Weltpolitik

Phrasen im Gepäck: De Maizière in Mali

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SEBASTIAN RANGE, 18. März 2013 –

Verteidigungsminister Thomas de Maizière trifft am heutigen Montag zum ersten Mal zu einem Besuch in dem westafrikanischen Krisenland Mali ein. In der Hauptstadt Bamako steht zunächst ein Gespräch mit dem Übergangspräsidenten Dioncounda Traoré auf dem Programm. Am Nachmittag will de Maizière in die Stadt Koulikoro weiterreisen, wo sich die Bundeswehr ab April an einer Ausbildungsmission der Europäischen Union für Malis Streitkräfte beteiligt. Insgesamt stellt Deutschland für den Einsatz bis zu 330 Soldaten zur Verfügung.

Die Kleinstadt Koulikoro liegt außerhalb der gegenwärtigen Kampfgebiete, etwa 60 Kilometer von der Hauptstadt Bamako entfernt. Die Bundeswehr soll vor allem bei der Ausbildung von Pionieren für die malische Armee helfen. Außerdem baut sie in Koulikoro ein Feldlazarett auf.

In Mali kämpfen französische Truppen seit Beginn des Jahres mit Unterstützung afrikanischer Einheiten gegen Kämpfer aus dem islamistischen Spektrum, die im Norden des Landes große Teile unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die Bundeswehr leistet mit vier Flugzeugen bereits logistische Unterstützung. Dazu sind im Nachbarland Senegal derzeit etwa 90 deutsche Soldaten stationiert.

Bei einem Zwischenstopp in Senegals Hauptstadt Dakar äußerte de Maizière am Sonntagabend die Einschätzung, dass die EU-Mission länger dauern wird als die bislang geplanten 15 Monate. „Ich verhehle nicht, dass ich zu Geduld mahne“, sagte der CDU-Politiker. „Man kann nicht sehr komplizierte und schwierige malische Streitkräfte in zwölf bis 15 Monaten so in den Stand setzen, dass sie für die Sicherheit im eigenen Land sorgen.“

Fraglich ist, wer für die Sicherheit in der Zwischenzeit sorgen soll, wenn Frankreich wie angekündigt seine Truppen im April sukzessive abzieht. Dominique Moisi, führender Berater des renommierten Französischen Institut für internationale Beziehungen (IFRI), ist sich sicher, wer dazu nicht in der Lage sein wird: „Es gibt keine afrikanische Armee die in der Lage wäre, die französischen Kräfte zu ersetzen. Das ist ohne jeden Zweifel die Achillesferse der französischen Intervention.“ (1)

Dabei kann auch gegenwärtig nicht von einer stabilen und sicheren Lage gesprochen werden, selbst in den Gebieten, aus denen die „islamistischen Rebellen“ vertrieben worden sind. Vor allem Angehörige bestimmter ethnischer Minderheiten sind dort Vergeltungsmaßnahmen der malischen Truppen ausgesetzt. Insbesondere Tuareg, Araber und Fulani sind laut Aussage der stellvertretenden UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Kyung-Wha Kang, betroffen. Die UN spricht von „ernsthaften Menschenrechtsverletzungen in den zurückeroberten Gebieten“. (2)

Mali: Afghanistan reloaded?

Die Spirale der Gewalt wurde mit der französischen Intervention nicht durchbrochen, sondern erreichte vielmehr eine höhere Stufe. Was als Aufstand eines Teils der Tuareg begann, die der separatistischen Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MLNA) angehören und im Norden Malis einen eigenen Staat ausriefen, entwickelt sich zunehmend zu einem internationalen Konflikt.

Dafür spricht allein, dass die Reihen der islamistischen Kräfte, die der Vorherrschaft der MLNA ein Ende bereitet hatten, zunehmend Zulauf aus dem Ausland erhalten. (3) Neben Syrien – wo der Westen dieselben Leute bewaffnet und unterstützt, die er in Mali vorgibt zu bekämpfen – ist Mali gegenwärtig zu einem Magneten für die internationale Dschihadisten-Bewegung geworden.

