Ukrainie-Krise

Es bleibt Krieg

Hintergrund-Medienrundschau vom 1. März 2022

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REDAKTION, 1. März 2022. Nachrichten schauen, Nachrichten lesen macht dieser Tage schwindelig. Ängstlich. Wütend. Und Ohnmächtig. Zum Mündungsfeuer der Waffen gesellt sich das Dauerfeuer der Propaganda. Ohne sie ist der Krieg nicht denkbar. Propaganda freilich auf allen Seiten. Was ist los? Wie können wir die Situation einordnen? Hintergrund.de versucht eine Schneise in die Propaganda zu schlagen und nach den Hintergründen der aktuellen Krisen zu suchen. Der Blick geht in verschiedene Richtungen. In die Alternativmedien, die sogenannten Mainstream-Medien und zurück in die Geschichte. Denn ohne Geschichte lässt sich die Gegenwart nicht begreifen.

Wir sind uns bewusst, dass die folgende Sammlung nur ein kleiner Ausschnitt des Ganzen ist. Informieren Sie sich auf vielen verschiedenen Wegen. Versuchen Sie der Propaganda aller Seiten zu widerstehen und stehen sie aufrecht auf zwei Beinen. Denn wer mit einem Bein in Moskau steht, oder gar in Washington, der wird nicht eigenständig gehen können. Und auch nicht selbstständig denken.

Seit knapp einer Woche dominiert der Krieg in der Ukraine die Berichterstattung landauf, landab. Bundeskanzler Scholz spricht von der „Zeitenwende“ (Twitter, 27.2.22), auch wenn wir beileibe nicht den „ersten Krieg in Europa nach 1945“ erleben. Das wissen die Griechen (Telepolis, 1.3.22), Radio Flora (Radio Flora, 1.3.22) und beispielsweise auch die dpa (dpa/ZDF, 25.2.22). Ralf Stegner hat da in Geschichte allerdings nicht so aufgepasst, wenn er vom ersten Überfall auf ein souveränes Land in Europa twittert (Twitter, 25.2.22). Jugoslawien? War da was? Die Twitter-Nutzer haben Stegner zurechtgewiesen.

Schaut man auf die Ukraine, kann man in der Rückschau auf die vergangenen acht Jahre konstatieren: Es bleibt Krieg. Denn in dieser Zeit herrschte im Osten des Landes Krieg (ein beispielhafter Rückblick: Telepolis, 14.3.20). Mit der jetzigen Eskalation wird es für die Menschen schlimmer. In der ganzen Ukraine und darüber hinaus. Keine Frage.

In Deutschland kennt die politische Klasse wieder einmal keine Parteien mehr, schreibt Albrecht Müller und fasst einige wichtige Aspekte der vergangenen Tage zusammen (Nachdenkseiten, 28.2.22). Dem „Westen“ geht es ganz offensichtlich darum, Russland zu ruinieren (German Foreign Policy, 1.3.22), er will Russland in die Enge treiben und besiegen. Endlich. Deswegen die Waffenlieferungen und keine Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen über Sicherheitsgarantien (RT DE, 17.2.22).

Im Mainstream wird derweil eifrig pathologisiert. Putin scheint „ernsthaft wahnsinnig“, meint der britische Historiker Timothy Garton Ash (dpa/Handelsblatt, 24.2.22). Andere sehen ihn im „Cäsarenwahn“ oder diagnostizieren Anzeichen von Realitätsverlust (RND, 24.2.22). In ihm herrschten eine wahnsinnige zerstörerische Wut und ein blinder Hass, so der ukrainische Psychoanalytiker Jurko Prochasko aus Lemberg. „Wir haben es mit einem sehr, sehr kranken Menschen an der Spitze des größten Landes zu tun.“ (Deutschlandfunk, 26.2.22) Und natürlich ist auch der nächste Hitler (nach Saddam Hussein, Slobodan Milosovic oder Bashar Al Asad, um nur einige zu nennen), so bezeichnete ihn gerade erst der ukrainische UN-Botschafter (dpa/Tagesspiegel, 1.3.22).

