Finanzwelt

Finanzpolitische Hintergründe der aktuellen Geopolitik

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Von HAUKE RITZ, 5. Mai 2008:

Die gegenwärtige Finanzkrise wird weit unterschätzt, wenn man sie nur als Banken- Immobilienkrise bewertet. Was zunächst wie ein temporärer Fall des Dollars oder das verfehlte Management einzelner Banken aussieht, ist in Wirklichkeit eine Krise historischen Ausmaßes. Mit dem erodierenden Wert des Dollars ist zugleich eine seit Jahrzehnten bestehende Finanzordnung in ihre bislang tiefste Krise geraten. Diese war in den zurückliegenden Dekaden eine der tragenden Säulen us-amerikanischer Macht und schuf überhaupt erst die finanzpolitischen Grundlagen für ihre institutionelle und militärische Vormachtstellung. Die Krise des auf dem Dollar gegründeten Finanzsystems ist somit zugleich auch eine geopolitische Krise. Als solche steht sie mit weiteren Faktoren der Geopolitik in Wechselwirkung. Es ist somit durchaus möglich, Kausalbeziehungen zwischen der Finanzkrise in den USA und den aktuellen Spannungen im Nahen Osten festzustellen. Doch um dies aufzuzeigen, kommt es zunächst darauf an, zu verstehen, wie das „Dollarsystem“ eigentlich funktioniert.

Die us-amerikanische Wirtschaft unterscheidet sich z. B. von der deutschen dadurch, dass ihr gesetzliches Zahlungsmittel, der Dollar, zugleich die Weltwährung ist. Dies zieht eine Reihe weiterer Differenzen nach sich. Als Inhaber der Weltwährung kann die USA bedeutend mehr Waren importieren, als andere Länder. Während die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren hauptsächlich durch eine Zunahme des Exports gewachsen ist, kann in den USA umgekehrt ein sehr hoher Anteil des Wirtschaftswachstums auf eine Zunahme des Konsums zurückgeführt werden. Dies erlaubte es der us-amerikanischen Notenbank (FED) in den zurückliegenden Dekaden durch eine konsumfreundliche Wirtschaftspolitik zugleich ein Wachstum der Wirtschaft zu generieren. Der Erfolg dieser Politik wurde die Grundlage des Mythos von der Überlegenheit der us-amerikanischen Wirtschaft, der man oft unterstellt, dynamischer zu sein als andere Volkswirtschaften.

Letztlich war jedoch die so betriebene Finanzpolitik nicht nur konsumfreundlich. Ihr Hauptmerkmal war vielmehr, dass sie die Wirtschaftspolitik primär auf die Finanzmärkte ausrichtete. Indem es zum zentralen wirtschaftspolitischen Lenkungsmechanismus wurde, durch niedrige Zinsen die Finanzmärkte ausreichend mit Geld zu versorgen, begünstigte die FED insbesondere in der 18-jährigen Amtszeit Alan Greenspans die Entstehung von Haussen an den Aktienmärkten. An dem Boom und späteren Kollaps der New Economy hatte die Politik der FED daher ebenso Anteil, wie an der jüngsten Immobilienblase. Doch auch einem Abkühlen der Wirtschaft versuchten sowohl einst Greenspan als auch heute Bernanke mit der Methode der Geldvermehrung zu begegnen. Über zwei Jahrzehnte hinweg schien der Erfolg dieser Politik Recht zu geben. In der Tat wuchs die Wirtschaft in den USA über den größten Teil von Greenspans Amtszeit hinweg deutlich schneller als in Europa oder Japan.

