Weltpolitik

Erdogans willige Helfer

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Die Bundesregierung kritisiert die Polizeigewalt gegen die Massenproteste in der Türkei – die polizeiliche Kooperation mit den Verantwortlichen aber verschweigt sie –

Von THOMAS EIPELDAUER, 3. Juli 2013 –

Angela Merkel war verärgert. Sie habe „schreckliche Bilder“ aus der Türkei gesehen, verriet sie RTL-Aktuell am 16. Juni. „Schreckliche Bilder“, die ihr zeigten, dass der Polizeieinsatz gegen die Massenproteste in allen Großstädten des Landes „doch viel zu hart“ sei. Bundespräsident Joachim Gauck griff gar zum Telefonhörer und wies seinen türkischen Amtskollegen Abdullah Gül auf die „exzessive Gewalt“ hin, ganz so, als hätte dieser sie noch nicht bemerkt. Auch Außenminister Guido Westerwelle schlug die Brutalität aufs Gemüt: „Die türkische Regierung sendet mit ihrer bisherigen Reaktion auf die Proteste das falsche Signal, ins eigene Land und auch nach Europa“, wusste der FDP-Politiker schon Mitte Mai. „Wir erwarten, dass Ministerpräsident Erdogan im Geiste europäischer Werte deeskaliert und einen konstruktiven Austausch und friedlichen Dialog einleitet.“

Gesagt, getan. Am 26. Juni 2013 drangen friedlich und deeskalierend deutsche Beamte auf Geheiß der Bundesanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaften Hamburg und Düsseldorf in zwanzig Räume der Anatolischen Föderation, einem in Opposition zur türkischen Regierung stehenden Dachverband von Migrantenvereinen, ein und nahmen fünf Menschen, darunter die Vorsitzende des Verbandes Latife A., fest. Grundlage dieser offenkundigen Amtshilfe für Erdogan war der Gummiparagraph 129 b. (Unterstützung einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung), der von zahlreichen kritischen Juristen, Menschenrechtsinitiativen und linken Organisationen als Instrument der Gesinnungsjustiz abgelehnt wird.

Dementsprechend werden den Beschuldigten – abgesehen von den Aussagen eines dubiosen V-Mannes – auch keinerlei Straftaten vorgeworfen, sondern allein der Umstand, dass sie Solidaritätsveranstaltungen für die Bewegung in der Türkei, Konzerte der populären türkischen Musikgruppe Grup Yorum oder Symposien organisiert haben sollen.

Die Verfolgung türkischer und kurdischer Oppositioneller in Deutschland hat eine lange Tradition. Seit Jahren hilft der deutsche Staat dem türkischen fleißig bei der Inhaftierung vermeintlicher oder tatsächlicher kurdischer Aktivisten und unterstützt damit direkt den Krieg, den Ankara seit Jahrzehnten gegen die eigene Bevölkerung führt und der über die Jahre Zehntausende Menschenleben kostete.

Bei Prozessen gegen angebliche Mitglieder verbotener Organisationen wie der marxistischen DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi, auf Deutsch: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) greift der Staat dabei auch gerne auf Beweismaterialien aus der Türkei zurück, ungeachtet des Umstandes, dass es ein offenes Geheimnis ist, wie derartige „Beweise“ und „Geständnisse“ zustande kommen. Ulrich von Klinggräff, einer der Verteidiger in einem größeren Prozess wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigter türkischer Aktivisten, beschrieb das Vorgehen im Februar 2009 so: „Wir haben zahlreiche konkrete Anhaltspunkte vorgetragen, dass Aussagen von Beschuldigten und Zeugen in der Türkei unter massiver Anwendung von Folter erpresst wurden. Die Bundesanwaltschaft versucht, entsprechende Hinweise zu leugnen und zu vertuschen. Sie macht sich so zum Komplizen der türkischen Folterpolitik.“ (1)

Schlagstocktraining für den Mob

Berlins Unterstützung der autoritären Politik türkischer Regierungen – auch vor dem Beginn der Ministerpräsidentschaft Tayyip Erdogans vor zehn Jahren –, die auf oppositionelle oder widerständige Aktivitäten stets mit blanker Gewalt zu reagieren gewohnt waren, beschränkt sich aber bei Weitem nicht auf die Verhaftung linker und kurdischer Aktivisten in Deutschland.

