Demonstration Berlin

Gekommen, um zu bleiben: Die neue Friedensbewegung

Der gesellschaftlichen Oppositionsbewegung in der Bundesrepublik fehlt eine klare und zentrale Struktur, um etwas erreichen und verändern zu können. Das stellte der kritische Journalist Uli Gellermann am Sonnabend in Berlin fest. Er nahm in der Hauptstadt an einer Demonstration teil, die sich für die Aufarbeitung der Corona-Politik ebenso einsetzte wie für den Weltfrieden. Aufgerufen dazu hatte das Berliner Bündnis „Wir sind viele“ aus Aktivisten und Gruppen aus der kritischen Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen gemeinsam mit Gruppen aus der „Querdenken“-Bewegung.

Auch vom Friedenscamp Ramstein waren Teilnehmer nach Berlin gekommen.
Foto | Rechte: Tilo Gräser, Mehr Infos

Doch es waren nicht nur jene, die sich zu den „Querdenken“-Gruppen in verschiedenen Orten zählen und bekennen, auch wenn die etablierten Medien in ihren Berichten über die Veranstaltung alle wieder nur „Querdenker“ nannten. Zu den Teilnehmern aus verschiedenen Regionen und Städten der Bundesrepublik wie Dresden, Essen, Freiburg, Leipzig oder Neubrandenburg gehörten Kritiker der Corona-Politik und der Impfkampagne gegen Covid-19 ebenso wie Friedensbewegte, die sich seit Jahrzehnten gegen Krieg und Aufrüstung engagieren.

Zu ihnen zählt Gellermann, der auf eine Frage dazu bekannte, dass er eigentlich gar nicht mehr zu Demonstrationen gehen möchte. Aber das sei dennoch weiter notwendig: „Wir haben gar keine andere Möglichkeit. Wir haben nur dieses Mittel der Demonstration, der Blockaden, der Verweigerung, um uns zu wehren, weil die Zeit des Wehrens immer noch angesagt ist.“ Und: „Wir brauchen die Kraft der Massen, um vielleicht das Land mal auf einen anderen Kurs zu bringen.“

Fehlende „Einheit in Aktion“

Doch es wurden keine Massen, die an dem Samstag zum Brandenburger Tor kamen. Es waren nicht nur weit weniger als die Hunderttausenden bei den Demonstrationen gegen die Corona-Politik im Sommer 2020, an die mehrmals erinnert wurde. Es waren auch weniger als die mehreren Zehntausend, die am 25. Februar am selben Ort dem Aufruf der Initiatoren und Unterzeichner des „Manifestes für Frieden“ um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer gefolgt waren. Damals war viel von einem Start einer neuen großen Friedens- und Bürgerbewegung die Rede. Doch den großen Worten auf der Bühne folgten nicht einmal kleine Taten.

Und so kamen am 5. August immerhin etwa 4.500 Menschen zusammen, um nicht nur Weltfrieden zu fordern, sondern auch einen „Tag der Aufarbeitung für eine Zukunft in Frieden, Freiheit und Freude“ zu veranstalten. Gellermann bedauerte, dass Wagenknecht und Schwarzer den Impuls ihres Manifestes, das inzwischen mehr als 850.000 Unterschriften trägt, nicht dauerhaft auf die Straßen gebracht haben. Dabei wäre es wichtig, das politisch Übergreifende zu nutzen, um eine „Einheit in der Aktion“ herzustellen. Doch dazu fehle auch eine organisatorische Basis, eine Struktur für die Bewegung.

Die Gruppen, die die Veranstaltung organisiert hatten, forderten „die sofortige Beendigung aller Kriege und kriegerischen Auseinandersetzungen durch Diplomatie und die Stilllegung der Waffenindustrie weltweit“. Ihnen ging es außerdem um „die vollständige Wiederherstellung unserer Grundrechte“ sowie um „umfassende politische Reformen, die einen Ausverkauf unserer Menschenrechte an Konzerne der Globalisten verhindern“. Eine Forderung waren „freie und unabhängige Medien und Wissenschaften ohne Zensur“. Die „glasklare Aufarbeitung der Corona-Politik der letzten Jahre“ wurde genauso verlangt wie der sofortige Stopp der sogenannten Covid-Impfung. „Und wir wollen unser geliebtes Bargeld behalten“, hieß es von der Bühne zu Beginn der mehrstündigen Veranstaltung aus Kundgebung und Demonstration durch Berlins Zentrum.

