Energieversorgung

Wie die Gaslieferung zum Glückspiel wurde

Alle sprechen vom Erdgas. Seit Jahrzehnten fließt es, fast unbemerkt von den meisten Deutschen, durch die Pipelines. Meist aus dem Osten. Nun liefert Russland nicht mehr so viel wie bisher. Unser Autor schaut sich die Bedeutung der Erdgasversorgung einmal genauer an. Dabei analysiert er auch, welche Alternativen es gibt und welche Folgen der Gasmangel für Verbraucher, Industrie und Energieversorger hat. Und er klärt Grundsätzliches zum Thema Erdgas.

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Produktionsanlage von Gazprom Produktionsanlage von Gazprom
Foto: PressGPNS, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

Das Gas ist zurück in der Wahrnehmung der Deutschen. Dort war es nicht mehr, seit die lokalen Gaswerke aus den deutschen Städten verschwunden sind. Seitdem kommt das Erdgas aus unterirdischen Leitungen: aus Pipelines. Zunächst aus den Niederlanden, seit 1973 zunehmend aus dem fernen russischen Osten1 und seit 1977 aus Norwegen. Die Herkunft des Gases, das heimische Herde und Thermen versorgte, war kaum ein Thema. Dabei war es im Alltag immer mit dabei: Der Umbau der Ölheizung in eine Gasheizung hatte den Öltank im Keller entbehrlich gemacht. Zudem entfiel die jährliche Entscheidung, wann der Ölpreis für eine Nachbestellung gerade günstig ist. Auch unter Umweltgesichtspunkten bekam Erdgas mit dem Brennwertkessel einen guten Ruf.

Die Lieferungen aus Russland kamen von Anfang an zuverlässig und unabhängig von der jeweiligen politischen Großwetterlage im Kalten Krieg. Die Lieferungen wurden nie mit jeweils aktuellen politischen Situationen und Befindlichkeiten verknüpft. Energielieferungen aus dem Osten hatten schon in der Zeit des Warschauer Pakts mit der tschechischen Hartbraunkohle bis in die Zeit nach dem Jahr 2000 eine belastbare Versorgung sichergestellt.

Das Gas aus Russland wurde über langfristige Verträge, meist nach dem Take-or-Pay-Prinzip gehandelt, das Lieferant und Käufer langfristige Sicherheit für die jeweiligen Investitionen gibt. Der Kunde muss die vereinbarten Mengen auch dann bezahlen, wenn er sie nicht abnimmt.

Insgesamt gibt es derzeit drei Gas-Pipeline-Stränge aus Russland nach Deutschland. Zunächst die Transgas-Pipeline, die über die Ukraine verläuft und eine technische Kapazität von mehr als 100 Milliarden Kubikmetern pro Jahr haben soll. Für die Durchleitung durch die Ukraine, wo die Pipelines von Naftogaz betrieben werden, bezahlt Gazprom die Transitgebühren. Naftogaz ist inzwischen insolvent2. Russland beliefert die Ukraine nicht mehr direkt. Über Belarus und Polen kann die nach der russischen Halbinsel im Nordpolarmeer benannte Pipeline Jamal, der zweite Strang, 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr liefern. Derzeit liefert sie jedoch kein Gas aus Russland, sondern beliefert im umgekehrten Betrieb Polen mit russischem Gas aus Deutschland.

Die Nord-Stream-1-Pipeline, der dritte Strang, beginnt im russischen Wyborg und erreicht Deutschland in Lubmin bei Greifswald. Sie hat eine Länge von 1224 Kilometern und verbindet die Gasfelder Juschno-Russkoje und Stockmann mit Deutschland. Nord Stream 1 hat ebenso wie die nicht in Betrieb genommene Nord Stream 2 eine technische Kapazität von 110 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Die Kapazität darf jedoch nur zu 50 Prozent ausgenutzt werden, da die EU vorschreibt, dass Gazprom nur die Hälfte der Kapazität selbst nutzen darf und die anderen 50 Prozent für einen Wettbewerber verfügbar halten muss, den es jedoch in Russland faktisch nicht gibt.

Piplines aus Russland nach Europa Piplines aus Russland nach Europa
Grafik: Samuel Baily, Lizenz: CC BY, Mehr Infos

Wenn man die aktuellen Liefermengen betrachtet, muss man berücksichtigen, dass Deutschland selbst auch Transitland für russisches Gas nach West- und Südeuropa ist. Knapp die Hälfte des Gases, das in Deutschland ankommt, wird an die europäischen Partner durchgeleitet.