Doch dabei wird oft vergessen, dass Wirtschaftswachstum lediglich die Zunahme finanzieller Transaktionen misst. So berechnet beispielsweise „intensives Wirtschaftswachstum“ den Anstieg der Einkommen pro Kopf, während „reales Wirtschaftswachstum“ den Anstieg des BIP einer Gesellschaft abzüglich der Inflationsrate dokumentiert. Was jedoch in beiden Fällen letztlich gemessen wird, ist die Zunahme der Geldströme.[i] Es sagt nichts darüber aus, ob diese durch Produktion, Handel, Dienstleistungen oder Spekulation zustande gekommen sind und entspricht nicht zwingend dem Zuwachs realer Werte. Im Falle einer Spekulationsblase handelt es sich um einen erwiesenermaßen fiktiven Wert, der dennoch Wirtschaftswachstum generiert. Das führt zu dem Paradox, dass eine Wirtschaft formal wachsen kann, während ihre Produktionsleistung gleichzeitig abnimmt. Dies ist in den USA während der Amtszeit Greenspans und Bernankes passiert. Während an den Aktienmärkten ein Boom auf den nächsten folgte und es den Anschein hatte, als befänden sich die USA in einem neuen wirtschaftlichen Aufbruch, hat das Land immer mehr seiner Produktionskapazitäten vor allem zugunsten Südostasiens verloren. Dies drückt sich in einem stetig anwachsenden Handelsbilanzdefizit aus. Das Defizit im Güterhandel betrug 2007 815 Mrd. US$. Da hilft es wenig, dass die USA im grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen einen kleinen Überschuss von 106,9 Mrd. US$ aufweisen. So ist die Schwächung der Realwirtschaft die Schattenseite der Geldvermehrungspolitik der FED.

Doch noch weitere Faktoren zeigen die Problematik dieser Wirtschaftspolitik. Geld wird durch die Vergabe von Krediten der Notenbank an andere Banken erzeugt und in Umlauf gebracht. Stockt die Nachfrage nach Krediten, so wächst auch die Geldmenge langsamer. Die us-amerikanische Wirtschaft wurde jedoch in den zurückliegenden Jahrzehnten zunehmend abhängig von der Notwendigkeit, die Geldmenge kontinuierlich zu vermehren. Stockte die Kreditaufnahme, war man deshalb schnell bereit die Konditionen attraktiver zu gestalten und höhere Risiken einzugehen. Dies ist der Grund, warum in den USA in den zurückliegenden Jahren regelrecht eine Kultur der Verschuldung entstanden ist. Die jüngste Banken- und Immobilienkrise kam zu Stande, weil das Interesse, mit billigen Krediten die Geldmenge zu vermehren und so Haussen an den Finanzmärkten zu erzeugen, die Risikoeinschätzung immer mehr überwog.[ii]

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verfügten die USA über 60 Prozent der weltweiten Industriekapazitäten.[iii] Es war vor allem diese Übermacht der us-amerikanischen Ökonomie gegenüber der übrigen Welt, die damals den US-Dollar zum Status einer Weltwährung verhalf. Sechs Jahrzehnte später ist der US-Dollar zwar immer noch die dominierende Weltwährung, doch kann die us-amerikanische Industrie in vielen Bereichen auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrieren. Die USA kaufen alleine 55 Prozent aller Autoimporte, während umgekehrt der Exportanteil der US-Automobilindustrie seit Jahrzehnten sinkt und heute weit abgeschlagen hinter Japan und Westeuropa rangiert.[iv] Insbesondere bei der Herstellung von Konsumgütern hat die us-amerikanische Industrie ihre Kompetenz zum großen Teil eingebüßt. Von einigen wenigen Marken abgesehen, sind amerikanische Produkte weitgehend aus dem Alltag der Europäer verschwunden.

Der Asienexperte Chalmers Johnson macht strategische Überlegungen aus dem Kalten Krieg für diese Entwicklung verantwortlich. In seinem Buch „Ein Imperium verfällt“[v] rekonstruiert er den Kalten Krieg vor allem als einen Krieg der Ideologien. Um zu beweisen, dass der Kapitalismus auch außerhalb der USA zu Freiheit und Wohlstand führt, versuchten die USA gezielt einzelne Regionen der Welt wirtschaftlich aufzubauen. Vorzugsweise solche, die wie Westdeutschland und Japan an den Ostblock grenzten. Sie sollten sich zu prosperierenden Schaufenstern des Kapitalismus entwickeln. Wie Johnson darlegt, nahmen die USA dabei sogar in Kauf, dass die eigene Industrie geschwächt wurde. So ließen sie es zu, dass Japan den US-Markt mit Waren überschwemmte, während Japan selbst seinen Binnenmarkt mit Zöllen schützte. Dieses Ungleichgewicht wiederholte sich später gegenüber Ländern wie Taiwan und Südkorea. Johnson folgert, dass die USA schließlich zum Opfer ihrer eigenen Ideologie geworden sind, insofern sie auch nach dem Ende des Kalten Krieges an dieser Wirtschaftspolitik festgehalten haben.

