Proteste

US-Drohnenkrieg: „Ohne Ramstein geht’s nicht“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Die Friedensbewegung macht gegen den US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein mobil

Der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz steht ab dem heutigen Donnerstag im Mittelpunkt mehrtägiger Proteste, zu denen Vertreter der Friedensbewegung aus Deutschland und den USA aufgerufen haben. An der Kampagne „Stopp Ramstein“ beteiligen sich auch ein Dutzend lokale Initiativen.

Neben einem Protestcamp und zahlreichen Informationsveranstaltungen ist für Samstag eine Demonstration in Form einer zwölf Kilometer langen Menschenkette geplant, zu der die Veranstalter rund fünftausend Menschen erwarten. Die Auftaktkundgebung wird Oskar Lafontaine von der Linkspartei mit einer Rede einleiten.

Ramstein stehe, so die Organisatoren der Proteste, „für die Politik von Interventionen und Krieg, von Überwachung und Militarismus“. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Rolle des Stützpunkts bei den Kampfdrohnen-Einsätzen der USA, denen auch viele Zivilisten zum Opfer fallen.

„Von Ramstein gehen durch die weltweiten Drohneneinsätze tagtäglich Tod, Leid, Terror und Verderben aus. Drohnenkrieg ist Serienmord“, heißt es im Appell der Planungskonferenz der Protestkampagne. „Großes Ziel“ sei es, den Stützpunkt dichtzumachen: „Wir fordern die Bundesregierung auf, den Truppenstationierungsvertrag zu kündigen.“ (1)

Mit über vierzigtausend Mitarbeitern ist der Stützpunkt der größte US-Militärflugplatz außerhalb der USA. Seit 2011 dient Ramstein als koordinative Schnittstelle für Drohneneinsätze gegen mutmaßliche Terroristen in Afrika und Ländern wie Pakistan und dem Jemen.

Die Einbindung des Luftwaffenstützpunktes in das US-Drohnenprogramm wird jedoch seit Jahren von der Bundesregierung geleugnet – trotz umfangreicher Belege. (2) Dabei bedient sich Berlin auch gerne der Formel, wonach von Ramstein aus „ferngesteuerte Luftfahrzeuge weder geflogen noch befehligt“ würden. Das allerdings behauptet auch niemand.

Die Basis ist kein „launching point for unmanned drones“, also kein „Startpunkt“ für Drohneneinsätze, wie US-Präsident Barack Obama während seines Deutschland-Besuches 2013 beschwichtigend formulierte, um die wirkliche Bedeutung des Stützpunktes im Drohnenkrieg zu kaschieren – schließlich starten die Drohnen in Afrika, deren Piloten sitzen in den USA.

Ramstein spielt vielmehr eine wichtige Rolle bei der Koordinierung der Angriffe durch eine auf der Basis installierte Satelliten-Relais-Station mit der Bezeichnung SATCOM. Ohne diese „können Drohnen-Angriffe nicht durchgeführt werden“, wie es in einem internen Papier der US Air Force heißt. (3)

Die Haltung Berlins in dieser Frage fasste Die Zeit vor einem Jahr wie folgt zusammen: „‚Wir wissen von nichts.‘ – ‚Die Amerikaner haben uns gesagt, es sei alles in Ordnung.‘ Diese beiden Standardantworten erhält, wer die Bundesregierung danach fragt, ob sie am völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg der USA beteiligt sei. Seit Jahren wiederholen Ministeriale diese Sätze. Der erste ist eine Lüge, der zweite eine üble Ausrede.“ (4)

Dabei heißt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung: „Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab.“ Im Widerspruch dazu unterlässt es Berlin nicht nur, dem vom deutschen Boden mitgestalteten Drohnenspuk Einhalt zu gebieten. Stattdessen leisten deutsche Behörden – der Bundesnachrichtendienst, der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt – aktive Mithilfe bei der gezielten Tötung mutmaßlicher Terroristen, indem sie Handydaten von verdächtigen Personen an die US-Geheimdienste weiterleiten.

Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, dass gezielte Tötungen mithilfe dieser Daten nicht möglich sind. Vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages bekräftigte ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vor einer Woche diesen Standpunkt. Seine Behörde sei gar nicht in der Lage, Beihilfe zu tödlichen Drohneneinsätzen zu leisten, weil die an die US-Dienste weitergeleiteten Handydaten nicht geeignet seien, Personen präzise zu orten.

Whistleblower widersprechen Bundesregierung

Dabei handelt es sich offenkundig um eine Schutzbehauptung. „Wenn die deutsche Regierung eine Mobilfunknummer kennt und diese an die amerikanische Regierung weitergibt, ja, dann kann man das nutzen, um eine Person zu exekutieren“, hatte der ehemalige Drohnenpilot Brandon Bryant vergangenen Oktober gegenüber dem Ausschuss erklärt.

An den Kampfdrohnen sei ein sogenanntes „Gilgamesh“-System montiert, mit dessen Hilfe Mobiltelefone bis auf einen Meter genau geortet werden könnten, ähnlich wie bei einem Handymast. Bryant hatte als „Sensor Operator“ mehr als fünf Jahre für die US-Luftwaffe vom Boden der Vereinigten Staaten aus Kampfdrohnen gesteuert. Die Angriffe, an denen er beteiligt war, spielten sich nach seinen Angaben im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Somalia und im Jemen ab.