Wie wurde die Gasversorgung in Deutschland unsicher?

Mit den Folgen der Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit den militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine wurde aus den über Jahrzehnte sicheren Gaslieferungen unvermittelt ein Glücksspiel mit unbekanntem Ausgang.

Die Verringerung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 wurde von Gazprom mit technischen Problemen begründet. Offensichtlich fand Gazprom eine Möglichkeit, die aus den Quellen strömenden Gasmengen zu reduzieren. Gazprom lies einige Turbinen in der Nord-Stream-1-Pipeline für eine begrenzte Zeit über das eigentlich vorgesehene Wartungsfenster hinaus laufen, was jedoch vom russischen Staat untersagt wurde. Die Turbine hing wegen der Sanktionen zeitweise im kanadischen Werk von Siemens Energy fest, befindet sich inzwischen in Deutschland und sollte mit einer Fähre über Finnland nach Russland geliefert werden. Inzwischen soll die Wartung weiterer Turbinen anstehen, was jedoch nicht geschieht. Bei Nord Stream 2 wäre man nicht von einer Turbinenwartung in Kanada abhängig gewesen, weil dort russische Turbinen eingebaut sind. Nord Stream 2 ist zwar mit Gas gefüllt, darf aber auf Wunsch der USA nicht in Betrieb genommen werden.

Der aktuelle politische Wille sieht vor, dass Deutschland ab Sommer 2024 vollständig auf Gaslieferungen aus Russland verzichten will. So der Plan der Bundesregierung. Es könnte auch schneller gehen, sagen verschiedene Politik-Berater. Und wenn Russland andere Kunden für sein Gas findet, könnten die Investitionen der westlichen Pipeline-Partner auch ganz schnell in steuerlich relevante Abschreibungen münden, also zu Lasten der Steuerzahler ausgehen.

Wo kommt LNG her?

Eine der wichtigsten Quellen für LNG liegt im US-Bundesstaat Texas, wo sich inzwischen auch Katar eingekauft und von wo Katar künftig auch die Bundesrepublik versorgen wollte. Katar bestand jedoch, um seine Infrastrukturinvestitionen abzusichern, auf langfristigen Lieferverträgen, die mit der von der deutschen Regierung beabsichtigten Politik „weg von fossilen Energiequellen“ und dem angestrebten Zeitplan nicht in Deckung zu bringen sind. Neben den USA und Katar kommen auch Australien und Kanada3 sowie Nigeria als LNG-Lieferländer infrage. Wobei Nigeria bislang zu 90 Prozent nach China lieferte und jetzt mehr Gas für die heimische Wirtschaft nutzen will4. Inzwischen warnt Shell, einer der größten LNG-Händler der Welt, dass LNG ab 2025 knapp werden könne, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt 5. Dann könnten sich die Infrastrukturinvestitionen, welche die EU und Deutschland derzeit tätigen, schnell als Fehlinvestitionen herausstellen.

Konkurrenz am LNG-Markt

Deutschland trat nach der Entscheidung, kein Gas mehr aus Russland zu beziehen, als neuer Käufer für LNG am Markt auf. Damit werden Staaten, die mangels Pipeline-Anbindung an Gasquellen nur mit LNG versorgt werden können, vom Markt verdrängt. Dies wird bei Ländern wie Pakistan, die derzeit eine Wirtschaftskrise durchmachen und jetzt 70 Prozent weniger LNG einkaufen können die dortige Wirtschaft weitgehend abwürgen und massiven Druck auf die Regierung auslösen. Die Folgen sind derzeit nicht absehbar. Pakistan ist jedoch mitnichten das einzige Land, dessen wirtschaftliche Entwicklung durch die extrem steigenden Gaspreise abgeschnürt wird. Aufgrund des hohen Preisniveaus in Europa können die Vertragsstrafen wegen Nichtlieferung nach Asien ohne Probleme verkraftet werden und ermöglichen immer noch Gewinne.

Wie bei anderen Energieträgern werden auch die LNG-Ladungen auf dem Weg zum Ziel mehrfach weiterverkauft. Ein mindestens sechs- bis achtmaliger Eigentumswechsel zwischen Quelle und Endkunde („churn rate“) ist ein Zeichen für einen liquiden Markt und politisch gewünscht. Vergleichsweise unproblematisch sind die Preissteigerungen für die Volksrepublik China und ihren steigenden Gasbedarf, da China einerseits über mehr als ausreichende Devisenvorräte verfügt, anderseits seine Energierechnungen auch nicht mehr grundsätzlich in US-Dollars bezahlt.