Eine kürzlich veröffentlichte Kleine Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider (Die Linke) in Hamburg zeigt, dass und wie deutsche Behörden in die Ausbildung türkischer Polizeieinheiten eingebunden sind. Zahlreiche Besuche von türkischen Polizeidelegationen in Hamburg und umgekehrt dokumentiert die Antwort des Senats auf die Anfrage. Unter anderem ist eine Hamburger Delegation im Jahr 2010 in die Türkei gereist, um die „Einsatzlagen anlässlich der Newroz-Feierlichkeiten“ zu beobachten, also jener kurdischen Neujahrsfeiern, bei denen es regelmäßig zu Militär- und Polizeieinsätzen gegen friedliche Festteilnehmer kommt.

„Wesentliches Ziel“ dieses Austausches sei „die Erlangung von EU-Standards bei der polizeilichen Arbeit am Beispiel der deutschen Sicherheitsbehörden auf der Grundlage der nationalen Bedingungen in der Türkei.“ Auch die „Arbeitsweise der Hamburger Polizei bei der Bewältigung von Einsätzen, insbesondere bei Demonstrationen und Sportveranstaltungen, die Gestaltung der internen und externen Öffentlichkeitsarbeit sowie die Ausstattung der Bereitschaftspolizei mit Führungs- und Einsatzmitteln“ werde den Kollegen vom Bosporus vorgestellt. Wie man in Ankara und Istanbul die in Hamburg präsentierte „Schießfortbildung“, die „Vorstellung des Mehrzweckeinsatzstockes“ und die „Vorstellung des Einsatzkonzeptes (…) bei der Auflösung von Sitzblockaden“ auf die „nationalen Bedingungen in der Türkei“ applizierte, dokumentieren Tausende in den letzten Wochen teils schwer verletzte Demonstranten. „Hamburg bildet türkische Prügel-Polizei aus“, kommentierte die Linksfraktion der Hansestadt in einer Presseaussendung. (2)

Auch in Bremen gibt es eine gut dokumentierte Zusammenarbeit mit den Repressionsbehörden jenes Staates, den die Bundesregierung derzeit so entschlossen kritisiert. In einer Aussendung weist die Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft darauf hin, dass 2004 eine Polizei-Kooperationsvereinbarung mit Izmir unterzeichnet worden war, die zuletzt – und trotz bekannter Verstöße gegen Menschen- und Grundrechte – i m Oktober 2012 verlängert wurde. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner, parteiloser Innendeputierter und Teilnehmer der Delegationsreise nach Izmir im Jahr 2009, und Cindi Tuncel, europa- und menschenrechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, fordern eine sofortige Einstellung dieser Zusammenarbeit: „Bremen sollte lieber praktische Solidarität mit der Demokratiebewegung zeigen statt nicht-zivile Projekte mit der Partnerstadt Izmir zu fördern. Schwierig finde ich vor allem den Einsatz Bremer PolizistInnen in der Türkei: Solange nicht absehbar ist, wohin sich die Türkei und das AKP-Regime entwickeln, sollte Bremen die türkische Polizei nicht unterstützen. Die grauenhaften Bilder aus vielen türkischen Städten zeigen Polizeikräfte, die als marodierender Mob agieren. Eine Fortführung der Kooperation ist deshalb indiskutabel“, so Cindi Tuncel.

„Echte Chance“

Am 1. September 2011 begann zudem ein sogenanntes Twinning-Projekt unter dem hübschen Titel „Implementation Capacity of Turkish Police to Prevent Disproportionate Use of Force“ („Implementierung eines Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die Verhinderung unangemessener Gewaltanwendung“). „Twinning“-Projekte sollen EU-Beitrittskandidaten beim Auf- und Ausbau öffentlicher Strukturen unterstützen, in diesem Fall sollen die Fähigkeiten der türkischen Polizei auf den neuesten europäischen Stand gebracht werden. Beteiligt sind in diesem Fall die Republik Österreich als Seniorpartner und das Bundeskriminalamt für die Bundesrepublik Deutschland, allerdings unterstützt von anderen Institutionen wie etwa der Hessischen Polizeiakademie. Euphorisch bilanziert letztere im Mai 2012: „Die türkische Polizei sieht das Projekt als echte Chance, sich zu einer Polizei im westeuropäischen Verständnis zu verändern. (…) Schon jetzt steht fest, dass die Teilnahme an diesem Projekt einen Gewinn an Erfahrung für alle Experten darstellt und es der Polizeiakademie Hessen hilft, sich hinsichtlich ihrer Internationalität zu professionalisieren.“ (4)

Wie das ebenfalls beteiligte Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte berichtet, begann die heiße Phase der Polizei-Kooperation im Mai 2013. Diese beschreibt das Österreichische Außenministerium so: „Ziel des Projektes ist es, europäische Menschenrechtsstandards in Bezug auf die verhältnismäßige Anwendung von Zwangsgewalt in der Polizeiarbeit gemeinsam mit der türkischen Polizei zu entwickeln.“

Dieses Ziel dürfte die türkische Polizei sogar übererfüllt haben: Die in den ersten zwanzig Tagen nach dem Beginn der Massenproteste verbrauchten 130 000 Tränengasgranaten dürften selbst die Tränengasorgien der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras in Athen toppen, der in den Jahren seit 2008 das Spardiktat aus Berlin und Brüssel gegen die griechische Bevölkerung durchprügeln ließ.