Dennoch konnten die USA über Jahrzehnte hinweg die dominierende Weltmacht bleiben. Und Vizepräsident Cheney hat mehrmals die Auffassung vertreten, „dass bereits Reagan bewiesen habe, dass Defizite keine Rolle spielen.“ Und in der Tat steht dem schleichenden Niedergang der us-amerikanischen Exportwirtschaft eine unvergleichliche Expansion der Finanzwirtschaft gegenüber. Eric Janszen ist sogar der Auffassung, dass diese Entwicklung soweit geht, dass in der us-amerikanischen Wirtschaft mittlerweile „der Spekulationsblasen-Zyklus […] den Konjunkturzyklus [ersetzt hat].“[vi] Deshalb entzündet sich der Streit zwischen Kritikern und Verehrern der Politik der us-amerikanischen Notenbank entlang der Frage, bis zu welchem Grade eine erfolgreiche Finanzwirtschaft eine schrumpfende Realwirtschaft ersetzen kann? Oder wie Greenspan es im Sommer 2003 vor dem Repräsentantenhaus formulierte: „Ist es für eine Wirtschaft wichtig, eine produzierende Industrie zu haben?“ Greenspan antwortete seinerzeit, „dass es nicht wichtig ist, ob man selbst produziert oder nicht.“[vii] Die Anhänger us-amerikanischer Finanzpolitik machen sich daher wenig Sorgen um das zunehmende Handelsdefizit. Sie sind davon überzeugt, dass die Ökonomie des 21. Jahrhunderts eine neue virtuelle Wirtschaft ist, deren produktive Grundlagen eine immer geringere Rolle spielen. Die Kritiker der FED halten hingegen diese Vorstellung für naiv und selbst für ein Symptom des Niedergangs. Und in der Tat sprechen die Daten der Realwirtschaft eine andere Sprache.

Bereits in den 60er Jahren kam es in den USA zu einer Dominanz der Finanzwirtschaft über die Realwirtschaft. So wurde der schnelle An- und Verkauf von Firmen, der allgemein mit der Globalisierung in Verbindung gebracht wird, in der us-amerikanischen Industrie schon seit mehreren Jahrzehnten betrieben. Diese auf spekulative Interessen ausgerichtete Wirtschaftspolitik hat die US-Industrie gegenüber ihren Konkurrenten in Europa und Asien nachhaltig geschwächt. Dieser Entwicklung ist es zuzuschreiben, dass sich die USA über die Jahrzehnte immer mehr in eine Importwirtschaft verwandelt haben, deren Verbindlichkeiten ihnen langsam über den Kopf wachsen. Die USA führen 50 Prozent mehr Waren ein, als sie ausführen. Sogar der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, warnte bereits im Herbst 2005, dass die US-Schulden gegenüber China in den letzten Jahren expotentiell gewachsen und deshalb auf Dauer nicht tragbar sind.[viii]

Immer häufiger ist deshalb von der Krise des Dollars als Weltwährung die Rede. Kaum ein Treffen führender Regierungschefs, bei dem nicht das globale Ungleichgewicht an den Finanzmärkten eines der Hauptthemen ist. Wissenschaftler wie Paul Kennedy, Giovanni Arrighi, Emmanuell Todd und David Harvey beobachten diese Verschiebung des wirtschaftlichen Kräfteverhältnisses schon seit vielen Jahren und halten den Niedergang der USA inzwischen für unvermeidlich. Der Asienexperte Chalmers Johnson hat sogar den Schluss gezogen, dass der Rolle der us-amerikanischen Wirtschaft als „Consumer in last resort“ [Abnehmer in letzter Instanz] eine selbstzerstörerische Tendenz zugrunde liegt. Trotzdem wäre es zu einfach, die Finanzpolitik der FED als irrational abzutun. Ihre Eigenlogik lässt sich anhand der Ausnahmerolle des Dollars im Weltwährungssystem verstehen.

