Große Gefahr für Europa

Transatlantiker in der EU zunehmend unter Druck

In Bulgarien und Moldau setzten sich am Sonntag bei Präsidentschaftswahlen prorussische Kandidaten durch

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Für das EU-Establishment kommen dieser Tage die Hiobsbotschaften Schlag auf Schlag, dabei ist der Schock über den Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen noch längst nicht verdaut. Dessen versöhnliche Worte gegenüber Russland – „Ich glaube, Putin und ich kämen gut miteinander aus“ – treiben den Transatlantikern innerhalb der Brüsseler Machtetagen den Angstschweiß auf die Stirn. Sie fürchten eine Aufweichung der Front gegen Russland.

Eine Annäherung Moskaus an die USA „wäre eine große Gefahr für Europa“, so Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, in einem Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. „Es würde bedeuten, dass die Einheit des Westens, die unsere eigentliche Stärke ist, das Wichtigste, was wir haben, auf diese Weise einen Riss bekommen würde, gespalten würde. Das wäre fatal.“

Auf die Frage, ob eine solche Annäherung nicht auch etwas Positives hätte, da sie beispielsweise zur Lösung des Syrien-Konfliktes beitragen könnte, antwortete der CDU-Politiker, dieser Preis sei „zu hoch“, weil es bedeuten würde, „dass der Westen nicht im Sinne unserer Werte, das sind Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, auf diese Konfliktherde einwirken würde.“

Röttgens lettische Amtskollegin Ojars Kalnins nannte Trumps Haltung „gefährlich und unverantwortlich“. Im Baltikum sitzt der Schock besonders tief angesichts der Tatsache, dass nicht die russlandfeindliche Hillary Clinton die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Trumps Wahlsieg sei „ein dramatischer Tag für Lettland und ganz Osteuropa“, äußert sich beispielsweise die lettische EU-Abgeordnete Sandra Kalniete.

Dass Newt Gingrich als Trumps Außenminister gehandelt wird, lässt die Sorgenfalten in den baltischen Hauptstädten nicht kleiner werden. Gingrich hatte Estland im Wahlkampf als „Vorort von St. Petersburg“ bezeichnet und betont, die USA würden im Falle eines Ukraine-Szenarios in dem Baltenstaat keinen Nuklearschlag riskieren.

Beim Antrittsbesuch der neuen estnischen Präsidentin Kersti Kaljulaid am Freitag in Berlin sagte hingegen Noch-Bundespräsident Joachim Gauck ihrem Land den militärischen Beistand Deutschlands gegen „das russische Machtstreben“ zu. „Wenn es gilt, die Sicherheit des Baltikums zu gewährleisten, steht Deutschland an Estlands Seite“, betonte Gauck.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte derweil die USA zur „Bündnistreue“. Es war nur eine von vielen Ermahnungen, die in den letzten Tagen über den großen Teich aus Europa Richtung USA schwappten – ein ungewohntes Bild, denn für gewöhnlich ist es Washington, das den Zeigefinger gegenüber seinen europäischen Verbündeten erhebt.

In ihrer Erklärung zum US-Wahlausgang betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Werte“, die Deutschland und die USA miteinander verbänden: „Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung.“ Die CDU-Politikerin gab damit dem designierten US-Präsidenten zu verstehen, dass dieser seine Hausaufgaben in Sachen „gemeinsamer Werte“ noch nicht gemacht habe.

„Auf der Basis dieser Werte biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an“, erklärte Merkel. Die Bundeskanzlerin stellt Bedingungen für eine Kooperation gegenüber Washington? Eine solch selbstbewusstes Auftreten ließ die Kanzlerin in der Vergangenheit schmerzlich vermissen, sei es in der NSA-Affäre oder in ihrer (Nicht-)Haltung zum völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg, der von der US-Basis in Ramstein aus koordiniert wird.

