EU-Politik

Abhörskandal um eine Facette reicher

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Von REDAKTION, 17. Juni 2013 –

Während sich die britische Regierung zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – dem gegenwärtig in Nordirland tagenden G8-Gipfel – dafür rechtfertigen muss, Teilnehmer des G20-Gipfels 2009 ausgespäht zu haben, zieht die Bundesregierung ihre ganz eigenen Konsequenzen aus dem US-Abhörskandal. Sie will künftig die Überwachung des Internets durch deutsche Geheimdienste massiv ausweiten.

Eine Spitzelaffäre des britischen Geheimdienstes belastet den G8-Gipfel von Nordirland. Der britische Nachrichtendienst Government Communications Headquarters (GCHQ) soll 2009 im Zuge des G20-Gipfels in London unter anderem Delegationen Verbündeter wie Südafrika und Türkei ausgespäht haben, berichtete der Guardian. Er stützt sich dabei auf Datensätze des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. (1)

Bis zum Dienstag treffen sich am Lough Erne in Nordirland wieder unter britischer Präsidentschaft die Staats- und Regierungschefs der führenden Industriestaaten und Russlands (G8). Von der Downing Street hieß es am Montag, man äußere sich grundsätzlich nicht zu Sicherheitsfragen.

London gerät damit in der Affäre um die Snowden-Enthüllungen weiter in die Defensive. In den vergangenen Wochen hatten sich sowohl Premierminister Cameron als auch Außenminister William Hague ausgesprochen wortkarg zu Vorwürfen geäußert, der britische Geheimdienst habe vom befreundeten US-Dienst NSA Informationen über britische Bürger erhalten und dabei geltende Gesetze umgangen. Alles sei im Rahmen der Gesetze verlaufen, zu Einzelheiten könne man sich nicht äußern, hieß es von beiden.

Dem Bericht zufolge sollen die britischen Schlapphüte 2009 Computer von G20-Teilnehmern überwacht und Telefonanrufe abgehört haben. Einige Delegationen seien auch dazu gebracht worden, Internetcafés zu nutzen, die zuvor eigens vom Geheimdienst eingerichtet worden waren.

Die dortigen Computer waren präpariert und mit sogenannten Keyloggern versehen. Das sind verdeckte Programmen, die Tastatur-Eingaben speichern. So habe man den E-Mail-Verkehr überwachen und Passwörter erbeuten können.

Rund 45 Analysten sollen rund um die Uhr darüber informiert gewesen sein, wer mit wem telefonierte. Unter anderem sollen sie sich dafür sowie zur Überwachung von E-Mails Zugang auf die mobilen BlackBerry-Telefone der Delegationsmitglieder verschafft haben. Am Ende der Operation wurde laut Guardian in einer internen Überprüfung der Aktion deren Erfolg gelobt. Bescheid gewusst haben soll unter anderem der damalige Premierminister Gordon Brown.

Die so gesammelten Informationen seien unverzüglich der britischen Delegation weitergeleitet worden. Auf diese Weise sollte offenbar ein Wissensvorsprung für die Verhandlungen erzielt werden.

Ziele von Spähattacken seien auch Delegationen langjähriger Verbündeter wie Südafrika oder der Türkei gewesen. Aber auch die Kommunikation des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und seiner Delegation sei ins Visier geraten.

Bundesregierung will Überwachung massiv ausweiten

Nicht nur unter den Gipfel-Teilnehmern sorgt der von Edward Snowden ausgelöste Abhörskandal für Gesprächsstoff. Der 29-jährige US-Bürger hatte enthüllt, dass der US-Geheimdienst NSA mit dem Programm „PRISM“ weltweit Daten über Internetnutzer bei Unternehmen wie Google, Facebook, Apple und Yahoo sammelt. Kanzlerin Angela Merkel will den Abhörskandal bei ihrem Treffen mit US-Präsident Barack Obama am Mittwoch in Berlin ansprechen.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, verurteilte das gezielte Ausspähen ausländischer Telefon- und Internetnutzer durch US-Geheimdienste. „Das können wir nicht akzeptieren. Wir sind nicht Objekte der Willkür amerikanischer Geheimdienste“, sagte der FDP-Politiker der Frankfurter Rundschau mit Blick auf das US-Programm „Prism“.

Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte Merkel auf, der US-Regierung klar zu machen, dass eine Totalüberwachung deutscher Bundesbürger durch US-Geheimdienste völlig unangemessen sei. „Ich erwarte jetzt, dass die beiden Regierungen sich darüber verständigen, dass die Kontrolle des innerdeutschen E-Mail-Verkehrs keine Angelegenheit der US-Geheimdienste ist“, sagte er am Montag im ARD-Morgenmagazin.

Dem von ihr eingeforderten Handlungsbedarf will die Bundesregierung auf ganz eigentümliche Weise nachkommen, indem sie die Totalüberwachung nicht länger den US-Geheimdiensten überlässt. Laut einem Bericht des Spiegel will sie die Überwachung des Internets trotz der weltweiten Empörung über die amerikanische Datenspionage massiv ausweiten. Dazu hat der Bundesnachrichtendienst (BND) ein 100-Millionen-Euro-Programm aufgelegt, aus dem bis zu 100 neue Mitarbeiter und weitere Computerkapazitäten finanziert werden sollen. Die FDP, Grüne und Linke reagierten empört.

Mit den neuen Kapazitäten will der BND dem Bericht zufolge ähnlich wie die NSA sicherstellen, dass der grenzüberschreitende Datenverkehr möglichst umfassend überwacht werden kann. In einer ersten Tranche habe die Bundesregierung bereits fünf Millionen Euro freigegeben. Im Gesetz ist festgelegt, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst bis zu 20 Prozent der Kommunikation zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland auf verdächtige Inhalte prüfen darf.

„Die FDP-Fraktion erwartet intelligente Lösungen, um tatsächlichen Gefahren zu begegnen, nicht massenhafte Datensammlungen, die jeden unter Generalverdacht stellen“, erklärte Innenexpertin Gisela Piltz. Die Grünen sprachen von einem Ablenkungsmanöver. Der Linke-Politiker Jan Korte erklärte: „Die Kanzlerin kann sich jedes Wort an Präsident Obama zum riesigen Überwachungsskandal durch die NSA sparen, wenn gleichzeitig der BND in dieselbe Richtung marschieren will.“

Innenminister Hans-Peter Friedrich rechtfertigte die Netzüberwachung. Der Staat müsse dafür sorgen, „dass wir Kontrollverluste über die Kommunikation von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische Mittel ausgleichen“, sagte der CSU-Politiker dem Spiegel.

Es ist aber vor allem die Kommunikation unbescholtener Bürger, gegen die sich die Kontrollmaßnahmen richten. Wie aus einem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages hervorgeht, der Anfang April bekannt wurde, hat der Bundesnachrichtendienst 2011 fast 2,9 Millionen E-Mails und SMS wegen des Verdachts auf Terrorismus, Waffen- oder Menschenhandel überprüft. In nur 290 Fällen, also einem von zehntausend, stieß er dabei auf „nachrichtendienstlich relevantes Material“.

Während er sich für eine intensivere Überwachung der Bevölkerung durch deutsche Dienste einsetzt, nimmt Innenminister Friedrich zugleich die USA vor Kritik aus Deutschland in Schutz: „So geht man nicht mit Freunden um, die im Kampf gegen den Terrorismus unsere wichtigsten Partner sind“, sagte er der Welt am Sonntag.

Anmerkungen

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(1) Siehe: http://www.hintergrund.de/201306072612/politik/welt/totalueberwachung-gestern-verschwoerungstheorie-heute-realitaet.html

http://www.hintergrund.de/201306112623/politik/welt/nsa-skandal-big-brother-in-erklaerungsnoeten.html

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