Denn wie der Wirtschaftswissenschaftler Krassimir Petrov[ix] zeigte, könnte Greenspans Rechnung durchaus aufgehen. Petrov macht deutlich, welche Vorteile die USA dazu verleitet haben, ihre eigene Wirtschaft in eine Importwirtschaft umzubauen. Denn die Rolle des US-Marktes als „Abnehmer in letzter Instanz“ führte zu großen Dollareinnahmen im Ausland. Diese machten diese Länder vom us-amerikanischen Markt und Finanzplatz abhängig und garantierten wiederum die Vorherrschaft des Dollars als Weltwährung. Dadurch erwarben sich die USA ein „exorbitantes Privileg“, wie Charles de Gaulle es nannte. Nämlich das Privileg, andere Nationen besteuern zu können. Für Petrov das wichtigste Merkmal eines Imperiums. Durch diese Besteuerung ist es den USA möglich, die wirtschaftlichen Verluste gegenüber Exportnationen wie Japan, Deutschland und China mehr als auszugleichen. Doch Petrov zufolge besteuern die USA ihre Satellitenstaaten nicht direkt, sondern indirekt. Dabei kommt dem Monopol des Dollars als Weltwährung eine zentrale Bedeutung zu.

So wird neben Öl heute der Großteil aller Rohstoffe und Waren in Dollar gehandelt. Der Dollar dient auch als wichtigste Reservewährung und unterstützt in dieser Funktion die Stabilität anderer Zahlungsmittel wie Euro, Yen, Yuan und Rubel. Die ganze russische Wirtschaft lief in den 90er Jahren mit Dollars. Und auch Südamerika und Asien sind fest in den Dollarraum eingebunden. Dies führt dazu, dass nur ein verhältnismäßig geringer Teil der weltweiten Dollars in den USA zirkulieren. Entsprechend groß ist die Dollarmenge insgesamt. Indem die FED eine Politik der Geldvermehrung betreibt, kommt es zu einer leichten Inflation. So verzeichnete der Dollar in den letzten Jahrzehnten eine stärkere Inflation als DM und Euro. Inflationseffekte machen sich aber immer erst mit Verspätung bemerkbar. Diese Differenz zwischen aktuellem Dollarwert und zukünftiger Inflation ist die Steuer, die die USA Petrov zufolge von ihren Satellitenstaaten eintreiben. Auf diese Weise können schwache Dollar, die wirtschaftlich gar nicht vollständig gedeckt sind, für starke Waren gezahlt werden. Das Handelsbilanzdefizit ist gewissermaßen Ausdruck dieser Deckungslücke. Doch niemand tauscht gerne seine Waren gegen eine weiche Währung. Damit dies akzeptiert wird, bedarf es eines Wertankers.

Bis 1971 hatte Gold eine Rolle inne, die der eines Wertankers entsprach. Nach Auskunft des Wirtschaftshistorikers William F. Engdahl geriet Gold als Wertanker aber in Konflikt mit den imperialen Interessen der USA. Denn andere Nationen konnten im Falle wirtschaftlichen Erfolgs ebenfalls Goldreserven horten und so mit dem Dollar konkurrieren. Diese Situation trat Ende der 60er Jahre auf Betreiben Charles de Gaulles auch ein und veranlasste Präsident Nixon 1971 zur Auflösung der Goldbindung. Die USA machten sich deshalb auf die Suche nach einer neuen unverzichtbaren Handelsware, die man – anders als Gold – nicht so leicht horten konnte. Diese neue Handelsware war Öl. Auch wenn die Rolle des Öls nicht eins zu eins mit der des Goldes als Wertanker vergleichbar ist, so schuf sie doch zumindest einen ‚starken äußeren Zwang’, Dollars erwirtschaften zu müssen. Denn Öl ist der mit Abstand bedeutendste Rohstoff der industrialisierten Welt. Dieser äußere Zwang führte dazu, dass das ‚schwarze Gold’ im Laufe der 70er Jahre nach und nach eine Schlüsselposition im Weltfinanzsystem einnahm, die jener, die zuvor Gold innehatte, in einigen Punkten ähnelte.

William F. Engdahl hat in seinem Buch, „Mit der Ölwaffe zur Weltmacht“ diese währungspolitische Weichenstellung der frühen 70er Jahre detailliert dargestellt.[x] Über die speziellen Beziehungen zum saudischen Königshaus und die beiden im us-amerikanischen Besitz befindlichen Ölbörsen in New York und London stellte man sicher, dass Öl nur in Dollar gehandelt werden konnte. Da jedes Jahr mehr Öl gefördert und verbraucht wird als im Vorjahr, konnte auch die Geldmenge ständig ansteigen. Zudem brauchten fast alle Nationen Öl. Jedes Land, das Öl kaufen wollte, musste dafür zunächst Dollar erwirtschaften. Auf diese Weise war unabhängig von der ökonomischen Stärke der US-Wirtschaft eine ständige Nachfrage nach Dollar sichergestellt.