Bislang war Merkels Position gegenüber Washington durch duckmäuserisches Verhalten gekennzeichnet. Im Angesicht von Donald Trumps Präsidentschaft hat sie offenbar ihr Rückgrat wieder entdeckt, um sich für „Wert“ gerade zu machen. Von der New York Times, die Hillary Clinton im Wahlkampf unterstützt hatte, wurde die Bundeskanzlerin bereits zur „letzten mächtigen Verteidigerin des liberalen Westens“ ernannt.

Anti-Russland-Front: Bulgarien und Moldau scheren aus

Am Sonntagabend kamen die verbliebenen Verteidiger des liberalen Westens in Form der EU-Außenminister in Brüssel zu einem Sondertreffen zusammen, um nach einer gemeinsamen Linie im Verhältnis zu den USA unter Trump zu suchen. Die Europäer müssten Einigkeit demonstrieren, sagte die Außenbeauftragte Federica Mogherini. Geschlossen sind Europas Reihen aber nicht. Der britische Außenminister Boris Johnson hatte an dem Brüsseler Treffen gar nicht erst teilgenommen, weil er dafür keine Notwendigkeit sah.

Noch während der Sitzung ereilte die Minister die Kunde vom nächsten Rückschlag hinsichtlich einer gemeinsamen Haltung des Westens gegenüber Russland: Bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag in Bulgarien setzte sich der russlandfreundliche Ex-General Rumen Radew als Kandidat der Sozialisten deutlich mit gut 59 Prozent der Stimmen gegen die bürgerliche Regierungskandidatin Zezka Zatschewa durch.

Die russlandkritische Haltung des prowestlichen Amtsinhabers Rossen Plewneliew hatte bei großen Teilen der Bevölkerung für Verstimmung gesorgt. Radew, der sein Amt am 22. Januar 2017 antreten soll, kündigte schon in der Wahlnacht einen russlandfreundlichen Kurs an: Er wolle mit seinen Kollegen in der Europäischen Union über die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland beraten. „Ich werde eng mit der Regierung zur Umsetzung einer Politik zur Aufhebung der Sanktionen arbeiten“, fügte er hinzu.

Radew äußerte seine Hoffnung auf einen guten Dialog mit den Präsidenten der USA und Russlands. Besonders pikant für Brüssel: Mit dem Putin-Versteher Radew an der Staatsspitze soll Bulgarien die EU-Ratspräsidentschaft am 1. Januar 2018 übernehmen. Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow zog bereits die Konsequenz aus dessen Wahlsieg und reichte am Montag den Rücktritt seines Mitte-Rechts-Kabinetts ein. Das ärmste EU-Land steuert offensichtlich erneut auf Neuwahlen zu – voraussichtlich im kommenden Frühjahr.

Die nächste Hiobsbotschaft ereilte die EU-Außenminister kurz darauf: In Moldau konnte sich der prorussische Sozialist Igor Dodon bei der Stichwahl um das Präsidentenamt durchsetzen. Der 41-jährige kündigte an, bald zu Sondierungen nach Moskau zu reisen. Er strebe eine strategische Partnerschaft mit dem Kreml an, da die Menschen in Moldau enttäuscht seien von leeren Versprechungen der prowestlichen Regierung, sagte Dodon am Montag in der Hauptstadt Chisinau. Er errang der Wahlleitung zufolge 52,3 Prozent der Stimmen. Seine proeuropäische Rivalin Maia Sandu kam auf rund 47,7 Prozent.

„Die Vorteile unseres Westkurses haben die Nachteile der Abwendung von Russland nicht aufwiegen können“, sagte Dodon – Moldau hatte 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen. Für den Fall seines Sieges hatte er eine Volksbefragung über die Aufhebung des EU-Abkommens  angekündigt. Stattdessen soll sich Moldau der von Russland geführten Eurasischen Union anschließen.

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Obwohl Moldaus Präsident vor allem repräsentative Aufgaben wahrnimmt, beeinflusst er doch auch den außenpolitischen Kurs des Landes. Der von der prowestlichen Regierung der Ex-Sowjetrepublik angestrebte Beitritt zur EU und NATO dürfte sich nach dem Sieg Dodons bei der als „richtungsweisend“ bezeichneten Präsidentenwahl vorerst erledigt haben.

(mit dpa)

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