Wirtschaft Inland

Lidl & Co.

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Ver.di: Überwachung bei Discountern geht weiter.

Von HELMUT LORSCHEID, 6. Juni 2008:

In mehr als 500 Lidl-Unternehmen wurden die Mitarbeiter überwacht. Das hat die Leitung der Firma in Neckarsulm gegenüber der zuständigen Datenschutzbehörde eingestanden. Bundesweit haben „mehr als 30 rechtlich selbstständige Lidl-Unternehmen zahlreiche Detekteien in mehreren Bundesländern damit beauftragt, wegen hoher Inventurverluste in mehr als 500 Lidl-Unternehmen (Anm. d. A.: gemeint sind 500 Filialen) Überwachungsmaßnahmen durchzuführen“. (1) Diese hätten sich nicht vorrangig gegen Mitarbeiter gerichtet. (1) So die Erklärung der Unternehmensführung gegenüber der baden-württembergischen Datenschutzbehörde. Auf Anfrage des Grünen Landtagsabgeordneten Jürgen Walter teilte die baden-württembergische Landesregierung auch mit, wie „intensiv“ die Datenschutzbehörde normalerweise solche Ladenketten überprüft: „Die Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich hat in den letzten fünf Jahren in zwei Fällen die Zulässigkeit der Videoüberwachung in Verkaufsräumen von Lebensmitteleinzelhandelsgeschäften überprüft. (1)

Immerhin, so die Landesregierung in ihrer Antwort, habe die Aufsichtsbehörde „im Zuge des vorliegenden Überprüfungsverfahrens  mehrere Lidl-Filialen unangemeldet kontrolliert.“ (1)

Die Aufsichtsbehörde berate entsprechend der sich aus dem Bundesdatenschutzgesetz ergebenden Verpflichtung alle nichtöffentlichen Stellen. Von diesem Angebot hätten allerdings „die Lebensmitteldiscounter in der Vergangenheit keinen Gebrauch gemacht“. (1) Die Lidl Dienstleistung GmbH & Co. KG habe jedoch nun angekündigt, das geplante neue Datenschutzkonzept für die Lidl-Unternehmen der Aufsichtsbehörde zur Begutachtung vorzulegen.

Das Image des Konzerns hat deutlich gelitten. Käufer protestieren und bleiben weg. In Deutschland erstaunlich, gehört doch hierzulande der Konsumentenboykott sonst nicht zum Repertoire der bürgerlichen Gesellschaft. Im Fall Lidl musste der Konzerngeschäftsführer zugeben, dass sich Protest regte. Klaus Gehrig, Konzernchef der Schwarz-Gruppe, erklärte gegenüber dem SWR auf die Frage, ob Lidl im Zuge der Berichte über die Vorfälle Umsatzeinbußen habe: "Ja, das haben wir. Einige Kunden haben geschrieben, sie gehen nicht mehr einkaufen und das haben wir auch gemerkt." Dies sei jedoch "der falsche Weg", weil die Kunden damit nicht das Unternehmen, sondern die Mitarbeiter bestraften. Man werde sicherlich auch "Geld in die Hand nehmen", um Kunden zurückzuholen, sagte Gehrig der "Lebensmittel Zeitung" (2)

Auf seiner Homepage verweist Lidl auf die Erarbeitung eines „neuen Sicherheitskonzepts“, mit dem Ziel, einen eindeutig definierten Rahmen zu haben, „wie Filialen und Mitarbeiter wirksam vor Diebstahl und anderen strafbaren Handlungen wie Raubüberfällen geschützt werden können,“ gleichzeitig aber auch alle Datenschutzrechte sowie Persönlichkeitsrechte von Kunden und Mitarbeitern gewahrt bleiben. Dieses Konzept werde „zusammen mit dem ehemaligen Bundesdatenschutzbeauftragten Dr. Joachim Jacob entwickelt, durch ihn geprüft und freigegeben“. (3)