Immerhin: In den Alternativmedien sind besonnene Stimmen zu hören. Wo auch sonst. Norman Peach, Völkerrechtler und einst Bundestagsabgeordneter der Linken kritisiert den Krieg Russlands gegen die Ukraine und schaut dann auf die Nato: „Doch die Politik erschöpft sich im Ausdenken der gemeinsten Sanktionen, die Russland am heftigsten weh tun. Man erfreut sich am Wiederaufleben der bereits totgesagten Nato. Zudem werden die alten Legenden von der Wiedererrichtung des alten russischen Großreichs und Rückkehr zur alten Größe des Zarenreichs aufgewärmt. Über die eigenen Fehler, die eigenen Provokationen und Aggressionen, die Putin in die Ecke getrieben haben, redet keiner.“ (Telepolis, 28.2.22)

Die Politik des Westens gegenüber Russland und der Ukraine ist auch Thema einer Übersicht der Redaktion des Magazins Multipolar, die am Ende ihrer historischen Rückschau konstatiert: „Es scheint, als könne manchem die weitere internationale Eskalation des Konfliktes gar nicht schnell genug gehen. Putins radikaler Schritt, sein völkerrechtswidriger Angriff, ermöglicht es nun auch den Scharfmachern im Westen, radikaler zu agieren als je zuvor. Europa stehen weitere schwarze Tage bevor.“ (Multipolar, 28.2.22) Mathias Brökers schreibt angesichts der Faktenlage (und zehn aufgeführten Punkten von Verfassungsbruch nach dem Maidan-Putsch 2014 bis zur Frage der „Entnazifizierung“), warum er immer noch ein Putinversteher ist (broeckers.com, 25.2.22).

Wie kann der Krieg enden? Schwer zu sagen. Thomas Röper meint, es wäre einfach, wenn der Westen wolle: „Wenn es dem Westen wirklich um Frieden ginge, könnte er immer noch sofort auf zumindest eine russische Forderung eingehen, um die Feindseligkeiten umgehend zu beenden: Der Westen könnte offiziell verkünden und schriftlich garantieren, dass er die Ukraine nicht in EU und NATO aufnimmt, dass die Ukraine ein neutrales Land wird und dass der Westen alle Waffenlieferungen an die Ukraine einstellt. Der Westen könnte sich unter diesen Umständen mit an den Verhandlungstisch setzen und Kiew klar machen, dass weitere Kämpfe sinnlos sind und Russland garantieren, dass der Donbass nicht mehr von Kiew beschossen wird und dass die Ukraine ein neutrales Land bleibt.“ (Anti-Spiegel, 1.3.22) Daraus wird wohl nichts, die Ziele des Westens sind andere (siehe oben)

Der ehemalige Botschafter und jetzige Aktivist Craig Murray fragt sich derweil, was Russland und insbesondere Wladimir Putin erreichen will: „Es ist einfach unmöglich – und das schon seit der Annexion der Krim – dass eine demokratische Ukraine freiwillig eine prorussische Regierung wählt. Nach dieser Invasion könnte ein Putin-freundliches Regime in der Ukraine nur durch einen extremen Autoritarismus aufrechterhalten werden, der weit über das in Russland selbst vorherrschende System hinausgeht.“ (Nachdenkseiten, 1.3.22) Und er schreibt auch: „Putin hat seine Verhandlungsposition nicht verbessert.“ Er handelt nicht in einer Position der Stärke.

Was fehlt? Vieles. Zum Beispiel die Friedensbewegung. Sie hat versagt, das kann man so deutlich ausdrücken wie Tim Gerber (Telepolis, 27.2.22). Auch fehlt die politische Linke. Zumindest in diesem Text. Nehmen wir uns diese für eine nächste Medienschau vor. Was auch fehlt sind authentische Stimmen von vor Ort. Sie sind schwer zu finden. Zumindest in deutscher Sprache. Im Freitag haben wir heute einen Augenzeugenbericht gelesen (Freitag, 1.3.22). Weitere Hinweise nehmen wir gerne entgegen.

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Zum Abschluss noch ein Blick ins Archiv. Die Ukrainie-Krise beschäftigt die Hintergrund-Redaktion schon viele Jahre. Schauen Sie beispielsweise doch noch einmal in das Ukraine Spezial aus dem Frühjahr 2014. Dort sind die Ereignisse rund um den Umsturz vielfältig dargestellt (Hintergrund.de, 2014)

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