Aber mit dem Monopol des Dollars als Ölwährung war es nicht getan. Es musste auch sichergestellt werden, dass die Petrodollars wieder in die USA zurückfließen. So kam es unter Federführung von Henry Kissinger 1974 zu einem Geheimabkommen mit dem saudischen Königshaus.[xi] Dieses sah vor, dass die Saudis ihr Öl ausschließlich in Dollar verkaufen und die beträchtlich angeschwollenen Öleinnahmen des Königshauses bei den „richtigen“ Banken in New York und London anlegten. Auf diese Weise konnten die Öleinnahmen der Saudis dazu verwenden werden, das Defizit der USA zu decken. Im Gegenzug garantierte man dem Könighaus die Sicherung seiner Herrschaft.[xii] Wie Engdahl minutiös aufgedeckt hat, kam bei diesem Abkommen Jack F. Bennett, ein Beamter im Finanzministerium unter Georg Shultz, eine Schlüsselrolle zu. Er war es, der das Recycling der Petrodollars mit der Saudi-Arabien Monetary Agency (SAMA) aushandelte. Und er war es auch, der im Februar 1975 Henry Kissinger in einem Memorandum, das den Vorfall später bekannt werden ließ, davon berichtete.[xiii] Ein Jahr später, 1975, wurden in einem eigens dafür einberufenen Treffen der OPEC auch die anderen Mitglieder auf den ausschließlichen Verkauf von Öl in Dollar festgelegt. So entstand eine gigantische Finanzzirkulation, das so genannte Recycling der Petrodollars.[xiv] Die USA wurden zum Knotenpunkt der weltweiten Finanzströme und konnten dem Ökonom André Gunder Frank zufolge so den größten Teil der weltweiten Ersparnisse abschöpfen.[xv] Auf diese Weise erzeugten sie ein Wirtschaftswachstum, dass das Europas und Japans weit übertraf. Auch das zunehmende Handelsbilanzdefizit und die Abwanderung ganzer Industriezweige nach Südostasien konnten so ausgeglichen werden.

Der damals gegründete Finanzkreislauf zwischen der OPEC und den großen Bankhäusern in London und New York bildete die Grundlage für die gesamte weitere Entwicklung der Weltwirtschaft. Der zweite Ölschock 1978/79 erzeugte einen gewaltigen Liquiditätsbedarf in den Entwicklungsländern. Die Hochzinspolitik unter Notenbankchef Paul Volcker und die Einführung schwankender Zinssätze stellte zugleich sicher, dass die damals von den Entwicklungsländern aufgenommenen Kredite nur sehr schwer rückzahlbar waren. Indem man die an der Wallstreet angelegten Einnahmen der Scheichs als Kredite an Entwicklungsländer weiter gab, erzeugte man so einen weiteren Finanzkreislauf, der die Finanzwirtschaft in London und New York anschwellen ließ. Durch das Machtmittel der Verschuldung wurde auf diese Weise ein gewaltiger Liquiditätstransfer von den Entwicklungsländern an die angloamerikanischen Finanzplätze eingeleitet.[xvi]

Die schleichende Deindustrialisierung der USA war gewissermaßen der Preis, den man für eine ganz auf die Finanzwirtschaft ausgerichtete Wirtschaftspolitik zu zahlen hatte. Doch dieser Preis schien lange Zeit kalkulierbar zu sein. Schließlich führten die Dollarüberschüsse in Europa und Südostasien dazu, dass diese Wirtschaftsräume an den us-amerikanischen Markt gebunden wurden. Wollten diese weiterhin in die USA exportieren, waren deren Notenbanken dazu angehalten, die erwirtschafteten Dollarüberschüsse wiederum in den USA anzulegen. Dies geschah in der Regel über den Ankauf so genannter ‚Treasury Bonds’, Schatzbriefe der us-amerikanischen Regierung.

