Innenpolitik

Der Anschlag in Berlin mit vielen Fragezeichen

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Jason Bourne ist mittlerweile eine Kinolegende. Dargestellt von Matt Damon rast Bourne durch alle bekannten Städte dieser Welt und hinterlässt mit seinen Fahrzeugen meist eine Schneise der Verwüstung. Am Ende steigt er seelenruhig aus seinem Auto und entschwindet. Im Drehbuch klingt das halbwegs realistisch, denn Bourne hat ein mehrjähriges Training durch US-Geheimdienste hinter sich, welches ihn auf diese Situationen im täglichen Killer-Krieg vorbereitet hat.

In Berlin hatten wir am 19. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche ein ähnliches Phänomen. Ein schwerer LKW rast durch die Menschenmenge, der Fahrer soll vorher beschleunigte haben. Nachdem er 12 Menschen getötet und weitere 50 verletzte, steigt er aus dem LKW und verschwindet. Nur, dieses Szenario ist kein Drehbuch, sondern grausame Wirklichkeit.

Wenige Stunden nach diesem Ereignis wissen nationale und internationale Medien: Deutschland wird sich verändern. Politiker und Medien sprachen bereits von einem islamistischen Anschlag unter der Regie des IS, als die letzten Leichen noch unter dem LKW lagen.

Die Polizei befasste sich angeblich zunächst mit der Suche nach einem Mann, der von einem Zeugen am Telefon als flüchtiger Täter beschrieben wurde. An der Siegessäule nimmt eine Polizeistreife einen Pakistani fest, weil er hastig über die Straße läuft. Zunächst passt er ins Raster, Flüchtling ist er auch. Nur gestehen will er nicht. In einem Interview erklärt der Festgenommene später, er sei während seines zweitägigen Freiheitsentzugs von Polizeibeamten drangsaliert worden.

Freigelassen wird er erst, als die Ermittler einen neuen mutmaßlichen Täter gefunden haben, der noch besser passt: Anis Amris. Angeblich ein altbekannter „Gefährder“. Seine Ausweispapiere soll er im LKW vergessen haben, sein Handy auch. Das sei erst später aufgefallen, so die Ermittler. Sie hatten zwar den Beifahrer aus dem Fahrerhaus geborgen, sich aber angeblich nicht weiter umgeschaut.

Der Täter soll somit ausgebufft genug gewesen sein, um nach einem Gemetzel in einer Menschenmenge mitten in Berlin unerkannt einfach wegzugehen, aber zu dämlich, um seine Ausweispapiere bei einem geplanten Anschlag einfach mal woanders zu lassen. Das wäre dann mittlerweile der fünfte Fall, in dem angeblich die Ausweispapiere von islamistischen Attentätern am Tatort gefunden wurden.

Spiegel Online berichtete bereits am 25. Dezember von einer Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur, nach der jetzt die Mehrheit der Deutschen für eine stärkere Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen sei. Es folgten die Rufe nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der Zentralisierung der Geheimdienste und so weiter.

Die weiteren Belege, die die Ermittlungsbehörden zur Untermauerung der Täterschaft Amris vorlegen, sind dürftig:

Nehmen wir einmal an, dass wirklich Amris Fingerabdrücke im oder am LKW gefunden wurden. Dann beweist das nur, dass er am oder im Fahrzeug war (und zu naiv, Handschuhe zu tragen). Das kann aber auch vor dem Anschlag gewesen sein. Nehmen wir an, dass der Beifahrer mit Amris Waffe getötet wurde. Heißt aber noch nicht, dass Amris der Schütze war.

Für die eigentliche Tat, also die Todesfahrt über den Weihnachtsmarkt, sind dies alles keine belastbaren Belege.

Zu weiteren Ermittlungen kommt es nicht. Der Täter soll sich in einen Zug gesetzt haben und über Frankreich nach Italien gefahren sein. Dort wird er bei einer zufälligen Polizeikontrolle erschossen. Ein Gerichtsverfahren, in dem die angeblichen Belege bewertet werden, wird es also wieder nicht geben.

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Nun ist die Wirklichkeit manchmal unglaubwürdiger als ein Drehbuch. Aber eben auch nur manchmal.

Jason Bourne hätte jedenfalls nicht seinen eigenen Ausweis im Fahrzeug liegen lassen.

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