „Karl-Theodor sollte konstruktiv und ohne juristische Finessen an der restlosen Aufklärung aller Vorwürfe mitwirken“, sagte Huber am Dienstag Spiegel Online.

Die Uni Bayreuth räumte Guttenberg eine Erklärungsfrist bis zum 26. April ein, um sich zu den Ergebnissen der Untersuchungskommission zu äußern. Ein Sprecher der Institution forderte Guttenbergs Anwälte auf, ihre Vorbehalte gegen die Veröffentlichung der Ergebnisse zu überdenken.


(1) http://www.taz.de/1/zukunft/bildung/artikel/1/stoiber-tochter-hat-abschreiberitis/

(2) http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.dissertation-von-matthias-proefrock-es-wurde-durchgaengig-auf-vielen-seiten-abgeschrieben.0efd4bf9-2875-43e8-83b5-f0f8e48dc2d7.html

(3) http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Home

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(4) http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/340158/340159.php

(5) http://www.sueddeutsche.de/bayern/staatsanwaltschaften-hof-und-berlin-bereits-strafanzeigen-gegen-guttenberg-1.1067179

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