In den siebziger Jahren ist also die Weltwirtschaft auf Basis des Ölhandels neu strukturiert worden. Dabei bestand dem Politologen Elmar Altvater zufolge „die geopolitische Strategie der USA darin, ihren abnehmenden Anteil am Welthandel durch die Privilegien aufzufangen, die ihnen als Inhaber der Weltwährung zukamen.“[xvii] Auch Greenspans und Bernankes Finanzpolitik ist in diese geopolitische Strategie eingebunden. Ob dieser Wirtschaftspolitik ein dauerhafter Erfolg beschieden sein wird, hängt davon ab, ob die Rolle des Dollars als einziger Ölwährung gewahrt bleiben kann. Für Elmar Altvater liegt hier eine entscheidende Achillesferse des us-amerikanischen Finanzsystems. „Es funktioniert nur, wenn die Ölförderländer militärisch und politisch nicht stark genug sind, um eine andere Währung als den Dollar als Ölwährung zu etablieren.“ Könnte sich dagegen eine zweite Währung neben dem Dollar als Ölwährung behaupten, so hätte sie gute Chancen auch zu einer einflussreichen Reservewährung aufzusteigen. Im gleichen Maße wie der Dollar als internationale Öl-, Reserve-, und Handelswährung abgelöst würde, würden die vorhandenen Dollar stark an Wert einbüßen und so die us-amerikanische Notenbank die Möglichkeit verlieren Dollar nachzudrucken. In Folge würden die Seignioragevorteile[xviii] stark schrumpfen, mit denen die USA in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht nur ihre Warenimporte, sondern auch ihre exorbitanten Militär- und Geheimdienstausgaben finanziert haben. Die gewaltige Militärmaschinerie, die 16 verschiedenen Geheimdienste sowie die über 700 Truppenstützpunkte außerhalb der USA wären dann nicht länger finanzierbar. Der Status der USA als weltbeherrschende Macht steht und fällt mit der Rolle des Dollars als Weltwährung.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die militärischen Intervention der USA im Nahen Osten wahrscheinlich nicht alleine der zunehmenden Verknappung des Öls im Zuge der Peak Oil – Krise[xix] geschuldet sind. Neben der Notwendigkeit, über ein knapp werdendes Gut physisch verfügen zu können, tritt noch die finanzpolitische Bedeutung des Öls hinzu.[xx] Erdöl ist der zentrale geopolitische Machthebel des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Auf der Kontrolle von Öl lassen sich finanzpolitische Tributsysteme begründen. Dabei ist es nicht notwendig, den Rohstoff selbst fördern zu können. Wichtig ist vor allem, die Transportrouten des Öls und seine Fakturierung zu kontrollieren. Als die einzige bedeutende Seemacht kontrollieren die USA den gesamten Ölhandel zu See. Hinzu kommen große Anstrengungen in den letzten Jahren, auch die Ölförderung um das Kaspische Meer herum über Pipelinerouten, die über Afghanistan zum indischen Ozean oder durch Georgien zum Mittelmeer führen, zu kontrollieren. Ein Großteil der bedeutenden Ölfirmen wie Exxon, Chevron und Unocal sind us-amerikanischer Herkunft. Schließlich besitzen die USA eine ganze Reihe von Militärstützpunkt in den beiden wichtigsten Förderregionen im Nahen Osten und Zentralasien. US-Militärbasen finden sich in Saudi Arabien, Kuwait, Irak, Ägypten, Jordanien, Katar, Oman, Aserbeidschan, Georgien, Pakistan, Tadschikistan und Kirgisistan. All diese Einflussfaktoren zusammen garantieren bislang, dass Öl und Gas fast ausschließlich in Dollar gehandelt werden.

Doch manches deutet daraufhin, dass die gegenwärtige Kontrolle der USA im weltweiten Ölhandel nicht flächendeckend genug ist, um die Stabilität des us-amerikanischen Finanzsystems weiterhin zu garantieren. Wie bereits erwähnt, ist es für die Fakturierung des Öls von Bedeutung, dass sich die beiden wichtigsten Ölbörsen der Welt in New York (NYMEX) und London (IPE) in us-amerikanischem Besitz befinden. Ausgerechnet der Iran hat bislang den einzigen Versuch unternommen, eine eigene von den USA unabhängige Ölbörse zu gründen. Das Handelsvolumen der im Februar diesen Jahres auf der Insel Kish im persischen Golf in Betrieb genommenen Börse ist zwar noch gering, stellt aber zumindest eine symbolische Herausforderung für den Dollar als Ölwährung dar. Eine ganz ähnliche symbolische Provokation hatte sich im Jahr 2000 auch Saddam Hussein zu schulden kommen lassen, als er im Zuge des „Oil for food“ Programms damit begonnen hatte, Öl gegen Euros zu verkaufen.