Der dortige Krieg destabilisiert bereits jetzt die Nachbarstaaten – und ist selbst Folge der Destabilisierung des libyschen Nachbarstaates durch die westliche Militärintervention. Nach dem Sturz Gaddafis gingen die mit ihm verbündeten Tuareg-Kämpfer zurück nach Mali, übernahmen im Norden des Landes die Kontrolle und riefen den Staat „Azawad“ aus.

Der dadurch ausgelöste Zerfall Malis soll durch die militärische Intervention verhindert beziehungsweise umgekehrt werden. „Die Folgen der Intervention (in Libyen) sollen mit der Intervention (in Mali) bekämpft werden“, schreibt der Autor Harald Neuber bei Telepolis. „Dabei mehren sich schon jetzt die Anzeichen für einen bellizistischen Dominoeffekt, eine Ausweitung der Krise auf weitere Staaten der Region also.“ (4)

Die Waghalsigkeit der europäischen Interventionspolitik ist durch die fehlende Exit-Strategie gekennzeichnet – trotz der Beteuerungen Frankreichs, bald mit dem Abzug zu beginnen. Auch dem deutschen Einsatz in Mali haftet dieser Mangel an. Wenn Verteidigungsminister de Maizière „nicht verhehlen“ will, dass er „zu Geduld mahne“, heißt das im Klartext: Wir wissen, wann und wie wir reinkommen, aber nicht, wann und wie wir wieder rauskommen.

„Wenn die Islamisten in der Lage sind, sich zu bewegen, sich zu verstecken, wird es ein endloser Krieg werden – wie in Afghanistan,“ zitiert die Nachrichtenagentur Reuters einen westlichen Sicherheitsexperten. (5)

Bedenken, die auch vom Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, Tilmann Brück, geteilt werden. „Mali ist das neue Afghanistan, wenn wir nicht sehr schnell unsere Politik und unsere Einstellung zu diesem Fall ändern. Es droht die Gefahr, in dieselbe Falle wie in Afghanistan zu laufen“, so Brück. (6)

Die Beteuerungen von Regierungsmitgliedern, deutsche Soldaten würden in Mali nicht in Kampfeinsätze verwickelt werden, sieht auch der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat kritisch: „Es ist zweifelhaft, ob die malische Armee überhaupt in der Lage ist, den Norden zurückzuerobern. Und es ist möglich, dass sie sich dann umdrehen, wenn wir dort bereits involviert sind, und wir dann aufgefordert werden, uns aktiv in die Kampfhandlungen einzuschalten.“ (7)

Offenbar wurden keine Konsequenzen aus dem Afghanistan-Einsatz gezogen, der auch ohne eine entsprechende Exit-Strategie begonnen wurde. Auf das besondere Dilemma im Falle Malis macht der ehemalige tunesische Diplomat und Minister für Kommunikation, Oussama Romdhani, aufmerksam. „Anders als in Afghanistan, werden sie (die Franzosen, Anm. d. Red.) nicht in der Lage sein, sich aus Mali zurückzuziehen, sobald die Lage dort kompliziert wird. (…) Die Franzosen müssen mit der Tatsache leben, dass sie im gegenwärtigen Krieg ein unentbehrlicher Akteur sind.“ (8)

Frankreichs Wirtschaftsinteressen in Mali – vor allem an Uran, Öl und Seltenen Erden – verweisen auf ein Kernproblem des Konfliktes: Mali ist reich an Rohstoffen, während die große Mehrheit der Gesellschaft bettelarm ist. Und an diesem Zustand wird die westliche Intervention nichts ändern. Ganz im Gegenteil dient sie dem Ziel, die Naturgüter des Landes weiterhin kostengünstig ausbeuten zu können. So fällt das soziale Problem, das eine wesentliche Ursache der Gewalt in Mali darstellt, in den offiziellen Verlautbarungen konsequent unter den Tisch.

