Ukraine-Krieg

Ein bisschen Frieden

Hintergrund-Medienrundschau vom 29. März 2022

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(Redaktion/29.3.22) Immer noch kein Frieden. Nicht in der Ukraine, nicht im Jemen, nicht in den vielen anderen Konflikten auf der Welt (eine Übersicht bei Wikipedia). Aber leider gibt es auch keine Friedenspolitik. Die Politiker reden vom Krieg, von Sanktionen, noch härteren Sanktionen, noch viel härteren Sanktionen. Oder sie sprechen vom Regime Change – US-Präsidenten wie Joe Biden sind da schließlich Experten (zur Rede in Warschau: Krass & Konkret, 27.3.22). Aber vom Frieden?

Auf Facebook hat Tom Wellbrock, einer der Neulandrebellen, darauf hingewiesen, dass vom Frieden wenig zu hören ist: „Achtet mal drauf, sucht mal danach, in Zeitungen, im Fernsehen, Radio und im Netz. Welcher Politiker hat in den letzten Wochen das Wort ,Frieden‘ verwendet? Welcher Politiker hat in den letzten Wochen offen über die Erreichung des Friedens gesprochen? Wie viele Vorschläge zur Deeskalation wurden gemacht? Wie oft wurde eine bewusst wertschätzende diplomatische Sprache verwendet?“ Da ist nicht viel zu finden.

In den Stunden, in denen diese Medienrundschau geschrieben wird, treffen sich die Konfliktparteien Russland und die Ukraine. Reden ist immer gut. Die aktuelle Situation, gut einen Monat nach dem Kriegsbeginn, haben wir in einem nüchternen Text beschrieben (hintergrund.de, 29.3.22). Dieser Text möchte hingegen ein wenig dem Frieden nachspüren. Von dem wenig die Rede ist und den sich viele bei der stetig steigenden Eskalation kaum mehr vorstellen können. Aber er ist nötig. Zumindest als Perspektive. Als Perspektive in einer Zeit, in der alle evangelischen Landeskirchen begrüßen, wenn Waffen in die Ukraine gesendet werden. Gibt es künftig Aufkleber mit dem Slogan „Pflugscharen zu Schwertern“? Immerhin gibt es auch andere Stimmen. Margot Käßmann zum Beispiel. Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland hat darauf hingewiesen, dass (auch) dieser Krieg nicht durch Waffen beendet wird, „sondern nur durch Sanktionen, Verhandlungen und Diplomatie“ (BR, 29.3.22). Das ist einfach. Das ist banal. Und es ist wahr.

Wie genau kommen wir zum Frieden? Daniela Dahn hat sich im Online-Magazin Telepolis Gedanken darüber gemacht. Ihre Quintessenz: Es kommt auf die Menschen an, die die Entscheidung über Krieg und Frieden den einsamen Machthabern entreißen müssten: „Nur zivile Logik, derer sich jetzt die junge Generation annimmt, kann das Überleben der Gattung wahrscheinlicher machen. Wir sind verdammt, uns zu vertragen, und das geschieht uns recht. “ (Telepolis, 28.3.22). Dahn erinnert in ihrem Text übrigens auch an Wladimir Putins persönliche Erinnerungen, die er anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes in der FAZ veröffentlichen konnte (FAZ, 9.5.15, Bezahlschranke).

Peter Nowak machte in der vergangenen Woche ebenfalls bei Telepolis auf die Erklärung der Zapatisten zum aktuellen Krieg aufmerksam, deren Lektüre in jedem Fall interessant ist (Telepolis, 27.3.22). Sie enthält die Feststellung, dass die Proteste gegen den Krieg nicht bedeuten, man unterstütze eine Seite: „Weder Selenskyj noch Putin. Stopp dem Krieg.“ Schließlich sei eines klar, so die Zapatisten: „Die Gewinner dieses Krieges werden die Waffenkonzerne und die großen Kapitale sein, die jetzt die Gelegenheit sehen, um Gebiete zu erobern, zu zerstören und wieder aufzubauen.“ Konkret: Was kaputt ist, muss aufgebaut werden, und auch ansonsten geht es immer wieder um Absatzmärkte. Aktuell um Waffen. Auch im ND weist Tanja Röckemann auf die Erklärung der Zapatisten hin und auf Moische Postones Warnung, dass Linke sich in den bestehenden Verhältnissen nicht widerspruchsfrei positionieren sollten (ND, 18.3.22). Was oft schwer fällt.