Die USA könnten derartige Provokationen sicherlich ignorieren, würden nicht mit Venezuela, Iran und Russland gegenwärtig drei bedeutende Öl- und Gasproduzenten existieren, die gegenüber den USA als souveräne Staaten auftreten können. Diese Staaten sind souverän, weil es den USA in diesen drei Ländern nicht gelungen ist – wie z. B. in Saudi Arabien – Einfluss auf die herrschenden Eliten des Landes zu gewinnen. Russland verfügt außerdem über ein weit verzweigtes eigenes Pipelinenetz, über das es sowohl China als auch Europa mit Öl und Gas versorgen kann. China, das als Gründungsmitglied der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) enge Kooperationen mit Russland geschlossen hat, verfügt zudem über derart große Dollarreserven, dass es fast im Alleingang den Wert des Dollars unter Druck setzen kann. Und auch Russlands Dollarreserven steigen beständig. Alle vier Staaten sind somit einflussreich genug, um neben den Dollar weitere Währungen in den Ölhandel einzubeziehen. Hinzu kommt noch, dass die US – Wirtschaft durch das Platzen der Immobilienblase derzeit sehr geschwächt ist. Erst wenn sich die Entstehung einer neuen Spekulationsblase, diesmal womöglich im Bereich der erneuerbaren Energien, abzeichnet, könnte sich der Wert des Dollars wieder stabilisieren. Doch in der Zwischenzeit erweisen sich die finanzpolitischen Grundlagen us-amerikanischer Macht als sehr verwundbar.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Zusammenhang zwischen der derzeitigen Finanzkrise in den USA und den gleichzeitig massiv zugenommenen geopolitischen Spannungen im Nahen Osten. Russland, China, Iran und Venezuela sind die Schlüsselstaaten, die die von den USA dominierte Finanzordnung in Frage stellen und weiter unter Druck setzen. Und zu jedem dieser Staaten haben die USA in jüngster Zeit starke geopolitische Konflikte aufgebaut. Iran ist mit einem gewaltigen militärischen Aufmarsch us-amerikanischer Streitkräfte vor seiner Küste konfrontiert. Dabei stehen die USA allerdings vor dem Problem, dass die us-amerikanischen Bodentruppen durch ihr Scheitern im Irak ihr Abschreckungspotenzial eingebüsst haben. Vielleicht ist dies der Grund, warum im Pentagon – wie der us-amerikanische Journalist Seymour Hersh recherchiert hat – auch schon der Einsatz so genannter bunkerbrechender Atombomben erwogen worden ist.[xxi] Doch diese Drohungen haben den Iran nicht davon abhalten können, den Bau einer Gas-Pipeline zu planen, die durch Pakistan hindurch nach Indien führen soll.[xxii] Sollte dieses Projekt realisiert werden, würde dies die Energiesicherheit Indiens und Pakistans erhöhen, den us-amerikanischen Einfluss auf beide Staaten schwächen und einen beträchtlichen Teil des Gashandels der us-amerikanischen Kontrolle entziehen.

Auch Venezuela befindet sich aufgrund seiner Ölvorkommen in einer Position, in der es katalytisch auf bestehende geopolitische Machtverhältnisse einwirken könnte. Wie sich angesichts der jüngsten Grenzverletzung Ecuadors durch kolumbianische Soldaten[xxiii] zeigt, könnte die us-amerikanische Reaktion unter anderem darin bestehen, Venezuela in einen regionalen Krieg mit dem US-Verbündeten Kolumbien zu verwickeln. China sah sich in den zurückliegenden Wochen in Tibet mit einem Aufstand konfrontiert, der den Vielvölkerstaat im Vorfeld der Olympiade vor allem aufgrund der begleitenden Kampagne in westlichen Medien empfindlich traf. In ganz ähnlicher Weise hat auch Russland in seiner Einflusszone so genannte „Orangene Revolutionen“ erlebt. Die Berichterstattung der westlichen Presse über diese Vorkommnisse ist nicht neutral. So hat Peter Scholl Latour darauf hingewiesen, dass sich bei der Orangenen Revolution in der Ukraine dezidiert die Beteiligung us-amerikanischer Stiftungen und Institutionen nachweisen lässt und sie ohne diese Einflussnahme wohl nicht zu Stande gekommen wäre.[xxiv] Russland ist zudem damit konfrontiert, dass die USA das Land durch eine Expansion der NATO bis an Russlands Grenzen sowie die Installation eines Raketenabwehrschildes an der Nord-, West- und Ostgrenze Russlands militärisch massiv unter Druck setzen.[xxv]