Tränengas und Wasserwerfer Made in Germany

Damit die „verhältnismäßige Anwendung von Zwangsgewalt“ auch klappt, versorgen Hersteller aus der Bundesrepublik mit Genehmigung aus Berlin die türkischen Behörden mit allerlei schönen Sachen. Aus einer von Inge Höger (Die Linke) am heutigen Mittwoch veröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage geht hervor, dass in den Jahren 2009 bis 2013 Tränengas, „Ausbringungsgeräte einer chemischen Substanz“ und Pfefferspray in die Türkei exportiert wurden. Von welchen Herstellern, das fällt selbstredend in einer transparenten Marktwirtschaft in den Bereich der Geheimhaltung. (5)  

Die neben Tränengas wirksamste Waffe der türkischen Polizei gegen die Demokratiebewegung, der Wasserwerfer, hat, wie könnte es anders sein, ebenfalls deutsche Wurzeln. Zwar wird er von dem türkischen Hersteller Katmerciler hergestellt, die Komponenten stammen aber allesamt aus Deutschland: Das „Anti-Riot-Vehicle“ wird angetrieben von einem Deutz-Motor, die Karosserie stammt von Mercedes Benz. Nur die Wasserpumpe steuert ein anderes EU-Land, nämlich Schweden, bei, sie stammt aus der Produktion von W. Ruberg AB.

Und für den Fall, dass Wasserwerfer und Tränengas doch nicht mehr ausreichen sollten, kann die türkische Regierung auf ein weiteres deutsches Exportgut zurückgreifen: Leopard-Panzer, für die bereits die rot-grüne Regierung die Exportgenehmigung erteilt hatte. (7) Die mutige Widerstandskämpferin vom Taksim-Platz Claudia Roth (Die Grünen) kann sich glücklich schätzen, nicht mit diesem Ausfuhrgut ihrer Partei Bekanntschaft gemacht zu haben.  

Tausende Verletzte, mindestens fünf Tote, Dutzende erblindete Personen, Dutzende mit schwerem Schädelhirntraumata, ein 14-jähriger Junge im Koma, nachdem ihn eine Tränengasgranate am Kopf traf – das ist die Bilanz, auf die man nun auch in Berlin stolz zurückblicken kann, denn man hat mit Exporten und Polizeikooperationen einen gebührenden Teil dazu beigetragen. Allerdings, so stellt man auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage Inge Högers klar: „Zur exportkontrollpolitischen Bewertung der Daten weist die Bundesrepublik darauf hin, dass die aufgeführten Anträge keinen Rückschluss auf eine Verwendungsmöglichkeit oder die tatsächliche Verwendung der Produkte zur Bekämpfung von Ausschreitungen und Unruhen erlauben.“ Woher soll man auch ahnen, was die mit Tränengas und Wasserwerfern dort anstellen?  
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Anmerkungen

(1) http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/?p=279

(2) http://www.linksfraktion-hamburg.de/fraktion/abgeordnete/christiane_schneider/detail/zurueck/christiane-schneider-1/artikel/hamburg-bildet-tuerkische-pruegel-polizei-aus/

(3) http://www.linksfraktion-bremen.de/nc/buergerschaft/aktuell/detail/zurueck/aktuell-2/artikel/cindi-tuncel-und-rolf-goessner-fordern-aussetzung-der-polizeikooperation-zwischen-bremen-und-izmir/

(4) http://www.polizei.hessen.de/icc/internetzentral/nav/9de/9de40f28-1e20-e801-a468-451edad490cf&uCon=2e2709fd-a5a8-4731-7f93-3c76ef798e7b&uTem=bff71055-bb1d-50f1-2860-72700266cb59.htm

(5) http://www.inge-hoeger.de/fileadmin/lcmsingehoeger/130703%20Antwort%20Tr%C3%A4nengas%20T%C3%BCrkei.pdf

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(6) http://www.katmerciler.com.tr/L/EN/mid/343/g/343/c/31/id/21/Anti-Riot-Vehicle.htm

(7) http://www.isw-muenchen.de/download/waffenexporte-wl-20130323.pdf

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