Immerhin finden sich wenige nachdenkliche Stimmen auch in den Mainstream-Medien. Zum Beispiel (mal wieder) in der Berliner Zeitung (in einer Übernahme aus dem Wall Street Journal). Michael von der Schulenburg hat als hochrangiger Diplomat für die Vereinten Nationen in vielen Konfliktregionen der Welt gearbeitet. Angesichts der aktuellen Lage und der Bedrohung durch einen Atomkrieg drängt er zu Verhandlungen und zum Ende des Krieges: „Und wenn es noch so etwas wie gesunden Menschenverstand gibt, sollte man nicht nur eine vorübergehende Lösung anstreben, sondern nach einer umfassenden europäischen Friedensregelung suchen.“ (Berliner Zeitung, 26.3.22, ohne Bezahlschranke bei Karenia)

Schaut man in die Kriegsberichterstattung dieser Tage, scheint es mit dem gesunden Menschenverstand aber nicht weit her zu sein. Und die Berichterstattung wirkt bei den Adressaten. Das hat jeder, der für den Frieden einsteht, vermutlich schon auf die eine oder andere Weise erlebt. Udo Brandes hat das für die Nachdenkseiten unter der Frage, wie das mit „Gut und Böse“ in diesem Konflikt ist, einmal aufgeschrieben (Nachdenkseiten, 28.3.22). Er verweist darin auf die besonnenen Stimmen von Robert Roisch und Holger Panhußen, die vor zwei Wochen übrigens ebenfalls in der Berliner Zeitung über die Notwendigkeit des Friedens schrieben (Berliner Zeitung, 12.3.22, Bezahlschranke). Sie forderten die Kapitulation der Ukraine, um das Blutvergießen zu beenden. Aber genau das darf offenbar nicht sein, einige der Bekannten von Brandes, denen er den Text geschickt hatte, äußerten scharfen Widerspruch. Brandes indes verweist auf die Notwendigkeit, dass sich Politiker nicht einfach so feindseligen Gefühlen hingegeben (wie dies vielleicht die Leserschaft der Medien tun darf). Es muss immer die Möglichkeit des Gesprächs da sein. Und wen man heute beschimpft, wird man morgen kaum an einen Verhandlungstisch einladen können.

Menschen wie Annalena Baerbock, die Brandes konkret nennt, könnte man mit Caitlin Johnson auch als gefährlich naiv bezeichnen. Sie legen eine Naivität an den Tag, wenn sie „für die Ukraine“ einstehen, Waffen liefern wollen und dem Hass freien Lauf lassen (Rubikon, 23.3.22). Ein Krieg ist kein Comicfilm mit Gut und Böse in eindeutigen Rollen. Man solle nicht dem massenmedial verbreiteten Unsinn glauben, schreibt sie. Wir zitieren sie nicht nur deshalb gern, sondern auch wegen solcher Sätze: „Es ist nicht in Ordnung, im Jahr 2022 ein Erwachsener zu sein, ohne über die Möglichkeit nachzudenken, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen.“

Manchmal sind die Dinge einfach ausgedrückt (aber leider doch so schwer zu haben). Johnsons einfache Sätze mit einfachen Hinweisen (man mag „Wahrheiten“ in diesen Zeiten nicht so gern schreiben) ergänzt Gerd Ewen Ungars Text zum Frieren, um den Panzerkauf des Gegners zu verhindern (Spoiler: das funktioniert so nicht) (Neulandrebellen, 29.3.22). Auch Jens Berger weist immer wieder darauf hin, dass die Sanktionen als Boomrang zu uns zurückkehren (Nachdenkseiten, 29.2.22, mit Links zu weiteren Texten zum Thema).

Was fehlt? Derzeit immer noch eine vernünftige Begründung für eine Corona-Impfpflicht, um mal das zweite große Thema dieser Tage anzusprechen. Thomas Moser hat den derzeitigen Stand (inklusive einer Kurzbeschreibung der verschiedenen Anträge) zusammengefasst und rechnet nicht mit Klugheit. Wo soll diese auch herkommen? Übrigens lohnt die Lektüre des Textes mit der schönen Überschrift „Impf & Schande“ bis zum Schluss. Da gelingt es dem Autor angesichts zweier Beispiele aus dem Profifußball den Irrsinn auf die Spitze zu treiben. Was ob des realen Irrsinns gar nicht so einfach ist (Krass & Konkret, 29.3.22).

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Uns fehlen dieser Tage wahrlich auch nicht die trüben Aussichten. Aber Norbert Häring muss ja unbedingt noch einen Daraufsetzen mit seiner (wie immer) brillanten Recherche zu globalen Pandemieplänen und dem möglichen Dauer-Ausnahmezustand (norberthaering.de, 29.3.22). Immer wenn irgendwo ein Lichtlein scheint – aktuell die Verhandlungen in der Türkei und immer weniger sinnfreie Corona-Maßnahmen – findet sich der nächste Hammer. Aber: Don‘t blame the messenger. Apropos: Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit, Julian Assange (Nachdenkseiten, 25.3.22)!

Fehlen wird kommende Woche übrigens eine Ausgabe der Medienrundschau. Urlaubsbedingt. Bleiben Sie uns gleichwohl gewogen, schauen Sie wieder rein und empfehlen Sie uns weiter. Zu sagen bleibt: Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung. Und senden Sie uns gerne Vorschläge für diese Rubrik: redaktion@hintergrund.de.

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