Die gegenwärtige Finanzkrise ist somit weit mehr als nur ein vorübergehendes wirtschaftliches Ungleichgewicht. Selbst wenn sich der Wert des Dollars für einige Zeit wieder erholen sollte, bleiben die aktuellen Turbulenzen an den Finanzmärkten doch das Symptom einer viel tiefer gehenden Krise. Sie ist Ausdruck einer massiven geopolitischen Instabilität, für deren Tragweite es in der bisherigen Nachkriegsgeschichte kein Beispiel gibt. An den Finanzmärkten wird gegenwärtig eine Art Kalter Krieg ausgetragen, der längst alle anderen Felder der Geopolitik berührt. Solange in der europäischen Öffentlichkeit kein Bewusstsein des vorhandenen Sicherheitsrisikos existiert, dürften weitere militärische Eskalationen immer wahrscheinlicher und Frieden umgekehrt immer unwahrscheinlicher werden.



[ii] William F. Engdahl, Die Verschuldungsgefahr des Dollarssystems, Zeit-Fragen, Nr. 31, 25.8. 2003

[iii] Peter Dale Scott, The road to 9/11 – wealth, empire and the future of America, Berkely 2007

[v] Chalmers Johnson, Ein Imperium zerfällt, München 2001

[vi] Eric Janszen, Die Bubble-Ökonomie, Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2008, S. 50 ff.

[vii] Vgl.: William F. Engdahl, Die Verschuldungsgefahr des Dollarssystems, Zeit-Fragen, Nr. 31, 25.8. 2003

[viii] Axel Weber, Herausforderungen zur globalen Wirtschaft, Rede vom 18. Nov. 2005

[ix] Krassimir Petrov, Die iranische Ölbörse, Zeit – Fragen, Nr. 6, 6.2. 2006

[x] William F. Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, Rottenburg 2006

[xi] Vgl. hierzu Rudolph Chimelli, Öl – nur noch gegen Euro, in: Süddeutsche Zeitung, 16. 3. 2006

[xii] William F. Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, Rottenburg 2006, S. 184

[xiii] Das Memoradum ist abgedruckt in: International Currency Review Vol. 20, London, 6. Jan. 1991, S. 45

[xiv] John Perkins, Das Saudi-Arabische Geldwäscheprojekt, in: Bekenntnisse eines Economic Hit Man, Riemann Verlag, 2005, S. 149 ff.

[xv] André Gunder Frank, Die USA als Papiertiger, Wildcat Sonderheft zum Irakkrieg, März 2003

[xvi] Vgl. John Perkins, Bekenntnisse eines Economic Hit Man, Riemann Verlag, 2005

[xvii] Vgl. Hierzu auch: "Die Geschichte des Weltwährungsystems seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ließe sich daher auch als eine Geschichte der Aneignung von Seignorage-Vorteilen der Supermacht schreiben." Elmar Altvater, Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen, Münster 2005, S. 131

[xviii] Seignioragevorteile bezeichnet den aus den Finanzgeschäften erzielten Gewinn, den Zentralbanken an den Staat abführen müssen.

[xix] Vgl. Hauke Ritz, Otto Wiesmann, Peak Oil – Der globale Krieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juli 2007

[xx] Vgl.: William R. Clark, Petrodollar Warfare. Oil, Iraq and the Future of the Dollar, Gabriola 2005

[xxi] Seymour M. Hersh, The Iran Plans, The New Yorker, 17. April 2006

[xxii] Mathias Brüggemann, Thomas Weide, Iran setzt Gasvorräte als Schutzwall gegen die USA ein, Handelsblatt, 30. April 2008

[xxiii] Venezuela und Ecuador lassen Armee aufmarschieren, Handelsblatt, 3. März 2008

[xxiv] Peter Scholl Latour, verfaulte Orangen, in: Russland im Zangengriff, Berlin 2007, S. 384 ff.

[xxv] Vgl. Rede von Wladimir Putin auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München am 10. 02. 2007, Was ist aus den Garantien geworden?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, März 2007, S. 374 ff.

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