Vielfalt an Forderungen und Themen

So bunt und vielfältig wie die Forderungen der Organisatoren waren auch die Losungen und Sprüche auf den Transparenten und Plakaten, die die Menschen am Samstag zum Brandenburger Tor mitgebracht hatten. Da wurde „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“ ebenso gefordert wie „Raus aus der NATO“. An Opfer der Injektionen mit den experimentellen Gentherapie-Stoffen wurde ebenso erinnert wie an die Opfer der Kriege des Westens. „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“, forderte das Friedenscamp Ramstein, das in Berlin dabei war. „Nur Frieden gibt Sicherheit“ war auf einem Schild zu lesen, während eine Frau auf einem Transparent „Weltfrieden mit Russland und China“ forderte und fragte: „Oder wollt Ihr Weltkrieg mit US/NATO?“.

„Krieg lässt sich nicht verhindern“, hatte Markus Püschel aus Berlin auf einem Schild an seinem Fahrrad geschrieben und hinzugefügt, „aber warum nicht mal die echten Arschlöcher bekämpfen? Wenn sich das sogar die 3. Welt traut …“. Daraufhin angesprochen sagte er: „Es wird immer Leute geben, die versuchen, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Und früher hieß es immer: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Irgendwann kam jemand drauf: Dann kommt der Krieg zu dir. Und das ist ja leider wahr.“

Püschel zeigte sich eher skeptisch mit Blick auf den Erfolg der Friedensdemonstrationen und meinte zur geringen Teilnehmerzahl in der „Höhle des Löwen“: „Ich meine, die meisten Leute, die hier wohnen, werden wahrscheinlich irgendwo von dem System profitieren, gegen das wir demonstrieren. Ich sehe das in meiner Nachbarschaft. Ich bin da eigentlich ziemlich allein und das dürfte für die meisten hier gelten. Ich glaube, Berlin ist nicht repräsentativ für den Rest.“

Alte Methoden weiter erfolgreich

Anders als der 55-jährige Berliner sieht es Horst Aden, geboren 1932 und immer noch aktiv bei den Demonstrationen dabei, ob gegen die Corona-Politik oder für den Frieden. Er sehe, wohin die Gesellschaft getrieben werde, sagte er auf die Frage nach dem Motiv seines Dabeiseins. „Und ich möchte etwas dagegen tun. Viel kann ich nicht machen, aber hier mitzugehen, steht in meinen Kräften.“

Er habe den Zweiten Weltkrieg ganz bewusst erlebt, sagte der 1932 Geborene. Ebenso habe er dann 1945 die Enttäuschung vieler erlebt, die spätestens damals aufgewacht seien. Aden erinnerte im Gespräch daran, dass die Nazis durch das große Kapital an die Macht kamen. „Und jetzt sind diejenigen, die gegen die Machenschaften der Mächtigen protestieren, angeblich Nazis. Das ist irrsinnig.“ Zu anhaltenden Spaltung der kritischen Kräfte in der Bundesrepublik, die sich auch in Debatten und Abgrenzungen zwischen „alter“ und „neuer“ Friedensbewegung zeigt, erklärte der 91-Jährige: „Das ist die alte Methode ‚Teile und herrsche‘. „Die gespaltenen Einzelteile kann man viel besser beherrschen. Das ist ein uraltes Verfahren.“

Heute geschehe das, indem Kritiker als „Nazis“ oder „Antisemiten“ verleumdet würden, obwohl sie damit nichts zu tun haben. Es gehe nur darum, „die Leute davon abzuschrecken, sich mit denen zu unterhalten“, so der 91-Jährige. Ein Beispiel für diese gewollte Spaltung lieferten nicht nur Friedensaktivisten, die im Vorfeld der Demonstration erklärten, nicht gemeinsam mit Menschen wie „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg, Rechtsanwalt Ralf Ludwig und Anselm Lenz von der Zeitung Demokratischer Widerstand (DW) für Frieden demonstrieren zu können.