LNG Tanker Endeavor in Nijlhaven/Rotterdam im Juni LNG Tanker Endeavor in Nijlhaven/Rotterdam im Juni
Foto: kees torn, Lizenz: CC BY-SA, Mehr Infos

Problem bei der Infrastruktur für LNG

Die Anlandeterminals für LNG mit Anbindung an die europäische Gasinfrastruktur bieten derzeit keine freien Slots, die man nutzen könnte, um Gas nach Deutschland durchzuleiten.

Das LNG-Terminal des belgischen Fernleitungsbetreibers Fluxys in Zeebrügge an der Nordseeküste arbeitet seit Monaten unter Volllast. Der belgische Terminalbetreiber ist eins von 22 Unternehmen in Europa, die an den Küsten von Mittelmeer, Nord- und Ostsee Flüssigerdgas aufnehmen, speichern und als gasförmiges Gas via Pipeline an die Abnehmer in Europa weiterleiten. Sieben von 26 EU-Terminals für Flüssigerdgas (LNG) stehen in Spanien und Portugal, das größte Europas ist in Barcelona. Die beiden Pipelines zwischen Spanien und Frankreich verfügen jedoch über keine freien Kapazitäten. Es gibt zwar noch zusätzliche LNG-Anlandekapazitäten in Griechenland und Italien. Allerdings fehlen auch hier Pipelines, um das Gas von dort in den Norden zu schicken.

An der Nordsee sollen daher insgesamt vier gemietete sogenannte Floating Storage and Regasification Units6 mit Anschluss an das deutsche Erdgasnetz etabliert werden. Die staatliche deutsche Förderbank KfW beteiligt sich an den Kosten dieser Terminals. Ein technisches Nadelöhr ist die Regasifizierung des LNG. Erstens müssen alle Ventile beheizt werden, damit sie bei der Regasifizierung nicht einfrieren und zweitens braucht der Prozess viel Zeit, so dass nur zwei Schiffe pro Monat entladen werden können. Zudem ist das deutsche Gas-Pipelinenetz für den Transport von Ost nach West ausgelegt. Das betrifft unter anderem die Verdichterstationen, die nicht einfach „rückwärts“ arbeiten können. Auch die transportierbaren Volumina sollen von Ost nach West abnehmen. Auf diese Situation scheint das von privaten Investoren im Ostseehafen Lubmin geplante Terminal besser einzugehen, weil es die vorhandene Infrastruktur ohne Richtungsumkehr nutzen könnte.

Auch bei den Transportschiffen zeigt sich ein Engpass, so dass Gas, das eingekauft wurde, nicht verschifft werden kann, weil es keine Frachter gibt, die den Transport übernehmen könnten . Derzeit sind etwa 500 dieser Tankschiffe im Einsatz. Und die Preise für den Neubau von Tankern schnellen in die Höhe. „Es war Mai, als der griechische Reeder George Economou für seine Reederei TMS Cardiff Gas bei der koreanischen Werft Hyundai Heavy Industries zwei Flüssiggastanker mit je 174.000 Kubikmeter Fassungsvermögen orderte. Der Kaufpreis pro Schiff belief sich nach Informationen der Schiffsbewertungsplattform Vessels Value auf 231 Millionen Dollar. Kurz darauf bestellte Economou im Juni laut Vessels Value bei der Reederei zwei weitere baugleiche Schiffe. Da betrug der Stückpreis bereits 243,5 Millionen Dollar“, schreibt das Handeslblatt7. Anders als bei einer Pipeline, bei welcher die Betriebskosten nach dem Bau überschaubar sind, steigen jedoch die Frachtkosten für den LNG-Transport, wenn sich überhaupt ein Reeder findet, der in neue Schiffe investieren will. Die Bauzeit für einen LNG-Frachter liegt bei 24 bis 27 Monaten. Gebaut werden die spezialisierten Tanker in Korea, Japan und China. Rund 20 LNG-Frachtschiffe werden dort aktuell jährlich produziert.

Welche Folgen haben die steigenden Gaspreise für die Stromversorgung?

Auch wenn die Politik jetzt fordert, kein Gas mehr zu verstromen, werden die Versorger das kaum vermeiden, solange es nicht verboten ist. Denn die Gaskraftwerke können äußerst flexibel auf die Elektrizitätsnachfrage reagieren. Zudem sorgt ein Gaskraftwerk mit seinen vergleichsweise hohen Kosten für die eingesetzte Energie zu höheren Profiten bei den Kraftwerken mit niedrigeren Gestehungskosten.