Aus Gewissensgründen verließ er das Militär und wandte sich an die Öffentlichkeit. Zusammen mit anderen Whistleblowern hatte er in einem Offenen Brief an Präsident Obama beklagt, die Drohneneinsätze wirkten aufgrund der häufigen Tötung unschuldiger Zivilisten wie ein „Rekrutierungsprogramm für Terroristen“. Diese Art der Kriegsführung sei „eine der verheerendsten Triebfedern des Terrorismus und der Destabilisierung weltweit“. (5)

Ramstein sei dabei „immer involviert“, erklärte Bryant gegenüber dem NSA-Ausschuss. „Alle Daten, jedes einzelne bisschen an Dateninformation, das übertragen wurde zwischen dem Flugzeug und der Mannschaft, das lief über den Luftwaffenstützpunkt Ramstein.“ Vertreter der Bundesregierung sollen von alldem gewusst haben. „Uns wurde gesagt, dass wir mit der Regierung zusammenarbeiten“, sagte Bryant.

Im Oktober wurde er mit dem Whistleblower-Preis 2015 ausgezeichnet, der von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der deutsche Sektion der internationalen Juristenorganisation IALANA vergeben wird. Anlässlich der Präsentation eines dieser Tage erschienenen Buches zur Preisverleihung* erklärte Ray McGovern am Mittwoch in Berlin: „Ohne Ramstein geht’s nicht mit dem Drohnenkrieg.“

McGovern arbeitete 27 Jahre als hochrangiger Analyst für die CIA. Gegen Ende seiner Karriere war er für die morgendliche Berichterstattung im Weißen Haus zuständig. Zu seinen Aufgaben gehörte die Mitarbeit an Dossiers wie dem National Intelligence Estimate und dem President‘s Daily Brief.

Heute ist er in der US-Friedensbewegung aktiv und will sich auch an den Protesten gegen die Ramstein-Basis beteiligen. Bereits im Mai vergangenen Jahres forderte der 76-jährige als Ko­Autor und Erstunterzeichner eines Offenen Briefes zahlreicher US-Friedensorganisationen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, die deutsche Beihilfe für das „illegale Drohnenprogramm“ zu beenden. (6)

Seiner langjährigen Erfahrung nach sei es völlig unglaubwürdig, wenn die Bundesregierung behaupte, keine Kenntnisse von den Vorgängen in Ramstein zu haben, sagte der CIA-Veteran während der Buch-Präsentation.

Der Mitherausgeber der Whistleblower-Enthüllungen, Dr. Dieter Deiseroth, trug dabei vor, dass die Bundesregierung „völkerrechtlich mitverantwortlich“ dafür sei, dass „mit der US-Airbase Ramstein deutsches Territorium in völkerrechtwidrige Attacken im Rahmen des globalen US-Drohnenkriegs einbezogen wird.“ Nach Ansicht des Bundesrichters a. D. könne sich Berlin „angesichts der zwischenzeitlich gut dokumentierten Vorgänge nicht auf Unkenntnis berufen“. Die Bundesregierung verstoße damit nicht nur gegen geltendes Völkerecht, sondern auch gegen das Grundgesetz.

„Die deutsche Verfassung verbietet, dass deutsche Hoheitsträger völkerrechtswidrige Handlungen oder Zustände auf oder über deutschem Hoheitsgebiet dulden oder gar unterstützen.“ Etwaige politische Überlegungen, „die guten Beziehungen zur Hegemonialmacht des NATO-Bündnisses nicht stören zu wollen, vermögen eigene Verfassungs- und Völkerrechtsbrüche nicht zu rechtfertigen“ , erklärte Deiseroth.

Nicht alle Juristen in Deutschland teilen diese Auffassung. Vor sechs Wochen wies das Verwaltungsgericht Köln die Klage eines Somaliers ab, dessen Vater, ein 50-jähriger Kamelhirte, bei einem Drohnenangriff am 24. Februar 2012 ums Leben gekommen war. Der Luftschlag galt eigentlich der islamistischen Al-Shabaab-Miliz. Der Sohn argumentierte, die Bundesrepublik habe ihre Schutzpflichten aus dem Grundgesetz verletzt, indem sie den USA die Nutzung des Stützpunkts in Ramstein ermöglicht habe, und treffe daher eine Mitschuld.

Das Gericht folgte dem nicht. Zwar sei der Vater unstrittig kein Terrorist gewesen und aufgrund unglücklicher Umstände zum tragischen zivilen Opfer geworden, doch die Bundesrepublik sei dafür nicht verantwortlich zu machen. Die Überlassung von Einrichtungen an die US-Streitkräfte könne für sich genommen kein Schutzrecht des Somaliers verletzen.

(mit dpa)

* Whistleblower-Enthüllungen, Dieter Deiseroth und Hartmut Graßl (Hrsg.), Berliner Wissenschaftsverlag, ISBN 978-3-8305-3641-3

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Anmerkungen

(1) http://www.ramstein-kampagne.eu/2016/05/appell-der-planungskonferenz-stopp-ramstein/
(2) Siehe dazu: https://netzpolitik.org/2015/die-nutzung-der-us-basis-ramstein-als-relais-station-fuer-toedliche-drohnenangriffe-eine-faktensammlung/
(3) Siehe dazu ARD-Panorama vom 30. Mai 2013, http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2013/ramstein109.html
(4) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-04/drohnen-krieg-ramstein-toetung-bundesregierung
(5) https://assets.documentcloud.org/documents/2515596/final-drone-letter.pdf
(6) http://news.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Offener_Brief_Angela_Merkel.pdf

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