Golf-Diktaturen bewaffnen Islamisten

In diesem Zusammenhang wird ein entscheidender Aspekt außer Acht gelassen. „Ursprünglich waren es Tuareg, die im Norden Malis ihren eigenen Staat erkämpfen wollten. Dann eroberten Islamisten das Gebiet – als Trittbrettfahrer“, heißt es beispielsweise bei tagesschau.de. (10)

Tatsache ist vielmehr: Obwohl die Tuareg-Kämpfer sich an so manchem Waffenarsenal des zusammenbrechenden libyschen Staates bedient hatten, mussten sie sich gegenüber den besseren und moderneren Waffen der islamistischen Kämpfer geschlagen geben. Doch auch deren Waffen wurden zu einem Großteil aus Libyen nach Mali geschafft, allerdings stammen sie nicht aus den Arsenalen des libyschen Staates, sondern wurden den Dschihadisten überlassen, um Gaddafi zu stürzen. Französische Militärs zeigten sich überrascht von der modernen Ausrüstung und Bewaffnung ihres Gegners in Mali und dessen erstaunlich guter Ausbildung. (11)

Die islamistischen Kämpfer können auch durch ihre Finanzkraft auf einen konstanten Zustrom neuer Gefährten bauen. So werden Kinder und Jugendliche von den vorgeblichen Gotteskriegern rekrutiert und bekommen laut Berichten für ihren Einsatz ein monatliches Salär in Höhe von 300 US-Dollar. (12) Das ist eine stattliche Summe für malische Verhältnisse, wo die Mehrheit der Menschen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen muss. (13)

Die Frage drängt sich auf, woher die auch unter dem Label Al-Qaeda des Islamischen Maghreb (AQIM) agierenden Dschihadisten ihre Waffen und Gelder bekommen. Warum diese Frage in der Öffentlichkeit kaum erörtert wird, macht eine Erklärung der NRW-Linken deutlich, in der sich die Partei gegen eine Ausbildungsmission für die malische Armee als mögliches „Einfallstor in einen Kriegseinsatz“ ausspricht: „Staaten wie Saudi-Arabien und Katar rüsten die Rebellen massiv auf und finanzieren sie. (…) Der vom Westen hofierte Diktator des Nachbarlandes Burkina Faso, der als „Friedensstifter“ gehandelt wird, ist selber in den Waffen- und Drogenschmuggel durch Nordmali involviert und bietet den Rebellen Unterschlupf.“

Die Erklärung weist zudem darauf hin, dass es bei dem Einsatz „nicht um die malische Bevölkerung“ geht. „Bisher haben nämlich EU-Staaten – allen voran Frankreich – von der instabilen Lage in Nordmali bestens profitiert. Sie haben vorwiegend Interesse am Zugriff auf die größtenteils noch unausgebeuteten Rohstoffreserven in Nordmali.“ (14)

Die Kräfte hinter dem Feind, den es laut offizieller Lesart in Mali zu bekämpfen gilt, sind also genau jene Golf-Diktaturen, die von Deutschland massiv hochgerüstet und „bis an die Zähne“ (15) bewaffnet werden.

Keine Erfolgsstory

Sämtlichen von französischen Stellen bekundeten Erfolgsmeldungen zum Trotz – die ohnehin kaum überprüft werden können, da das französische Militär eine konsequenten Nachrichtenzensur ausübt (16) – wurde bislang keines der für die Gewalt in Mali ursächlichen Probleme gelöst. An der sozialen und wirtschaftlichen Misere hat sich nichts geändert. Die für Ende Juli angekündigte Präsidentschaftswahl wird daran nichts Grundlegendes ändern können, falls sie überhaupt stattfinden wird.  