So liegen die Kosten von Onshore Windenergie zwischen 3,99 und 8,23 Cent pro Kilowattstunde. Stromproduktionskosten von Braunkohleanlagen liegen zwischen 4,59 bis 7,98 Cent pro Kilowattstunde. Bei Steinkohle betragen sie zwischen 6,27 und 9,86 Cent pro Kilowattstunde. Die hochflexiblen Gasturbinen produzieren mit 11,03 bis 21,94 Cent pro Kilowattstunde deutlich teurer.

Das Kraftwerk mit den teuersten Grenzkosten – das Grenzkraftwerk – definiert den Börsenpreis für alle eingesetzten Kraftwerke. Die Energiewirtschaft bezeichnet diesen Preisbildungsmechanismus als ,uniform pricing‘, da alle Kraftwerke denselben Preis für ihre Einspeisung ausgezahlt bekommen, auch wenn sie unterschiedliche Preise geboten haben.“8 Diese Art der Windfallprofits steigert die Renditen der Stromerzeuger gewaltig und kann nicht so einfach politisch ausgehebelt werden. Die Stromnachfrage in Frankreich verbunden mit den AKW-Ausfällen wirkt sich direkt auf die deutsche Gas-Situation aus, weil Frankreich einerseits Gas für seine Gaskraftwerke bezieht und anderseits Strom aus Gaskraftwerken in Deutschland bezieht.

Welche Folgen haben die steigenden Gaspreise für die Stadtwerke und die Industrie?

Stadtwerke und Industrie kommen jetzt in die Klemme.9 Die Stadtwerke müssen ihr Gas jetzt teurer einkaufen und dürfen die Preiserhöhung erst dann an ihre Kunden weitergeben, wenn dies von der Politik erlaubt wird. Die Industrie müsste ihre Abgabepreise jetzt erhöhen, was jedoch nur dann realistisch ist, wenn die Kunden die Preisanhebung auch akzeptieren. Es ist damit zu rechnen, dass einige Anbieter die Preiserhöhungen nicht verkraften werden und aus dem Markt ausscheiden, was dafür sorgen kann, dass die nächste Lieferkette reißt.

Informationen aus deutschen Stadtwerken, die teilweise erst im Rahmen der Rekommunalisierung aufgebaut worden sind, beschreiben die Lage als höchst angespannt. Viele haben in Kraftwärmekopplungsanlagen investiert, die mit den aktuellen Gaspreisen nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Dazu kommt, dass auch mit dem Gasverteilnetz in den vergangenen Jahren nur noch bedingt Geld verdient werden konnte, weil sich ein solches Netz in Neubaugebieten mit Niedrigenergiehäusern kaum noch rechnet. Dazu kommt jetzt das Problem, dass sich viele Kunden inzwischen mit Heizlüftern und anderen Elektroheizgeräten eindecken, die dann das Stromverteilnetz in die Knie zwingen, wenn man nicht rechtzeitig eine rollierenden Lockdown in den Stromverteilnetzen etabliert. Eine großflächig zusammengebrochene Stromversorgung wieder aufzubauen, ist eine Aufgabe von Wochen.

Dabei wird wohl auch in einer Gasmangellage Gas in den Verteilnetzen für die Wärmekunden verbleiben. Denn allein aus technischen Gründen könnte ein lokales Gasnetz nicht so einfach abgeschaltet werden. Die Sicherheitseinrichtungen in den Gebäuden würden beim Unterschreiten eines Mindestdrucks des Gases oder beim Leerlaufen der Gasnetze Alarm auslösen um das Eindringen von Luft und damit eine mögliche Explosionsgefahr zu vermeiden. Jedes einzelne Sicherheitsventil müsste dann durch Fachpersonal wieder entriegelt werden. Dies wäre in der Praxis nur mit sehr hohem zeitlichen Aufwand durchführbar, denn dazu müsste jedes einzelne Gebäude aufgesucht werden.

Welche mittelbaren Folgen ergeben sich, wenn Zulieferer aufgrund der hohen Energiepreise nicht mehr wettbewerbsfähig sind?