Verdrehte Welt à la Orwell

Ein anderes Beispiel für den von Aden beschriebenen Irrsinn lieferte am Rande des Demonstrationszuges eine kleine Gruppe von selbst ernannten Antifaschisten. Sie warfen den anderen auf der Straße per Plakat vor „Ihr seid die Wegbereiter des Faschismus“. Einige von ihnen trugen Masken oder Echsenkostüme, manche bezeichneten sich als „Omas gegen rechts“ und beschimpften unter dem Schutz der Polizei jene, die für Frieden und die Aufarbeitung der Corona-Politik demonstrierten. Diese ließen sich nicht weiter provozieren.

Mehr als sechs Stunden lang wurde geredet, spielten und sangen Musiker wie Jens Fischer-Rodrian und Karsten Troyke und wurde zwischendurch durch Berlins Mitte demonstriert. Neben DW-Gründer Lenz und dessen Mitstreiter Hendrik Sodenkamp, Ballweg und Ludwig sprachen auf den beiden Kundgebungen vor und nach der Demonstration die Friedensaktivistin Christiane Reymann, der Journalist und Aktivist Kayvan Soufi-Siavash, der Arzt Heiko Schöning und der Unternehmer Wolfgang Kochanek. Sie rechneten mit der Politik in der Corona-Krise wie auch allgemein ebenso ab wie mit den Waffenlieferungen in die Ukraine. Sie sprachen sich gegen die zunehmende staatliche Zensur aus wie auch gegen das zunehmende Klima von Denunziation und Hetze.

Keine Berührungsängste im Unterschied zu einigen aus der „alten“ Friedensbewegung hatte Christiane Reymann, Journalistin, Publizistin und Friedensaktivistin. „Ich war 1982 im Bonner Hofgarten mit Hunderttausenden anderen“, berichtete sie auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor. „Wir wollten, dass die Atomraketen raus aus Europa kommen. Wir haben es leider nicht geschafft. Sonst sähe es heute anders aus.“ Damals protestierten mehrere Hunderttausend Menschen in Bonn gegen die NATO-Atomrüstung. „Für mich gibt es keinen Grund, abzuschwören“, sagte Reymann. „Abrüstung und ein europäisches Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands sind nötiger denn je.“

Gemeinsamkeiten statt Trennendem suchen

Sie rief dazu auf, die Unterschiede der „alten“ und „neuen“ Friedensbewegungen nicht als Trennendes zu sehen: „Wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir Interesse aneinander haben, wenn wir zuhören, wenn wir nach Schnittpunkten von Gemeinsamkeiten suchen. Und die sind in der Frage Frieden wichtiger denn je.“ Reymann warnte, dass der Krieg in der Ukraine „beabsichtigt oder aus Versehen völlig außer Kontrolle“ geraten könne. Deutschland sei selbst zur Kriegspartei geworden stellte sie mit Blick auf die Ausbildung ukrainischer Militärs und die Waffenlieferungen fest.

Die Friedensaktivistin kritisierte ebenso den Wirtschaftskrieg gegen Russland: „Der ist völkerrechtswidrig. Nur der UNO-Sicherheitsrat ist berechtigt, Sanktionen zu verhängen.“ Die Wirtschaftssanktionen des Werte-Westens seien ein Wirtschaftskrieg und Unrecht. „Und wo Recht zu Unrecht wird, ist Widerstand Pflicht.“ Reymann widersprach den offiziellen Mythen zum Krieg in der Ukraine. Bei diesen werde verschwiegen, dass der Krieg in dem Land bereits 2014 durch die nach dem Putsch an die Macht gekommene Kiewer Führung gegen die eigene Bevölkerung in der Ostukraine begonnen wurde. Sie berichtete von ihren Besuchen dort, als sie gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Gehrcke und anderen Hilfsgüter in ein Krankenhaus in Gorlowka brachte.