Auch nach der Vertreibung der islamistischen Kämpfer aus den Großstädten Gao, Kidal und Timbuktu kann von einer Herstellung der Einheit des Landes nicht die Rede sein. Das belegt die Situation in Kidal. Dort wird die Kontrolle nicht von der malischen oder französischen Armee ausgeübt, sondern von den Kämpfern der MLNA. Momentan sind sie die Verbündeten der europäischen bzw. afrikanischen Interventionstruppen, verfolgen allerdings nach wie vor eigene Ziele. Wer in Kidal mit einem Fahrzeug unterwegs ist, braucht die richtigen Papiere, um Kontrollen passieren zu können. Durchgang wird denjenigen gewährt, deren Dokumente mit dem Stempel „Der Staat Azawad: Einheit, Freiheit, Sicherheit“ versehen sind. (17)

Und auch die radikal-islamischen Kräfte haben sich nicht in Luft aufgelöst. Sie sind zwar angesichts des vom französischen Militär ausgeübten Drucks gegenwärtig nicht in der Lage, größere Gebiete oder Städte zu kontrollieren, aber sie warten auf ihre Gelegenheit. Entweder werden sie in Mali erneut in die Offensive gehen oder ihr Einsatzgebiet auf die Nachbarregionen ausweiten. Womöglich könnten sie auch versuchen, den Krieg nach Europa zu tragen. Laut einem aktuellen vertraulichen Bericht des Antiterrorismuskoordinators der EU erhöht das militärische Eingreifen der EU in Mali die Gefahr von Terroranschlägen in Europa. (18)

Derweil versucht Verteidigungsminister de Maizière mit schönfärberischen Phrasen die vom Bundestag beschlossene Verwicklung deutscher Soldaten in das malische Schlamassel zu kaschieren. Bereits Ende Februar, als die Europäische Union (EU) die „Trainingsmission“ in die Wege leitete, erklärte  de Maizière: „Das, was wir hier tun, liegt im afrikanischen Interesse, im europäischen Interesse und deshalb auch im deutschen Interesse.“ (19) Dass der Einsatz vor allem im Interesse jener Konzerne liegt, die am Rohstoffhandel oder auch am Export von Kriegsgerät verdienen, wird geflissentlich verschwiegen.


Anmerkungen

(1) http://english.alarabiya.net/en/views/2013/03/17/The-uncertain-endgame-of-the-war-in-Mali.html

(2) http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=44349&Cr=+mali+&Cr1=#.UUb0z9kczcs

(3) http://www.reuters.com/article/2013/03/13/us-mali-rebels-recruits-idUSBRE92C05V20130313

(4) http://www.heise.de/tp/artikel/38/38759/1.html

(5) http://www.reuters.com/article/2013/03/13/us-mali-rebels-recruits-idUSBRE92C05V20130313

(6) http://www.bits.de/public/gast/12flocken-04.htm

(7) ebd.

(8) http://english.alarabiya.net/en/views/2013/03/17/The-uncertain-endgame-of-the-war-in-Mali.html

(9) http://www.wiwo.de/politik/europa/frankreich-der-rohstoffkrieg-in-mali/7629346.html

(10) http://www.tagesschau.de/ausland/tuareg112.html

(11) http://www.lepoint.fr/monde/mali-l-armee-affronte-des-groupes-bien-equipes-et-bien-entraines-13-01-2013-1613129_24.php

(12) http://www.reuters.com/article/2013/03/13/us-mali-rebels-recruits-idUSBRE92C05V20130313

(13) http://www.africachild.de/m03_armut.html

(14) http://www.kathrin-vogler.de/themen/frieden/details_friedenspolitik/browse/2/zurueck/friedenspolitik-1/artikel/kein-bundeswehreinsatz-in-mali-1/

(15) http://www.hintergrund.de/201302222460/politik/inland/bundesregierung-ruestet-saudi-arabien-total-hoch.html

(16) https://www.wsws.org/en/articles/2013/03/13/mali-m13.html

(17) http://www.reuters.com/article/2013/03/15/us-mali-rebels-idUSBRE92E10C20130315

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(18) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/sicherheit-der-eu-bedroht-erhoehte-terrorgefahr-in-europa-durch-mali-einsatz-12109477.html

(19) http://www.welt.de/politik/ausland/article114527292/Das-was-wir-tun-liegt-im-deutschen-Interesse.html

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