Weltpolitik

Beginn der "neuen Ära"

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Der türkische Premier Tayyip Erdogan hat sich zum Präsidenten wählen lassen. Für diejenigen, die ihn nicht unterstützen, dürften damit noch bedrückendere Zeiten anbrechen –

Von THOMAS EIPELDAUER, 11. August 2014 –

Recep Tayyip Erdoğan ist der 12. Präsident der Türkei. Am gestrigen Sonntag setzte er sich bereits im ersten Wahldurchgang gegen seine beiden Konkurrenten durch und erreichte 51,8 Prozent der Stimmen. Der Kandidat der stärksten Oppositionspartei, der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, Ekmeleddin İhsanoğlu, kam auf 38,5 Prozent. Einen Achtungserfolg konnte Selahattin Demirtaş erzielen, der für die aus einem Zusammenschluss von kurdischen und türkischen Linkskräften entstandene Demokratische Volkspartei (HDP) antrat. Er kam auf 9,8 Prozent. (1) Die Wahlbeteiligung war mit etwa 73 Prozent gemessen an der Bedeutung der Wahl äußerst niedrig.

In der traditionellen “Balkon-Rede” nach Bekanntwerden des Ergebnisses, betonte Erdoğan, dass nun eine “neue Ära” für die Türkei begonnen habe. Die bisherigen Amtsinhaber füllten vor allem repräsentative Funktionen aus. Als “starker Mann” galt der Premierminister, also in den vergangenen 12 Jahren Recep Tayyip Erdoğan. Dieser wird sich kaum auf eine dermaßen bescheidene Rolle beschränken lassen. Zumal er sich besondere Legitimation dadurch erhofft, dass es sich um die ersten Direktwahlen des Präsidenten in der Türkei handelt.

Desaster für die Opposition

Insgesamt zeichnet sich damit ein weiteres Mal ab, dass trotz aller Korruptionsvorwürfe, Polizeibrutalität und Skandale das Lager Tayyip  Erdoğans nicht kleiner wird. Dutzende geleakte Aufnahmen von Gesprächen hochrangiger Funktionäre der Regierungspartei AKP haben in den vergangenen Monaten schwere Straftaten des Premiers und seines Umfelds an die Öffentlichkeit gebracht. Dazu kam die Katastrophe von Soma,, bei der wegen der Arbeitsbedingungen in einer Kohlegrube über 300 Menschen ihr Leben verloren, die aggressive Politik gegenüber Syrien, weitere Tote aufgrund von Polizeigewalt bei Protesten und rassistische Kommentare des Premiers, zuletzt gegen Armenier.

All das hat offenbar aber nicht gereicht. Die größte Oppositionspartei CHP hatte sich entschieden als Zugeständnis an das nach mehr als einem Jahrzehnt des Islamisierungskurses der AKP veränderte Klima in der Türkei einen Kandidaten aufzustellen, der selbst aus dem islamisch-konservativen Milieu stammte. Die Rechnung gibt aber nicht auf. Größere Wählergruppen der AKP wechselten nicht das Lager, im Gegenteil, eher verlor die CHP einen Teil ihrer Stammwählerschaft etwa aus der alevitischen Gemeinde, die weder viel mit Ekmeleddin İhsanoğlu anfangen konnten, noch davon begeistert waren, dass der Kandidat zusammen mit der rechtsnationalistischen MHP aufgestellt wurde. “Wer wirklich verloren hat bei dieser Wahl, ist das Bedürfnis nach klarer und ehrlicher Politik und das Bestreben nach einer wahrhaften Demokratie.”

Achtungserfolg für Linke

An dem Gesamtbild einer Niederlage für die Gegner Tayyip Erdoğans ändert es zwar wenig, aber der Kandidat der linken HDP kann zumindest für sich verbuchen, die Erwartungen vieler Beobachter übertroffen zu haben. In den mehrheitlich kurdischen Gebieten, den Hochburgen der HDP, kam er durchweg auf gute Ergebnisse: In Amed und Batman erreichte Demirtas über 60 Prozent der Stimmen, in Städten wie Varto, Cizre oder Uludere gar über 80, in Lice, wo vor kurzem militante Proteste gegen den Neubau von Polizei- und Militärbasen stattfanden, über 90 Prozent.

Demirtas, der im Wahlkampf vor allem damit warb, den von der AKP-Regierung Ausgegrenzten eine Stimme geben zu wollen, kommentierte sein Abschneiden: “Wir haben gesehen, dass die Prinzipien, für die wir stehen, in der Gesellschaft Anklang finden. Wir werden damit weiter machen, uns in der Gesellschaft zu verankern.”

Konsolidierung der Macht

Erdogan indessen wird den nach den Kommunalwahlen Ende März zweiten bedeutenden Wahlsieg dieses Jahr zum Ausbau seiner Machtgrundlage nutzen. Schon zuvor sind unliebsame Personen aus Verwaltung, Justiz und Polizei entfernt worden, die außerparlamentarische Opposition wird brutal unterdrückt.

Die Zeit Erdogans als Premier war abgelaufen, ein weiteres Mal hätte er nicht kandidieren dürfen. Der Wechsel ins Präsidialamt ermöglicht ihm, den von ihm begonnenen neo-osmanischen neoliberal-autoritären Kurs mit anderen Mitteln fortzusetzen. Offenkundig plant Erdogan eine Veränderung des gesamte Koordinatensystems der türkischen Demokratie und will sie zu einer Art Präsidialsystem umbauen. “Die Türkei wird zum Staate Erdoğan und es gibt keinerlei Anzeichen, dass er in seiner Machtausübung auf irgendetwas oder irgendwen Rücksicht nehmen würde”, kommentiert Lenz Jacobsen in der Zeit.

Wichtig wird dafür allerdings auch sein, wie die für 2015 geplanten Parlamentswahlen ausgehen werden. Sollte der Opposition keine tragfähige Strategie einfallen, den Einfluss der AKP zu verkleinern, wird sich das politische System der Türkei in den kommenden Jahren sicher rasant verändern.

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