Wie viele der Demonstranten forderte Reymann, dass die US-Truppen samt ihrer Atomraketen Deutschland verlassen sollten. Dafür bekam sie ebenso viel Beifall wie für ihre Forderung, der Regierung die Gefolgschaft zu verweigern „in der Spur der Zerstörung, die sie zieht“. Denn: „Wir sind Botschafterinnen und Botschafter des Friedens, wir lieben das Leben. Wir lieben alles Lebendige. Wir lieben alles Widersprüchliche, alles Neugierige.“

Zu jeder Gelegenheit für Frieden

Immer wieder erinnerten sich Teilnehmer an der Kundgebung am Brandenburger Tor und bei der Demonstration am Samstag an die von Wagenknecht und Schwarzer initiierte Friedensdemonstration am 25. Februar. Damals waren Katja aus Erkner, Beate aus Oranienburg und Regina aus Hannover dabei gewesen. Sie trafen sich am Samstag am selben Ort, um wieder für Frieden zu demonstrieren, wie sie erklärten. Sie hätten sich über die Chat-Funktion auf der Manifest-Webseite kennengelernt und dann verabredet, berichteten sie.

Sie seien dem Aufruf des Bündnisses „Wir sind viele“ gefolgt, „weil wir jede Gelegenheit nutzen, für den Frieden zu demonstrieren“. Die drei Frauen trugen blaue Fahnen mit weißen Friedenstauben mit sich, die bei vielen an diesem Tag in Berlin zu sehen waren. Für das weitgespannte Anliegen der Organisatoren hätten sie weniger übrig, sagten sie. Aber für sie wäre es wichtig, „hauptsächlich“ für den Frieden und Waffenstillstandsverhandlungen in der Ukraine zu demonstrieren. Sie wollten sich selbst ein Bild von der sogenannten neuen Friedensbewegung machen, fügten die drei hinzu.

Ein Paar war aus Dresden in die Hauptstadt gekommen: „Für ein gutes Gefühl, für eine gute Sache, für eine neue, bessere Welt“, beschrieb der Mann die Motive der beiden. Sie waren nicht das erste Mal in Berlin dabei und sind auch in der sächsischen Hauptstadt aktiv, wie sie berichteten. Sie trugen drei kleine Fahnen mit sich, eine deutsche, eine russische und eine mit Friedenstaube und dem Wort Frieden in mehreren Sprachen. Ohne Russland gibt es keinen Frieden, sagte der Dresdner dazu und fragte: „Soll Russland zerbombt und atomar vernichtet werden? Sind wir wahnsinnig?“

Klare Worte eines Sängers

„Wir alle, die wir hier sind, werden als ‚Friedensschwurbler‘ oder als ‚Lumpenpazifisten‘ degradiert“, beklagte der Musiker Jens Fischer-Rodrian zwischen zwei Liedern auf der Bühne am Brandenburger Tor. Das erfolge vor allem „aus dem linksgrünen Spektrum, meiner ehemaligen politischen Heimat“. Der Musiker rief den Weg der Grünen von Kriegs- und NATO-Gegnern sowie Umweltschützern hin zu Kriegsbefürwortern und Waffenlieferern und US-Fracking-Gas-Beziehern in Erinnerung. „Die Grünen und die SPD haben alle Werte verraten, für die sie einst angetreten waren, und sind heute zu einer Gefahr für Frieden und Freiheit in Europa geworden.“

Mit klaren Worten kritisierte Fischer-Rodrian die „geschichtsvergessene, ungebildete, korrupte und inkompetente“ Bundesregierung, „die ihresgleichen sucht“. Und erinnerte auch an Folgendes: „Kein Krieg der US-amerikanischen Regierung und der NATO wurde je mit denselben Kriterien verurteilt wie der Krieg in der Ukraine. All diese Kriege haben das Leben der Menschen nie verbessert. Unter dem verlogenen Deckmantel der Wahrung der Menschenrechte ging es immer nur um geopolitische Vorteile, Ressourcen, Sicherung und die Interessen der Rüstungsindustrie.“

Viele frühere Aktivisten und Liedermacher würden ihre alten Friedenslieder kaum noch singen, oder würden sie sogar gar neu schreiben. Bevor er mit seiner Band das eigene Friedenslied „Wir sind gekommen, um zu bleiben“ spielt, stellte Fischer-Rodrian klar: „Wir, die Friedens- und Freiheitsbewegungen, lassen uns nicht wegreden, weg schreiben oder diffamieren. Wir sind gekommen, um zu bleiben.“

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