Nach „dezidierter Abstimmung mit der zuständigen Datenschutzbehörde in Baden-Württemberg und Information der Datenschutzbehörden der anderen Bundesländer“ soll dieses Konzept dann in der Praxis erprobt und letztlich auch flächendeckend umgesetzt werden. Die organisatorischen Maßnahmen zielten vor allem auf die bessere Sensibilisierung und Information der Mitarbeiter zum Thema Warendiebstahl und Inventurverlust ab. Lidl, so heißt es weiter, habe das Gespräch mit dem Bundesverband Deutscher Detektive (BDD) gesucht, um dessen Expertise in Bezug auf die Ausbildung und den Einsatz von Detektiven mit in das eigene, neue Sicherheitskonzept einzubinden. In diesem Zusammenhang hat Lidl mit dem BDD Eckpunkte einer Zusammenarbeit definiert, die in naher Zukunft gemeinsam im Detail ausgearbeitet und umgesetzt werden sollen: Lidl unterstütze das Bestreben des BDD nach einem verbindlichen Qualitätsstandard für Detektive in Deutschland. An einem solchen, noch festzulegenden Standard will sich das Unternehmen bei der zukünftigen Auswahl von Detekteien orientieren. Um diese Arbeit für einen verbindlichen Qualitätsstandard zu fördern, werde Lidl Fördermitglied des BDD. (3)

Lidl will also weiterhin seine Mitarbeiter überwachen, dabei aber größeren Wert auf geltende Gesetze legen. Aufgrund der dezentralen Struktur des Lidl-Imperiums sind in mehreren Bundesländern die Landesdatenschützer mit der Prüfung der nach den Landesdatenschutzgesetzen möglichen Sanktionsmaßnahmen gegen die jeweils Verantwortlichen befasst.

Überwachungen von Mitarbeitern gab es auch in anderen Betrieben, vor allem bei anderen Discountern und Ladenketten im Einzelhandel. Aufgedeckt wurden Fälle bei Schlecker, Edeka, Plus und Netto, aber auch beim Fleischzulieferer Tönnies. Allerdings nicht in der Intensität wie sie bei Lidl dokumentiert ist. (4)

Achim Neumann, für den Bereich Handel zuständiger Gewerkschaftssekretär bei ver.di in Berlin kann bei Lidl keine große Änderung feststellen. Lidl versuche sich „rein zu waschen“, sei aber unfähig ein Problem- oder gar Schuldbewusstsein zu kultivieren. Neumann: „Ich denke, bei Lidl wird nach dem Grundsatz verfahren: Lasst uns mal mit Sympathieaktionen den Schwamm über die Dinge legen, in ein paar Wochen ist das vergessen und wir machen business as usual.“ Das bedeute, so Neumann weiter: „Angst um Arbeitsplatz, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Missachtung von Rechten, Willkür von Vorgesetzten, Einkommen die zum Leben nicht reichen, Diskriminierungen und Arbeitshetze sowie ständige Kontrollen.“ (5)

Nach wie vor, so Neumann gegenüber Hintergrund, werde bei Lidl „die Bildung von gewerkschaftlich organisierten Betriebsräten konsequent bekämpft.“(4) Das gelinge aber nicht immer, so sei es beispielsweise Anfang Mai in Renningen gelungen, einen weiteren Betriebsrat in einer Lidl-Niederlassung zu gründen. Bisher gab es in Baden-Württemberg nur bei Lidl in Stuttgart-Feuerbach einen Betriebsrat. Bundesweit gibt es bisher lediglich in sieben Lidl-Firmen Betriebsräte. (4)

 

(1) Antwort der Landesregierung Baden-Württemberg auf eine Anfrage der Grünen im Landtag
http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/2000/14_2576_d.pdf

(2) http://www.n-tv.de/947130.htm

(3) http://www.lidl.de/cps/rde/xchg/lidl_de/hs.xsl/11530_43389.htmg

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(4) Telefonate mit Achim Neumann

(5) Achim Neumann im RBB-Interview, 13. Mai 2008

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