In Deutschland stehen beispielsweise die Behälterglashersteller vor dem Problem, dass ihre Glasschmelzwannen 10 bis 15 Jahre durchgängig betrieben werden, bevor sie ausgetauscht werden. Eine Unterbrechung der Gaslieferung würde dazu führen, dass die Glasschmelze in den Wannen erkaltet und die Wannen vorfristig getaucht werden müssten, was die Produktion in Deutschland schnell unwirtschaftlich macht. Will ein Unternehmen jetzt nicht einfach aus dem Markt ausscheiden, muss es sich einen Standort suchen, an dem die Gasversorgung gesichert ist. Dies scheint derzeit noch in China der Fall zu sein, zumindest solange China die Handelsbeziehungen nicht weiter einschränkt, wie aktuell den Handel mit Taiwan.

Als Konsequenz werden dann im Laufe der Zeit auch die Abnehmer der Glasbehälter folgen und ihre Produktion in diese Regionen verlagern. Ein derartige Entwicklung konnte man in der Vergangenheit schon mehrfach feststellen. So haben sich fernöstliche Hersteller von technisch Komponenten wie Motoren für analoge Plattenspieler oder Videorecorder gegen alle europäischen Abschottungsmaßnahmen durchgesetzt, indem sie statt der handelsbeschränkten Komponenten die vollständigen Geräte lieferten.

Wenn eingespielte Lieferketten jetzt aufgebrochen werden, wandern im Zweifelsfalle weitere Produktionsschritte an Standorte mit geringeren Kosten oder einer besseren Zuliefererstruktur. Im Bereich der Kameraindustrie waren die vielen kleinen Zulieferer früher in Japan, später in China und aktuell in Thailand und Vietnam den eingesessenen deutschen Herstellern deutlich überlegen.

Wird unkonventionelles Fracking in Deutschland wieder denkbar?

Mit dem sogenannten unkonventionellen Fracking lässt sich Erdgas durch Aufbrechen aus Formationen gewinnen, die sich aufgrund ihrer Struktur nicht für eine Ausbeutung mit klassischen Methoden eignen. Am meisten Potential dafür haben Vorkommen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und auf Rügen. Dieses Fracking wird aktuell vor allem in Bayern gefordert, wenn es in einem anderen Bundesland stattfinden kann. Bayern scheint derzeit den Zugriff auf seinen Gasspeicher in Salzburg zu verlieren.

Seit 2017 ist das sogenannte unkonventionelle Fracking im Gegensatz zu den konventionellen Frackingmethoden in Deutschland verboten. 2021 sollte der Bundestag das Fracking-Verbot nochmals überprüfen, was jedoch nicht geschehen ist. Solange Gas zu günstigen Preisen aus Russland geliefert wurde, war deutsches Frackingas auch nicht wirtschaftlich. Die Aussage, dass die für das unkonventionelle Fracking eingesetzten Chemikalien das Grundwasser verunreinigen können, wird inzwischen wieder infrage gestellt und als nicht belegte Behauptung von Gazprom diskreditiert10. Ob sich, abseits von Fragen des Umweltschutzes, unkonventionelles Fracking in Deutschland noch wirtschaftlich nutzen lässt, ist vor dem Hintergrund der De-Carbonisierung, die zwar aktuell in Deutschland einen Rückschlag erleidet, aber auf internationalen Druck in absehbarer Zeit wieder etabliert werden muss, äußerst fraglich.

Endnoten

1 https://www.heise.de/tp/features/Wo-kommt-das-Gas-denn-her-3364503.html

2 https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/staatlicher-ukrainischer-energiekonzern-naftogaz-geraet-in-insolvenz/

3 https://www.lngcanada.ca/

4 https://www.energyconnects.com/opinion/features/2022/march/after-20-years-of-exporting-lng-nigeria-wants-to-boost-its-consumption-at-home/

5 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/verfluessigtes-erdgas-oel-und-gaskonzern-shell-warnt-auch-lng-koennte-knapp-werden/28089360.html

6 https://www.chemietechnik.de/anlagenbau/deutschland-chartert-vier-schwimmende-lng-import-terminals-664.html

7 https://www.handelsblatt.com/politik/lng-wir-haben-gas-aber-wir-finden-keine-tanker-rueckschlag-fuer-europas-neue-energiestrategie/28510188.html

8 https://www.next-kraftwerke.de/wissen/merit-order

9 https://www.heise.de/tp/features/Stadtwerke-Unter-Druck-von-zwei-Seiten-7185324.html

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10 https://www.wiwo.de/my/politik/deutschland/erdgas-aus-deutschland-putins-propaganda-gegen-das-fracking/28224392.html

Der Autor

Dr. Christoph Jehle arbeitet in der Recherche zu historischen und aktuellen, meist technischen Entwicklungen und schreibt als freier Autor für Online- und Printmedien in Europa, darunter Telepolis.

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